Bei der Multimedikation älterer Patienten den Durchblick zu behalten, ist auch für Ärzte oft nicht leicht. Für den Bereich des Harntrakts soll eine App jetzt Abhilfe schaffen.
Mit einer Handy-App können Ärzte ab sofort nachschlagen, ob und welche Nebenwirkungen von Medikamenten auf den Harntrakt ausgehen. Andreas Wiedemann, Deutschlands erster Professor für Uro-Geriatrie und Chefarzt der Urologie am Krankenhaus Witten, hat die Anwendung mit seiner Arbeitsgruppe am Lehrstuhl für Geriatrie der Universität Witten/Herdecke entwickelt. Der Wittener Harntrakt-Rechner ist hier zu finden.
„Dass viele Medikamente teilweise unbekannte Nebenwirkungen entfalten, sich nicht mit anderen Medikamenten vertragen und deren Abbau hemmen oder fördern, ist gerade in der Altersmedizin seit langem bekannt“, schildert Wiedemann die Ausgangslage des Projektes. Oftmals schaukele sich die Multimedikation zu einem gefährlichen Cocktail auf. Nicht selten seien solche Medikamentennebenwirkungen bei Blutverdünnern, Zuckermedikamenten oder Blutdruckpräparaten der Grund für eine Krankenhausaufnahme.
Das Forscherteam hat medizinische Datenbanken durchsucht und die dort genannten Nebenwirkungen mit den aktuellsten Forschungsarbeiten abgeglichen. „Heraus kam eine Liste von 257 Medikamenten, die hier ein potenzielles Risiko darstellen. Die haben wir 33 Experten vorgelegt und sie bewerten lassen, ob sie eine solche Nebenwirkung schon selten, manchmal oder häufig erlebt haben“, beschreibt Wiedemann das weitere Vorgehen. So seien zwei Listen mit Scores entstanden, die jeder urologisch tätige Arzt nutzen kann.
In der App können Ärzte verschiedene Handelsnamen und Wirkstoffe nachschlagen sowie sich deren Nebenwirkungen mit dem Theorie- und dem Praxis-Punktwert anzeigen lassen. Umgekehrt können auch Nebenwirkungen eingegeben werden; die App zeigt dann mögliche Übeltäter an. Bei der Neuverordnung eines Medikaments soll es damit einfacher werden, einzuschätzen ob es bei den bekannten Risiken und Vorerkrankungen der Patienten zu Nebenwirkungen im Harntrakt kommen kann. Außerdem kann man einen bestehenden Medikationsplan durchsehen und klären, ob eine Störung im Harntrakt medikamentös (mit-) verursacht ist.
Listen mit Nebenwirkungen gibt es bereits einige, die aber in der Regel nur eine bestimmte pharmakologische Gruppe von Nebenwirkungen („anticholinergic burden score“), eine Gruppe von Medikamenten bestimmter Indikation (LUTS-Forta) oder eine ausgewählte Gruppe von Patienten (PRISKUS-Liste, beers-Liste) betrachten. Die App will hier eine praxisnahe Übersicht mit Fokus auf den Harntrakt bieten.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Universität Witten/Herdecke.
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