Bei vielen Hirnerkrankungen funktionieren medikamentöse Therapien nicht: die Blut-Hirn-Schranke versperrt den Weg ins Hirngewebe. Nun gelang es Forschern mithilfe von fokussiertem Ultraschall, Gehirntumore mit monoklonalen Antikörpern zu behandeln.
Eine grundlegende Herausforderung bei der Behandlung von Erkrankungen im Gehirn und ZNS ist es, das Medikament auch tatsächlich in das betroffene Gewebe zu bringen. Das Problem: Die Blut-Hirn-Schranke, die den Durchtritt von Stoffen aus dem Blutstrom reguliert. Für große, nicht fettlösliche Moleküle ist es schwer, diese zu passieren. So sprechen beispielsweise Hirntumore nur sehr gering auf antikörperbasierte Immuntherapien an, da die Antikörper die Blut-Hirn-Schranke kaum passieren und dementsprechend die Tumore nicht ausreichend penetrieren können. Alternative Behandlungsoptionen wie die operative Entfernung und Strahlungsbehandlung erweisen sich zwar als effektiv, sind allerdings nur limitiert einsetzbar: Bei wiederholter Behandlung sind die Risiken hoch. Besonders schwierig wird es, wenn sich die Läsionen in eloquenten Arealen befinden und eine Schädigung des umliegenden Gewebes gravierende Folgen haben kann.
Die Nutzung von Magnetresonanz-geführtem fokussierten Ultraschall (MRgFUS) könnte einen sicheren Weg darstellen, um in der Blut-Hirn- Schranke temporäre Fenster zu öffnen und so Medikamente selektiv in das betroffenen Hirngewebe zu befördern. Es handelt sich dabei grundsätzlich um ein thermoablatives Verfahren: Mithilfe der fokussierten und hochintensiven Strahlung wird das zu behandelnde Gewebe erhitzt und es können milimetergenau Läsionen gesetzt werden. Dies geschieht unter ständiger MR-tomographischer Kontrolle in einzelnen, kleinen Volumenschritten. Um die Permeabilität von vaskulären Membranen wie der Blut-Hirn-Schranke zu erhöhen, reichen aber bereits geringe Temperaturen aus, die keine Gewebeschädigung nach sich ziehen.
Gegenüber anderen Konzepten zur Überwindung der Blut-Hirn-Schranke hat dieser Ansatz einige Vorteile: So ist einerseits eine hohe räumliche und zeitliche Kontrolle möglich; zudem ist die Methode mit vielen verschiedenen Medikamenten kombinierbar. Eine weitere Besonderheit an MRgFUS ist weiterhin, dass das Verfahren nicht invasiv ist und kein umliegendes Gewebe geschädigt wird. Es zeichnet sich grundsätzlich durch ein geringes Maß an Nebenwirkungen aus. Und: Die Behandlung kann ambulant durchgeführt werden.
Bisher wird die Methode zur Behandlung von Uterusmyomen, osteolytischen Knochenmetastasen und auch von Tremor angewendet. Da es sich um eine relativ neue Behandlungsmethode handelt, wird sie in Deutschland bisher nur in wenigen, spezialisierten Zentren durchgeführt.
HER2-positiver Brustkrebs ist ein aggressiver Subtyp, der eine erhöhte Tendenz zur Metastasierung im Gehirn aufweist. Trotz Fortschritte in der Behandlung ist er mit erhöhter Sterblichkeit assoziiert. Grundsätzlich haben sich Trastuzumab-basierte Therapien für die Behandlung dieser Krebsart als effektiv erwiesen, wie Studien zeigen konnten. Die Durchdringung der Blut-Hirn-Schranke ist jedoch erwiesenermaßen schlecht und daher sprechen Metastasen im Gehirn nicht auf die Behandlung an.
Präklinische Studien haben bereits an Modellen gezeigt, dass mit dem Einsatz von FUS die Passage von verschiedenen Therapeutika durch die Blut-Hirn-Schranke verbessert werden kann; bisher wurde dies aber noch nicht für den Menschen belegt. Eine neue klinische Studie in der Fachzeitschrift Science Translational Medicine liefert nun aber einen Beweis, dass mit MRgFUS die nichtinvasive und zielgerichtete Übermittlung des Medikaments möglich und sicher ist.
Bei den Probanden handelte es sich um 4 Patienten mit bestätigtem HER2-positivem, metastasierendem Brustkrebs. Es handelte sich bei allen vier um Frauen im Alter von 31-56 Jahren. Die meisten wurden alle bereits vorher mit Trastuzumab behandelt, als sich die Streuungen entwickelten. In allen vier Fällen wurde die systemische Krankheit als stabil eingestuft; die intrakranielle Erkrankung schritt jedoch trotz vorhergegangener operativer und Strahlenbehandlungen fort.
