Wie steht es um die Behandlung von Kopfschmerzen in Deutschland? Dazu gab es eine aufschlussreiche Session beim Deutschen Schmerzkongress. Die DocCheck News waren für euch dabei.
Wer kennt ihn nicht: den Kopfschmerz. Die Ursachen sind unterschiedlich; Schwere und Art der Schmerzen wechselt von Patient zu Patient. Im Hinblick auf die hohe Prävalenz (in Deutschland in Querschnittserhebungen rund 60 % in 12 Monaten) ist es daher umso wichtiger, dass die ursächlichen Erkrankungen korrekt diagnostiziert und behandelt werden. Um einer Chronifizierung der Schmerzen vorzubeugen, ist auch die Bedeutung von prophylaktischen Behandlungen nicht zu unterschätzen.
Im Kampf gegen den Kopfschmerz kommt den Hausärzten eine besondere Rolle zu, da sie zumeist die erste Anlaufstelle für die Patienten sind. Daher befragte die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) im vergangenen Jahr neben Spezialisten auch Allgemeinmediziner, um ein umfassendes Bild der Kopfschmerzbehandlung in Deutschland zu bekommen. In zwei Online-Befragungen wurden stichprobenartig 150 Allgemeinärzte, Praktiker und Internisten (API) und 81 Kopfschmerzspezialisten um Auskunft gebeten, wie die Behandlungen in ihren Praxen ablaufen. Die Ergebnisse der Untersuchung stellte die Vizepräsidentin der DMKG, Dr. Stefanie Förderreuther, auf dem Deutschen Schmerzkongress 2021 vor.
Wie viel Zeit haben die Ärzte für ihre Patienten? „Wer von seinem Hausarzt länger als 15 Minuten gesehen wird, ist ein Glückskind“, fasste Förderreuther den ersten Teil der Befragung zusammen. Die meisten befragten API (60 %) gaben an, nur zwischen 10 und 15 Minuten pro Patient erübrigen zu können. Die Zeit ist knapp für eine gründliche Anamnese und Behandlung, da es nicht nur um den Kopfschmerz an sich geht. Zahlreiche andere Faktoren spielen bei den Erkrankungen eine Rolle und müssen bei der Diagnose mit einbezogen werden.
Auch für die Aufklärung des Patienten wird Zeit benötigt – Zeit, die dann mitunter für die Anamnese fehlt. Dort sieht die DMKG einen Angriffspunkt, um die Hausärzte in ihrer Arbeit zu unterstützen: Durch das Zurverfügungstellen von kostenlosen Infomaterialien soll den Ärzten kleinteilige Aufklärungsarbeit abgenommen werden. Auch ausführliche Anamnesebögen könnten nützlich sein, die die Patienten schon vor dem Arztbesuch ausfüllen und so dem Hausarzt die Diagnose erleichtern.
Spezialisten können sich hingegen mehr Zeit nehmen für ihre Patienten. 75 % gaben in der Befragung an, mehr als 15 Minuten Zeit pro Patient zu haben; insgesamt 27 % gaben sogar an, mehr als 30 Minuten Zeit zu haben.
Auch die Frage nach den häufigsten Diagnosen wurde gestellt. Für Förderreuther waren die Ergebnisse überraschend: 79 % der befragten Allgemeinmediziner gaben an, dass bei ihren Patienten (fast) immer Spannungskopfschmerz auftrat. „Den Spannungskopfschmerz als größtes Problem hätte ich nie so angegeben“, so Förderreuther. Zwar ist der Spannungskopfschmerz die am häufigsten vorkommende Art von primären Kopfschmerzen, jedoch ist er meist weniger schmerzhaft. Erst wenn er sehr häufig auftritt und der Leidensdruck groß ist, suchen Patienten den ärztlichen Rat. Daher ist die hohe Prävalenz in den Praxisbefragungen bemerkenswert.
Förderreuther zeigte sich auch überrascht davon, dass die API bereits an zweiter Stelle den zervikogenen Kopfschmerz nannten (69 %); die Migräne jedoch erst an vierter Stelle. Dabei ist aus Studien bekannt, dass schwere Kopfschmerzen, die ärztlicher Behandlung bedürfen, in den meisten Fällen auf Migräne zurückzuführen sind. Die Prävalenz der Migräne wurde in einer deutschen epidemiologischen Studie auf etwa 10 % beziffert, während zervikogener Kopfschmerz nur auf 0,4–2,5 % geschätzt wurde. Ihre Schlussfolgerung daher: „Das zeigt mir einfach, dass ganz offenkundig die tatsächliche Migräne noch unterschätzt wird in diesen Praxen“.
