Viele Blutdruck-Patienten wünschen sich, wieder ganz ohne Medikamente auszukommen. Wenn ein Kunde in der Apotheke fragt, was er da tun kann, gebe ich diese Antworten.
Jeder, der in der Apotheke Bluthochdruckpatienten berät, kennt sich mit den nichtmedikamentösen Empfehlungen aus. Empfohlen werden in erster Linie Sport, Abbau von Übergewicht, Verzicht auf Alkohol, Nikotin und Salz. Doch welchen Einfluss kann der Patient damit eigentlich auf seine Grunderkrankung nehmen? Was antworten wir, wenn gefragt wird, wie stark sich hoher Blutdruck damit eigentlich senken lässt und ob man vielleicht ganz um die Einnahme von Medikamenten herumkommen kann?
Einige Antworten auf diese Fragen gab Dr. Nicolle Müller beim diesjährigen Fortbildungskurs in praktisch-klinischer Diabetologie des Diabeteszentrums Thüringen (DZT). Ihr Vortrag zeigte mal wieder, wie wichtig es ist, auf dem Laufenden zu bleiben, um Menschen in der Apotheke umfassend zu beraten – auch über ihre Medikation hinaus.
Müller bezog sich auf die aktuelle S3-Leitline „Hausärztliche Risikoberatung zur kardiovaskulären Prävention“. Demnach sollten Hausärzte ihre Patienten mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko zu ihren gesundheitsbezogenen Verhaltensweisen (Bewegung, Ernährung, Rauchstopp) beraten. Das sollte gleichermaßen auch für die Beratung in der Apotheke berücksichtigt werden. Da eine Lebensstiländerung besonders dann gut funktioniert, wenn man sie nicht alleine bewältigen muss, scheint die Teilnahme an einem Kurs den Patienten – also der Austausch mit anderen Betroffenen – besonders viel zu bringen. Es gibt auf diesem Gebiet einige Angebote von Sportvereinen oder Ernährungsschulungen, die teilweise auch von den Krankenkassen übernommen werden.
Ein Zusammenspiel der verschiedenen Faktoren ist für ein besseres Körpergefühl und die Senkung des Blutdrucks sicherlich sinnvoll. Dass eine regelmäßige moderate Aktivität (3–5 Tage/Woche, je ca. 30 Minuten) dauerhaft nur einen Effekt von -5 mmHg systolisch und -3 mmHg diastolisch bringt, klingt als nackte Zahl doch eher ernüchternd. Das Patienten in der Apotheke mitzuteilen, bringt wohl eher wenig.
Die Leitlinie ist hier etwas griffiger: Ein um etwa 35 % vermindertes kardiovaskuläres Risiko ist für Patienten besser fass- und begreifbar. Sie liefert auch die Erklärung für den Begriff „moderate körperliche Aktivität“, nämlich „wenn Atemfrequenz oder Puls deutlich spürbar steigen und ein Wärmegefühl – bei feuchter oder warmer Umgebung auch Schwitzen – ohne das Gefühl der Erschöpfung entsteht“. Es geht also nicht unbedingt darum, explizit Sport zu treiben. Als typische Aktivitäten in diesem Bereich werden die Fortbewegung zu Fuß oder mit dem Fahrrad, regelmäßige körperliche Aktivität bei der Berufstätigkeit, regelmäßige Tätigkeit im Haushalt oder Garten oder regelmäßiger Freizeitsport mit moderater Intensität genannt. Das kann auch ein älterer Mensch meist noch leisten und klingt für eher unsportliche Menschen auch nicht gleich so abschreckend, sondern machbar und vor allem in den Alltag integrierbar.
Im Vortrag wird zum Thema Ernährung und Gewichtsabbau auf ein Cochrane-Review verwiesen, das eine zu erwartende Blutdrucksenkung von etwas mehr als 1 mmHg pro verlorenem Kilogramm Körpergewicht ausweist. Das klingt nicht viel, doch je nach Ausmaß des Übergewichtes kann dessen dauerhafte Reduktion dann durchaus – im wahrsten Sinne des Wortes – ins Gewicht fallen.
