Gerade mal einen Monat sind die meisten Impfzentren dicht. Jetzt fordert Jens Spahn, sie für Booster-Impfungen wieder hochzufahren. Wie sinnvoll ist das?
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat die Bundesländer aufgefordert, die Impfzentren wieder zu öffnen. Denn die Infektionszahlen steigen wieder stark, die Zahl der Geimpften hingegen kaum noch. Und bei der Auffrischungsimpfung hakt es bisher – nicht einmal zwei Millionen Menschen sind zum dritten Mal geimpft. Begeisterungsstürme lösen seine Pläne an vielen Stellen allerdings nicht aus.
„Um möglichst vielen möglichst schnell eine Auffrischungsimpfung zu ermöglichen, sollten die Länder die Impfzentren, die sie seit Ende September in Standby bereithalten, nun wieder startbereit machen“, sagte Spahn der Rheinischen Post. Gegenwind kommt vom Hausärzteverband und vom Chef des Weltärztebunds Frank Ulrich Montgomery: Sie halten eine Wiedereröffnung der Impfzentren für unnötig. Auch einige Bundesländer wie Hamburg und NRW lehnen das Vorhaben ab.
Anders sieht es Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK). Er fordert die Booster-Impfungen, organisiert nach Alterskohorten, wieder über Impfzentren zu organisieren. Für Regionen, in denen Hausärzte mit dem Impfen nicht hinterherkämen, könnten Impfzentren „eine Hilfe sein“, so Reinhardt am Dienstag (01. November 2021) auf einer Pressekonferenz des Deutschen Ärztetags in Berlin. Er habe schon vor einem halben Jahr deutlich gemacht, dass es „nicht klug sei, die Impfzentren komplett runterzufahren“.
Auch Karl Lauterbach (SPD) ist dafür, die Impfzentren wieder zu öffnen, um die vierte Welle der Pandemie zu brechen. „Die Öffnung der Impfzentren wäre sehr teuer, nicht alle könnten wieder mitmachen. Aber es würde viele retten“, schrieb er auf seinem Twitter-Profil.
In vielen Bundesländern ist man hingegen irritiert bis wenig begeistert über Spahns Vorstoß. Grund dafür ist auch, dass einige Impfzentren über Monate schon nicht mehr ausgelastet waren. In den Kreis- und Landesimpfzentren lag die Auslastung an einigen Tagen bei gerade einmal zehn Prozent, registrierten einige Landesregierungen. Aus diesem Grund setzen viele Bundesländer lieber auf Hausärzte, Betriebsärzte, Krankenhäuser und mobile Impfteams.
Von heute auf morgen könne ein geschlossenes Impfzentrum nicht wieder in Betrieb gehen, so Christian Bernreiter, Präsident des Bayerischen Landkreistags. „Monatelang haben alle so getan, als wäre die Pandemie vorbei“, sagte Bernreiter gegenüber Münchner Merkur. Viele Landkreise hätten sogar darum kämpfen müssen, dass die Impfzentren weiterhin bestehen bleiben. Die Ärzteverbände hätten immer betont, dass sie Drittimpfungen stemmen könnten. „Die Realität sieht aber anders aus“, so Bernreiter. Prinzipiell hält er es für sinnvoll, die Impfzentren wieder aufzurüsten. „Aber dann brauchen wir eine klare Ansage“, betont er.
Über die Art der Kommunikation ärgert sich auch Niedersachsens Gesundheitsministerin Daniela Behrens. Sie empfinde die „neuesten, unabgestimmten Vorschläge des geschäftsführenden Bundesgesundheitsministers“ als „höchst irritierend“, sagte sie gegenüber tagesschau.de. Es sei Spahn gewesen, der die Finanzierung der Impfzentren und die Belieferung der Länder mit Impfstoff zum 30. September eingestellt habe.
In vielen Bundesländern wie u.a. Bremen sind die großen Impfzentren zwar dicht, dafür gibt es aber Impfstellen – sozusagen Mini-Impfzentren, außerdem zahlreiche mobile Teams sowie einige Impfmobile und Impfbusse. In Bremen hält man daher die Wiedereröffnung der großen Impfzentren aktuell für „nicht notwendig“. In Rheinland-Pfalz soll die Zahl der Impfbusse jetzt verdoppelt werden, außerdem soll es zehn Krankenhausstandorte geben, an denen dezentrale Impfzentren an speziellen Impftagen öffnen. Hamburg und NRW teilten bereits mit, dass es die Impfzentren in alter Form nicht mehr geben werde.
Auch vom Deutschen Städtetag kommt Kritik. Ein Impfzentrum sei „keine Taschenlampe“, die je nach Stimmungslage aus- und wieder angeknipst werden können, heißt es in einem Schreiben an die Gesundheitsminister. Inzwischen würden viele der Gebäude anderweitig genutzt. Und damalige Mitarbeiter wären jetzt woanders beschäftigt. „Auch in einer Pandemie braucht es ein Mindestmaß an Kalkulierbarkeit von Entscheidungen“, so der Städtetag.
Der Vorsitzende des Weltärztebundes, Montgomery, zweifelt grundlegend am Sinn des Vorhabens: Hausärzte hätten die nötige Erfahrung und Kapazitäten für die Impfungen. Außerdem sei es zehnmal teurer, in den Impfzentren zu impfen als in den Arztpraxen. Und: Die Hemmschwelle sei für viele Patienten beim Hausarzt niedriger.
Ein weiteres Problem sieht FDP-Gesundheitspolitiker Andrew Ullmann. Viele ältere Menschen würden in Einrichtungen oder zuhause betreut und nicht in die Impfzentren kommen. Die Ständige Impfkommission empfiehlt die Auffrischung unter anderem für Menschen ab 70, Bewohner und Betreute in Pflegeeinrichtungen für alte Menschen. Eben Letztere würde man mit der Wiedereröffnung der Zentren nicht oder schwer erreichen.
Eine andere Idee um das Impftempo zu erhöhen, hat Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen. Er schlägt vor, Apotheken bei den Booster-Impfungen einzubeziehen. „Wenn das Impftempo in der Regelversorgung der Praxen nicht ausreicht, werden wir endlich auch an anderen Stellen, beispielsweise Apotheken, impfen müssen“, so Dahmen zum RedaktionsNetzwerk Deutschland.
Er kritisiert ärztliche Kollegen an dieser Stelle: „Nach der Schließung der meisten Impfzentren erfüllen die Praxen die in sie gesetzten Erwartungen erkennbar nicht, weder bei den Erst- noch bei den Booster-Impfungen“. In den nächsten Wochen könnte die Zahl der Intensivpatienten wieder auf bis 3.000 steigen. „Wenn dann noch eine heftige Grippewelle dazu kommt, laufen wir in eine Katastrophe hinein“, sagte Dahmen.
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