Nicht nur API, auch Spezialisten scheinen den Anteil an zervikogenen Kopfschmerzen zu überschätzen: Zwei Drittel der Befragten gaben an, zervikogenen Kopfschmerz in ihrer Praxis häufig oder sogar am häufigsten zu diagnostizieren. Das Problem vermutet Förderreuther in der mangelnden Abgrenzung zur Migräne. Nackenschmerzen könnten irrtümlich als Symptom von Störungen an der Halswirbelsäule gedeutet werden, obwohl sie häufig auch auf eine Migräne zurückzuführen sind. Tatsächlich zeigte eine Studie, dass Nackenschmerzen häufig als Begleitsymptom einer Migräne auftreten – häufiger als Übelkeit sogar. „Da braucht es tatsächlich bei beiden Berufsgruppen noch sehr viel Aufklärungsarbeit“, resümiert Förderreuther.
Obwohl ihr Anteil möglicherweise noch unterschätzt wird, ist die Migräne trotzdem auf Platz 1 der Diagnosen von Spezialisten und dominiert die Kopfschmerzbehandlung. 89 % der befragten Spezialisten gaben an, die episodische Migräne mit 1–9 Kopfschmerztagen im Monat häufig oder sehr häufig zu diagnostizieren. 72 % machten diese Angaben auch für schwerere Migränefälle mit 10–14 Schmerztagen im Monat.
Bei den Behandlungsmaßnahmen zeigte sich ein deutlicher Unterschied zwischen den Allgemeinmedizinern und den Spezialisten.
Als erste Anlaufstelle kümmern sich die Hausärzte vor allem um das Verbessern der Akutmedikation, um den Patienten eine schnelle Schmerzlinderung zu bieten. Oft wird auch an Spezialisten weiter verwiesen oder eine nicht-medikamentöse Therapie empfohlen. Darunter fallen beispielsweise Entspannungstechniken, Ausdauersport oder Physiotherapie. Der Stellenwert der nicht-medikamentösen Therapien wird unabhängig von der Berufsgruppe als hoch (87 % bei APIs, sogar 92 % bei Spezialisten) eingeschätzt – nicht nur bei Kopfschmerzen im Allgemeinen, sondern auch im Speziellen für Migräne.
Worin sich die Berufsgruppen aber unterschieden und Förderreuther noch Verbesserungsbedarf sieht, ist das Maß an Migräne-Prophylaxe. Allgemeinärzte ließen ihrer Meinung nach viele Möglichkeiten zur medikamentösen Behandlung ungenutzt. Nur gelegentlich wird in Hausarztpraxen die medikamentöse Prophylaxe begonnen oder angepasst; wenn, dann in der Mehrzahl mit gut bekannten Medikamenten wie beispielsweise Betablockern. Spezialisten setzten hingegen deutlich häufiger auf medikamentöse Prophylaxe. Speziellere Therapien wie beispielsweise monoklonale Antikörper, die mitunter eine höhere Wirksamkeit haben können, kommen in den spezialisierten Praxen erwartungsgemäß häufiger zum Einsatz
Diese diversen Therapiemöglichkeiten führt die DMKG auch in ihrer Leitlinie zur Behandlung und Prophylaxe von Migräneattacken auf. Diese wurde gemeinsam mit der DGN entwickelt. Doch auch wenn die Behandlungen ihren Einzug in die tatsächliche medizinische Praxis gefunden haben, werden sie doch noch nicht in dem Maße genutzt, wie es sich die DMKG wünschen würde. Der Grund dafür ist womöglich ein einfacher: Die Leitlinie ist schlicht nicht bekannt.
Auf Nachfrage gaben nur 19 % der Allgemeinmediziner an, dass ihnen die Leitlinie gut vertraut wäre. Die Mehrheit (64 %) der Befragten kannte die Leitlinie im besten Fall dem Namen nach und wendete diese dementsprechend auch nicht an. Förderreuther bedauerte das sehr, insbesondere da die Leitlinie durch viele Übersichtsabbildungen sehr eingängig und leicht umzusetzen sei.
Um insbesondere die APIs besser zu erreichen und die Umsetzung der Leitlinie zu vereinfachen, hat die DMKG daher eine Kurzbroschüre erstellt, die die Leitlinie zusammenfasst. Die Broschüre und weitere Informationsmaterialien findet ihr hier. Neben Fortbildungen und Informationsmaterial sieht die DMKG-Vizepräsidentin die Lösung vieler Probleme auch darin, den Patientenfluss zu verbessern. Schwer Betroffene müssten rascher von den Hausärzten zu den Spezialisten überwiesen werden, die allerdings oft lange Wartezeiten haben. Bessere Netzwerkstrukturen sollen Abhilfe schaffen.
Bildquelle: Vinicius "amnx" Amano, Unsplash