Homonyme Gesichtsfeldausfälle deuten auf reale Schwierigkeiten irgendwo in der Sehbahn hinter dem Chiasma opticum. Aber was, wenn die Neurobildgebung nichts hergibt?
Spannender Case Report in JAMA Ophthalmology – und nicht nur für Augenärzte. Ein 46-jähriger Mann stellte sich bei seinem Arzt vor und berichtete, dass er seit rund zwei Wochen in den rechten unteren Quadranten beider Augen „verschwommen“ sehe. Mehrmals am Tag komme es zu einer kompletten Verdunklung in diesem Bereich des Gesichtsfelds und rings um das dunkle Areal sehe er dann Farben. Die Hemianopsie-Episoden hielten jeweils einige Minuten an, die merkwürdigen Farbwahrnehmungen seien etwas beständiger.
An Begleiterkrankungen ließ sich eine Fettstoffwechselstörung eruieren, der Patient nahm Rosuvastatin ein. Klinisch war der Visus des Patienten ansonsten gut, eine Augenerkrankung war nicht bekannt, die Pupillenreaktion auf Licht war unauffällig und die Fundus-Untersuchung komplett normal.
Augenärzte werden in einer solchen Situation zuverlässig unruhig. Homonyme Gesichtsfeldausfälle deuten auf Prozesse im Verlauf der Sehbahn irgendwo jenseits des Chiasma opticum. Dort kann das dann alles mögliche sein, weswegen der Griff zur Überweisung meist schnell erfolgt: Hirntumoren, Aneurysmen, andere Gefäßpathologien oder auch Blutungen – nichts davon will man unbedingt haben und bei allem wäre es gut, wenn es bekannt wäre.
Die Überweisung zum Neuroradiologen war dann auch das Vorgehen der Kollegen im vorliegenden Fall. Die Ärzte orderten notfallmäßig ein Kopf-CT ohne Kontrastmittel und die Neuroradiologen fanden – nichts. Der nächste Überweisungszettel war schnell zur Hand: Eine kranielle MRT sollte es nun sein. Doch die Neuroradiologen fanden – nichts.
Da war guter Rat teuer; oder vielleicht doch nicht? Es gab nämlich eine Anamnese, die in der Hektik der Überweisungsformulare vielleicht ein wenig zu kurz gekommen war. Der Patient berichtete nicht nur über Gesichtsfeldausfälle, sondern gab außerdem an, sich etwas schlapp zu fühlen. Er habe nervende, allerdings nicht dramatische Kopfschmerzen und oft Durst. Auch der Neuroradiologe meldete sich im Verlauf noch einmal: Wenn man genauer hinsehe, dann finde man im Bereich des linken, okzipitalen Cortex ziemlich subtile T2-Hyperintensitäten.
Was also tun? MRT-Angiographie? Liquorpunktion? Oder vielleicht doch erst mal etwas weniger invasiv agieren und ein Labor abnehmen? Die Ärzte entschieden sich für Letzteres und lagen damit goldrichtig. Die entscheidende Information war im Rückblick der Durst, denn der hätte in Verbindung mit der Lethargie den Verdacht auf eine Erstmanifestation eines Typ-2-Diabetes lenken können. Und so war es: Der Patient hatte einen Blutglukose-Spiegel von satten 474 mg/dl, der auch gleich mitbestimmte HbA1c-Wert lag bei 11,8 %.
Aber warum dann eine Hemianopsie, zumal wenn es augenseitig noch nicht die geringsten Hinweise auf eine diabetische Augenerkrankung gab? Hier kommt dann der verzögerte Anruf des Neuroradiologen mit seinen T2-Hyperintensitäten ins Spiel. Die nicht-ketogene Hyperglykämie, so die Hypothese, führte zu wiederholten epileptischen Anfällen im Bereich der linken Sehrinde, die sich als dezentes T2-Signal in der MRT demaskierten.
Dass diese Hypothese richtig war, zeigte sich nach Aufnahme ins Krankenhaus. Dort gelang es im EEG zwar nicht, ein Krampfereignis aufzuzeichnen. Allerdings berichtete der Patient, dass die Farbwahrnehmungen nach Lorazepam-Gabe schlagartig aufhörten. Und bei schrittweiser Normalisierung des Blutzuckers mit Hilfe von Insulin, Metformin und Sulfonylharnstoff verbesserten sich auch die Gesichtsfeldausfälle bis zur kompletten Normalisierung nach vier Tagen.
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