Wichtig für die Beratung in der Apotheke ist, dass die immer wieder propagierte salzarme Kost dagegen komplett überholt scheint. Im Gegenteil mehren sich die Beweise dafür, dass eine moderate Salzaufnahme von 3–5g pro Tag, wie sie bei der ganz normalen Ernährung üblich ist, auch das Gesündeste ist. Für alle, die noch immer anders beraten, empfehle ich eine ganz aktuelle Rezension der Autoren Andreas Mente, Martin O'Donnell und Salim Yusuf. Eine Salzreduktion auf unter 3 Gramm pro Tag könne zwar den Blutdruck senken, führe aber trotzdem zu einer erhöhten Mortalitätsrate.
Der Verzicht auf Alkohol und Nikotin ist zwar unstrittig ein Gewinn für die Gesundheit, die Evidenz für Senkung des Blutdrucks sei laut Müller im Bezug auf Alkohol aber eher schwach, in Bezug auf einen Rauchverzicht fehle sie ganz.
Sieht man sich die Leitlinie an, fällt vor allem auf, dass Patienten von nichtmedikamentösen Maßnahmen profitieren, wenn sie sich selbst intensiver beobachten und ihre Verhaltensweisen auch zu Papier bringen. Das Führen eines Blutdruck-Tagebuchs könnte hier angeregt werden, in dem die Patienten täglich das Ergebnis ihrer Selbstmessung und wöchentlich ihr Gewicht und eventuelle sportliche Aktivitäten eintragen. Das lässt sich bei einem Gespräch über die Erkrankung auch innerhalb des kurzen Zeitraumes anregen, der zur Verfügung steht, wenn man die Medikamente abgibt. Es ist ein Gewinn für die Gesundheit der Patienten und ein neues Band, das man zur Kundenbindung knüpfen kann. Wer sich gut beraten fühlt, der kommt wieder – trotz E-Rezept und der Konkurrenz aus dem benachbarten Ausland.
Diese Aufzeichnungen können auch bei der Therapie durch den Hausarzt gute Dienste leisten, denn wenn der Patient sie sorgfältig führt, ist für den Arzt schneller erkennbar, wann ein kardiovaskuläres Ereignis droht. In ihrem Vortrag erläuterte Müller, dass die Effektivität der Blutdrucksenkung bei der Eigenmessung stark von der Intensität der begleitenden Intervention abhing. „Es zeigte sich kein Effekt bei ausschließlicher Blutdruck-Selbstkontrolle (-1,0 mmHg, 95 %-KI -3,3 bis 1,2) bis hin zu einer starken Blutdrucksenkung von 6,1 mmHg (95 %-KI -9,0 bis -3,2) bei intensivem Support. Dies zeige, dass es sinnvoll wäre, die vom Patienten gemessenen Blutdruckwerte gemeinsam mit dem Arzt auszuwerten und zu besprechen.“
Es kann also für alle Seiten lohnend sein, sich mit der Lebenssituation der Stammkundschaft auseinanderzusetzen und sie bewusst anzusprechen und zu beraten. Je mehr sich alle Beteiligten mit der Krankheit auseinandersetzen, darüber sprechen und sinnvolle nichtmedikamentöse Ratschläge geben, desto eher kann der Krankheitsverlauf positiv beeinflusst werden. Überholte Maßnahmen wie ein übertriebener Salzverzicht schränken die Lebensqualität ein und sind darüber hinaus nicht einmal sinnvoll. Das Beschäftigen des Patienten mit der Erkrankung dagegen und das Gefühl, selbst mehr bewirken zu können als nur Tabletten zu schlucken, sind starke Antriebsfedern, die nicht unterschätzt werden sollten.
Bildquelle: Jason Tuinstra, Unsplash