Eine Whistleblowerin deckt auf, dass bei den Zulassungsstudien des Biontech/Pfizer-Impfstoffs unsauber gearbeitet wurde. Die Wirksamkeit der Impfung stellt das zwar nicht infrage – aber es wirft Fragen auf.
In Rekordzeit entwickelte und testete das Unternehmen Biontech mit dem US-Partner Pfizer seinen Corona-Impfstoff. Es war auch der erste, der in den USA und der EU die Zulassung erhielt. Doch ging die Geschwindigkeit möglicherweise auf Kosten der Datenintegrität? Diese Frage wirft zumindest eine aktuelle Veröffentlichung des Investigativjournalisten Paul D. Thacker im BMJ auf.
Darin berichtet er davon, wie Brook Jackson – ehemalige Regionalleiterin der Ventavia Research Group – dem BMJ unternehmensinterne Dokumente, e-Mails und Audioaufnahmen zuspielte. Ventavia ist ein großes Auftragsforschungsunternehmen. Solche Firmen werden bei vielen klinischen Studien mit der Studienabwicklung oder Teilen davon beauftragt. Die Dokumente zeigen offenbar Missstände in drei texanischen Studienzentren auf, in denen rund 1.000 Probanden rekrutiert worden waren.
Ventavia hat für Pfizer die Comirnaty-Zulassungsstudie an mehreren Standorten in den USA organisiert. Insgesamt umfasst die Zulassungsstudie von Biontech/Pfizer knapp 44.000 Probanden an verschiedenen Standorten weltweit. Brisant ist zudem, dass Jackson gefeuert wurde, als sie mit ihren Bedenken an die FDA herantrat – sie war gerade einmal 2 Wochen bei Ventavia angestellt. Was genau hat die Whistleblowerin aufgedeckt?
Im Bericht von BMJ liest man Folgendes:
Laut eigener Angaben hatte Jackson die Unternehmensleitung von Ventavia im September 2020 mehrfach auf die Probleme hingewiesen, ihre Beschwerden blieben aber unbeantwortet. Deswegen wandte sich die Regionaldirektorin am 25. September 2020 direkt an die FDA. Noch am selben Tag, so heißt es weiter, sei sie von Ventavia gefeuert worden.
Zwei weitere Mitarbeiter des Unternehmens äußern sich anonym in dem Artikel und bestätigen, dass in den Studienzentren nicht immer sauber gearbeitet wurde. Einer bezeichnet die Daten, die generiert worden waren, als „ein verrücktes Durcheinander“. So seien in manchen Fällen nicht genügend Mitarbeiter vor Ort gewesen, um von Probanden mit COVID-19-ähnlichen Symptomen Abstriche zu nehmen – dabei lautete der primäre Endpunkt „laborbestätigte, symptomatische SARS-CoV-2-Infektion“.
Auch an die Adresse der Behörde FDA erhebt Autor Paul Thacker schwere Vorwürfe. Denn offenbar ist sie der Bitte auf Inspektion bei Ventavia nicht nachgegegangen. Die FDA veröffentlichte im August diesen Jahres eine Zusammenfassung ihrer Audits der Studienstandorte: Sie hatte nur 9 von 153 Standorten inspiziert, Ventavias Studienzentren waren nicht dabei. Schon häufiger hatten Experten bemängelt, dass die FDA die diversen Auftragsforschungsinstitute zu wenig beaufsichtigen würde.
Für das Vertrauen der Bevölkerung in die Impfstoffe sind die Anschuldigungen verheerend. Auch dass sie von Medien kaum aufgegriffen werden, ist zumindest suboptimal. Doch was bedeuten sie nun für die Bewertung der Gesamtstudienergebnisse? „Das, was die Whistleblowerin aufgedeckt hat, ist ohne Frage unschön“, erklärt Prof. Peter Kremsner, Direktor des Instituts für Tropenmedizin an der Eberhard Karls Universität Tübingen. „Wenngleich ich betonen möchte, dass dies meines Erachtens nicht ausreicht, um an der Qualität der klinischen Studie von Biontech/Pfizer zu zweifeln. Das ist mir einfach zu wenig.“ Die Impfdaten seien schon in zahlreichen Studien bestätigt worden, weswegen Kremsner keinen Grund dafür sieht, sie deswegen jetzt infrage zu stellen.
„Die im ,The BMJ‘-Artikel geschilderten Fehler schränken die Aussagekraft der Zulassungsstudie des Impfstoffs nicht ein“, sagt auch Prof. Oliver A. Cornely. Der Oberarzt mit Schwerpunkt Klinische Infektiologie an der Uniklinik Köln ist auch wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Klinische Studien in Köln. Inzwischen sei die Wirksamkeit aus Daten aus Israel und anderen Ländern belegt. „Wir nehmen kaum geimpfte Personen wegen COVID-19 stationär auf, erkennen also die Wirksamkeit jeden Tag“, so Cornely weiter. „Es hat sicher noch nie einen solchen Erfolgs- und Geschwindigkeitsdruck gegeben wie in der Impfstoffentwicklung der aktuellen Pandemie. Fehler dürften dabei rascher sichtbar werden. Entscheidend ist das Erkennen der Fehler, eine offene Kommunikation und das konsequente Verbessern der eigenen Abläufe.“
DocCheck hat für diesen Artikel sowohl bei Biontech als auch bei Pfizer Deutschland angefragt mit der Bitte um eine Stellungnahme und mit der Frage, ob mit Ventavia weiterhin zusammengearbeitet werde. Beide Unternehmen haben sich bis Redaktionsschluss nicht gemeldet.
Anmerkung der Redaktion: Das Unternehmen Pfizer äußerte sich nach Redaktionsschluss mit einer kurzen Stellungnahme zu den Unregelmäßigkeiten in der Zulassungsstudie. Mehr erfährst du hier:
Bildquelle: Zac Harris, Unsplash