SARS-CoV-2 schlägt nicht nur auf die Lunge, sondern auch auf das Gehirn. Aber woran liegt's? Forscher sind dem Rätsel auf der Spur.
Im Zusammenhang mit langfristigen Folgen einer COVID-19-Infektion hören wir immer häufiger den Begriff „Neuro-Covid“. Es hat sich gezeigt, dass eine Infektion nicht nur zu einer Schädigung der Lunge, sondern auch zu einer dauerhaften Schädigung des Nervensystems führen kann. Darunter können Störungen wie z.B. eine Enzephalitis, ein Gullain-Barré-Syndrom, Muskelschmerzen, COVID-19-assoziierte Schlaganfälle sowie neuropsychiatrische Auffälligkeiten auftreten. Über einen längeren Zeitraum finden sich auch Störungen der Konzentration, der Aufmerksamkeit und des Gedächtnisses bei den Betroffenen wieder. Die Ursache dafür ist hingegen noch nicht klar.
Eine Lübecker Forschungsgruppe hat nun zusammen mit Forschern aus Frankreich, Spanien und Deutschland eine neue Studie im renommierten Fachmagazin Nature Neuroscience veröffentlicht. Die Forscher fanden in ihrer Studie heraus, wie eine COVID-19-Infektion auf Endothelzellen im Gehirn wirken: SARS-CoV-2 führt durch die Spaltung des Proteins NEMO (IKKγ; NF-κB essentieller Modulator) zu einem Gefäßuntergang im Gehirn. Ausgelöst wird dieser Schritt durch die SARS-CoV-2-Hauptprotease Mpro (auch 3CLpro genannt). Aufgedeckt haben die Forscher diesen Prozess anhand von Gehirnproben von verstorbenen COVID-19-Patienten, sowie in Zell-, Hamster- und Mausmodellen einer SARS-CoV-2-Infektionen.
Die Ergebnisse zeigen, dass die Endothelzellen im Gehirn mit SARS-CoV-2 infiziert werden können, was wiederum zum Zelltod führt. In der Regel kleiden Endothelzellen die innere Schicht aller Gefäße im Körper aus. Diese Zellen des Gehirns sind insofern wichtig, dass sie die Blut-Hirn-Schranke bilden. Kommt es zum Zelltod bzw. zur Nekroptose, bleibt lediglich die äußere Hülle der Gefäße übrig, die aber nicht mehr von Blut durchströmt werden kann. Die Forscher blockierten die Nekroptose und konnten so die Durchblutung des Gehirns in den Mäusen verbessern. Dies wurde durch die Deletion von RIPK3 ermöglicht – eine Kinase, die essentiell für den regulierten Zelltod ist. Ein weiterer Ansatzpunkt wäre die Inhibition des Mpro sowie die Inhibition von RIPK1; einer upstream Kinase, die RIPK3 aktiviert. Die Wissenschaftler vermuten, dass auf diese Weise das sogenannte Fatigue-Syndrom oder kognitive Beeinträchtigungen behandelt werden können.
Ob die Spaltung von NEMO tatsächlich die einzige Erklärung für Neuro-Covid ist, bleibt weiterhin offen. Eine deutsche Studie der Uni Freiburg wirft ein anderes Licht auf diese Theorie – denn die Forscher konnten keine großartigen Unterschiede finden. Sie führten follow-up 18F-FDG-PET-Scans an 31 Patienten mit Long-COVID-Symptomen durch, nachdem sie zuvor berichteten, dass ihre kognitive Beeinträchtigung mit Veränderungen des Glukosestoffwechsels im Gehirn zusammenhing. Sieben Monate später berichteten die Patienten weiterhin über kognitive Probleme, doch die Scans zeigten keine signifikanten Veränderungen ihres regionalen zerebralen Glukosestoffwechsels.
„Eine umfassende Bewertung einschließlich einer detaillierten kognitiven Testbatterie zeigte bei einzelnen Patienten nur eine leichte Beeinträchtigung und eine zerebrale F-18-FDG-PET zeigte keine eindeutige pathologische Signatur“, schreiben die Autoren Andrea Dressing und Tobias Bormann. „Dies weicht deutlich von früheren Ergebnissen bei subakuten COVID-19-Patienten ab, was darauf hindeutet, dass die zugrunde liegenden neuronalen Ursachen unterschiedlich sind und möglicherweise mit der hohen Prävalenz von Fatigue zusammenhängen“, schreiben die Forscher.
Diese Studien können weder als Erklärung angesehen werden noch gegeneinander relativiert werden. Viele Fragen bleiben im Zusammenhang mit Long-Covid bzw. Neuro-Covid offen. Wir sehen zwar histologische Zusammenhänge von Neuro-Covid an den Gefäßen. Ob das funktionell relevant ist, bleibt jedoch unklar. Womöglich sind die neurologischen Symptome auch auf das Fatigue-Syndrom zurückzuführen. Welche genauen Prozesse letztendlich für die Symptome verantwortlich sind oder wie eine erfolgreiche Therapie aussehen muss, ist nicht ganz eindeutig. Weitere Longitudinal-Studien werden in Zukunft mehr Aufklärung bringen und die Beweislage stützen.
Bildquelle: Anne Nygård, unsplash