Appendizitis-Patienten müssen nicht gleich unters Messer. In den USA ist man sich sicher: Die Therapie mit Antibiotika kann eine ebenso gute Wahl sein. Hierzulande zögern die Chirurgen noch.
Muss der Blinddarm bei Entzündung immer raus? Seit einigen Jahren deutet sich hier ein Umdenken an: Immer mehr Studien zeigen, dass die Behandlung mit Antibiotika in vielen Fällen einer OP ebenbürtig sein könnte – so lautet auch das Ergebnis einer aktuellen Studie, die heute im NEJM erscheint.
In die bislang größte randomisierte Studie ihrer Art, die CODA-Studie, haben US-Mediziner insgesamt 1.552 Patienten mit einer unkomplizierten Appendizitis einbezogen. Nach dem Zufallsprinzip erhielten die Patienten entweder Antibiotika oder eine Appendektomie.
Eine erste Auswertung der Daten aus dem letzten Jahr, ebenfalls im New England Journal publiziert, zeigte, dass 20 Prozent der Patienten aus der Antibiotikagruppe innerhalb von 30 Tagen doch eine Appendektomie erhalten mussten; nach 90 Tagen stieg diese Quote auf 29 Prozent an. Die meisten Patienten mussten innerhalb von 3 Monaten also nicht nachträglich operiert werden; die Antibiotika-Therapie hatte ausgereicht. Allerdings traten in der Antibiose-Subgruppe bei Patienten mit Appendikolithen innerhalb von 30 Tagen häufiger Komplikationen auf (20,2 %) im Vergleich zur Appendektomie-Gruppe (3,6 %). Nach 90 Tagen war die Wahrscheinlichkeit einer Appendektomie bei Patienten mit einem Appendikolithen jedoch nicht erhöht.
Nun sind 90 Tage kein langer Zeitraum. Wie sieht es auf der Langstrecke aus? Diese Frage beantwortet die Langzeitauswertung der CODA-Studie, die jetzt erschienen ist. Sie zeigt, dass die Antibiose mit einer Appendektomie auch im Mehrjahresverlauf mithalten kann, aber nicht uneingeschränkt: „In den ersten drei Monaten nach der Einnahme von Antibiotika vermieden fast 7 von 10 Patienten in der Antibiotikagruppe eine Blinddarmoperation. Nach vier Jahren hatten knapp 50 Prozent die Operation hinter sich“, kommentiert Dr. David Flum, Mitautor der Studie und stellvertretender Vorsitzender der Chirurgie an der University of Washington School of Medicine die aktuellen Ergebnisse. „Alles zusammengenommen scheinen Antibiotika für viele, aber wahrscheinlich nicht für alle Patienten mit Blinddarmentzündung die richtige Behandlung zu sein.“
In der aktualisierten US-amerikanischen Leitlinie wird die Antibiotika-Therapie inzwischen zur Erstbehandlung einer unkomplizierten Appendizitis empfohlen. „Angesichts dieser Ergebnisse und der neuen Behandlungsrichtlinien ist es wichtig, dass Chirurgen und Patienten die Vor- und Nachteile einer Operation und Antibiotika erörtern“, so Dr. Giana Davidson, Leiterin des klinischen Koordinierungszentrums der CODA-Studie. „Damit lässt sich entscheiden, welche Therapie für die jeweilige Person zu diesem Zeitpunkt am besten geeignet ist.“
Hierzulande sind sich Chirurgen noch nicht so sicher: Eine Expertengruppe sprach sich in einer Veröffentlichung aus dem letzten Jahr noch für die Operation als Behandlung der Wahl aus – trotz vermehrter Hinweise, dass eine Antibiose bei vielen Patienten ausreichen könnte. Allerdings soll demnächst eine Aktualisierung der Therapie-Empfehlung folgen. Es wäre die erste offizielle Appendizitis-Leitlinie im AWMF-Kontext überhaupt.
Bildquelle: Mathew Schwartz, Unsplash