Im Rahmen der Studie erhielt jede Patientin bis zu 6 Kombinations-Behandlungen mit MRgFUS überschneidend zu einer fortgeführten Standardbehandlung mit Trastuzumab. Insgesamt wurden 20 dieser Kombinationsbehandlungen durchgeführt. Um die Aufnahme des Medikaments in das Gehirn und die Durchdringung der Läsionen verfolgen zu können, wurde gleichzeitig radioaktiv markiertes Trastuzumab gegeben, dass mithilfe von SPECT (Singlephotonen-Emissionscomputertomographie) visualisiert werden konnte.
Die Behandlung selbst verlief erfreulich ereignislos: Alle Patienten konnten das Krankenhaus bereits 2 Stunden nach den Behandlungen ohne schwere Nebenwirkungen verlassen. Als vorrübergehende Nebenwirkung wurden zwar Kopfschmerzen und Empfindlichkeit an den Ansatzpunkten des Stereotaxierrahmens berichtet; jedoch zeigten sich in neurologischen Untersuchungen keine klinisch relevanten Nebenwirkungen wie beispielsweise Ödeme oder Blutungen.
Die Untersuchungen mit SPECT zeigten, dass die gezielte Disruption der Blut-Hirn-Schranke erfolgreich war: In den vor Beginn der Studie aufgenommenen CT-Aufnahmen konnte nur eine minimale Aufnahme des Medikaments im Gehirn festgestellt werden. Quantifiziert wurde diese mithilfe des Standard Uptake Value, oder kurz SUV-Wert, der die Anreicherung des radioaktiven Tracers beschreibt. Der SUV-Wert der Sonikations-Volumina betrug 4 Stunden nach Medikamentengabe nur 1,41 (SD 0,37); auch nach 48 Stunden betrug der SUV-Wert nur 2,44 (SD 1,17). Nach Behandlung mit MRgFUS war die Aufnahme und Bindung des Medikaments, sowohl früh als auch verzögert, deutlich höher: Die SUV-Werte betrugen 2,29 (SD 0.81) nach 4 Stunden und 4,36 (SD 1,14) nach 48 Stunden, was eine deutlich erhöhte Retention und bessere Bindung des Medikaments an die HER2-Rezeptoren signalisierte. Dies betraf auch nur die tatsächlich mit FUS bestrahlten Regionen: In nicht-bestrahltem normalen Hirngewebe, sowie in einigen unbehandelten Läsionen, blieb der SUV-Wert unverändert.
Neben der Gewebedurchdringung des Medikaments wurde auch die Tumorgröße über den Verlauf der Behandlungen untersucht. Bei allen Patientinnen konnte eine Reduzierung der Tumorgröße erreicht werden. Im Schnitt konnte so der Tumordurchmesser um 19 % verringert werden.
Die Studie liefert also einen ersten Beweis, dass es auch im Menschen möglich ist mithilfe von MRgFUS monoklonale Antikörper durch die Blut-Hirn-Schranke zu befördern. Die Permeabilität der BHS ist dabei sicher und reversibel; die Wiederherstellung erfolgte innerhalb von 24 Stunden nach der Behandlung. Dadurch konnte ein Ansprechen auf eine bereits bestehende und zuvor erfolglose Therapie erreicht werden.
Die Ergebnisse sind zwar vielversprechend, sollten jedoch zu so einem frühen Zeitpunkt nicht überschätzt werden. „Das ist eine sehr interessante Technologie, die weiter verfolgt werden sollte. Sie ist aber noch weit von der breiteren klinischen Anwendung entfernt“, äußert sich dazu Prof. Dr. Ulrich Herrlinger, Experte für Neuroonkologie am Universitätsklinikum Bonn. Er leitet dort die Sektion Klinische Neuroonkologie der Klinik und Poliklinik für Neurologie. Die Uptake-Messung zeige zwar, dass durch die Intervention mehr Substanz im Tumor ankomme; das Ansprechen im MRT schätzt Herrlinger aber noch nicht als überzeugend ein: „Richtig interessant wird es erst, wenn eine Reduktion der Läsionen im MRT auf unter 50% des Ausgangswertes erreicht wird [...] und/oder, noch wichtiger, mit der Intervention das progressionsfreie Überleben oder die Zeit bis zur ZNS-Metastasen-Progression verlängert wird. Das müssen dann zukünftige Studien klären.“
Die Autoren der Studie weisen auch selbst auf Limitationen ihrer Ergebnisse hin. So wirke sich (unter anderem) die geringe Anzahl an Probanden limitierend auf die Aussagekraft der Studie aus. Weiterhin ist zu beachten, dass es sich bei der Studie nicht um eine Blindstudie handelte; um die tatsächliche Effizienz der Behandlung zu untersuchen wären größer angelegte Studien mit Blinding oder Randomisierung und zusätzlicher, genauerer Bildgebung notwendig.
Dennoch weckt die Studie Hoffnung. Sie bereitet den Weg für MRgFUS als neuen Ansatz, um Therapeutika durch die Blut-Hirn-Schranke in das Gehirn zu befördern; und könnte so einen Beitrag für die Entwicklung zukünftiger Behandlungen für intrakranielle Tumore und andere Krankheiten des ZNS leisten.
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