Nachdem im letzten Jahr die Süßstoffe als mögliche Verursacher einer Glukoseintoleranz in Verdacht gerieten, häufen sich nun die Hinweise, dass auch Emulgatoren mitverantwortlich für den immensen Anstieg entzündlicher Erkrankungen in den letzten Jahrzehnten sind.
Wissenschaftler konnten in einer aktuellen Studie an Mäusen zeigen, dass Emulgatoren das metabolische Syndrom, Übergewicht und chronische Entzündungen im Darm fördern können. Die Mediziner um Andrew Gewirtz und Benoit Chassaing von der Georgia State University vermuten, dass der steigende Einsatz von Emulgatoren in der Lebensmittelindustrie und die Zunahme von entzündlichen Erkrankungen in den letzten Jahrzehnten eng miteinander verknüpft sind, wie sie im Fachmagazin „Nature“ schreiben. Denn sowohl das metabolische Syndrom als auch chronische Darmentzündungen gehen mit einer veränderten Zusammensetzung der Darmflora einher. „Trotz des konstant bleibenden menschlichen Genoms haben diese Erkrankungen dramatisch zugenommen. Da liegt der Verdacht nahe, dass ein Umweltfaktor maßgeblich daran beteiligt ist“, so Chassaing, und weiter: „Was wir essen, hat einen unmittelbaren Einfluss auf unsere Darmflora, daher haben wir geprüft, ob moderne Lebensmittelzusätze Darmbakterien so verändern, dass sie Entzündungen vermehrt fördern." In ihren Versuchen testeten die Wissenschaftler die Auswirkung zweier gängiger Emulgatoren, Polysorbat 80 und Carboxymethylcellulose (CMC) auf die Darmflora von Mäusen. Dabei setzten sie die Stoffe dem Trinkwasser von Mäusen in einer Konzentration zu, wie sie auch in Lebensmitteln auftritt (1 %).
12 Wochen lang nahmen die Mäuse die Emulgatoren zu sich, bevor die Wissenschaftler den Dickdarm der Tiere untersuchten. Wie auch beim Menschen besiedeln zahlreiche, unterschiedliche Mikroorganismen den Dickdarm von Mäusen. Normalerweise sind die Mikroorganismen durch eine Schleimschicht von den Epithelzellen der Darmwand getrennt. Haben die Darmbakterien keinen Kontakt zu Emulgatoren, bleibt der Abstand zu den Epithelzellen stets gewahrt. Durchschnittlich nähern sich die Bakterien der Darmwand dann bis auf 25 Mikrometer, höchstens auf zehn Mikrometer, so die Forscher. Mit dem Kontakt zu Emulgatoren verringerte sich dieser Abstand auf die Hälfte, manche Bakterien hatten sogar direkten Kontakt zu den Epithelzellen. Die schützende Schleimschicht wurde dünner. Doch die Bakteriengemeinschaft rückte nicht nur näher an die Darmwand heran, die Emulgatoren änderten auch die Zusammensetzung des Darm-Mikrobioms: Die Forscher fanden weniger der als gesundheitsfördernd geltende Bakteriengruppe der Bacteroidales. Schleimlösende Keime wie Ruminococcus gnavus oder entzündungsfördernde Proteobacteria schienen sich hingegen in Gegenwart der Emulgatoren deutlich zu vermehren. Die neue Bakterienflora produzierte vermehrt Flagellin und Lipopolysaccharide, die wiederum pro-inflammatorische Gene über das Immunsystem aktivieren können.
Mäuse mit einer genetischen Prädisposition für entzündliche Erkrankungen litten besonders unter dem emulgatorenreichen Wasser und reagierten mit Dickdarmentzündungen. Doch selbst bei Wildtyp-Mäusen konnten die Forscher stärkere, entzündliche Reaktionen nachweisen. Unter der Emulgatoren-Diät hatten die Tiere einen gesteigerten Appetit und nahmen auch stärker zu als Mäuse, die normales Wasser tranken.
„Es sieht so aus, als förderten Emulgatoren bei genetisch vorbelasteten Wirten eine ausgeprägte Colitis und führen bei Wildtyp-Wirten zu niedriggradigen Entzündungen“, schreiben die Forscher. Diese Entzündungen könnten das metabolische Syndrom begünstigen. Sterile Mäuse – also Tiere mit unbesiedeltem Darm – zeigten keine Reaktion auf die Emulgatoren-reiche Ernährung. Transplantierten die Forscher jedoch die Darmflora von Mäusen, die mit Emulgatoren ernährt worden waren, in die zuvor sterilen Tiere, entwickelten diese Mäuse ebenfalls Darmentzündungen. Diesen Umstand sehen die Wissenschaftler als Hinweis darauf, dass es die Darmbakterien sind, die die Anfälligkeit für Entzündungen und den Stoffwechsel beeinflussen. Das Forscherteam arbeitet nun daran, weitere Emulgatoren zu testen und herauszufinden, ob sich die Testergebnisse auf den Menschen übertragen lassen. Da sich Menschen und Mäuse im Aufbau und in der Funktionsweise des Darms jedoch sehr ähneln, liegt der Verdacht nahe, dass Emulgatoren im menschlichen Organismus ähnliche Reaktionen hervorrufen wie bei den Tieren. Auch die molekularbiologischen Mechanismen, die diesen Reaktionen zugrunde liegen, wollen die Wissenschaftler in naher Zukunft klären.
Die Studie widerlege keinesfalls die allgemeine Annahme, dass übermäßiges Essen die Entstehung von Übergewicht und des metabolischen Syndroms fördere, so Gewirtz. „Unsere Testergebnisse bestärken diese Annahme sogar. Denn frühere Arbeiten haben bereits gezeigt, dass niedriggradige Entzündungen, die von einer veränderten Darmflora herrühren, der Grund für eine exzessive Nahrungsaufnahme sein kann.“ Emulgatoren kommen in zahlreichen Lebensmitteln vor, die aus verarbeiteten Rohstoffen bestehen – so zum Beispiel in Wurst, Eiscreme und Schokolade. Sie sorgen für eine längere Haltbarkeit der Lebensmittel und eine verbesserte Konsistenz, indem sie wässrige und fetthaltige Bestandteile miteinander verbinden. Der Einsatz von Lebensmittelzusätzen hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Diese Additive lediglich darauf zu prüfen, ob sie unmittelbar giftig oder krebserregend sind, reiche offenbar nicht aus, mahnen die Autoren.