Das griechische Gesundheitssystem ist gewiss besser als die Reputation, das es genießt. Es ist aber wohl das komplexeste und - für Ausländer - verwirrendste weit uns breit. Zunächst einmal existiert eine Koexistenz des nationalen Gesundheitssystems mit obligatorischer Sozialversicherung und einem stark ausgeprägten privaten Gesundheitssystem. Das nationale System bietet der Bevölkerung einen universellen Versicherungsschutz, der umso universeller wird. je mehr man als Versicherter seinen Arzt bei Laune hält. Rund 20% der Bevölkerung (die Datenlage ist, wie stets in diesem ansonsten wunderbaren Land, nicht ganz sicher) verfügen über eine freiwillige Zusatzversicherung, die zusammen mit einer Selbstbeteiligung einen bemerkenswert großen privaten Gesundheitsmarkt finanziert.
Trotz Bemühungen diverser Regierungen blieb das griechische Gesundheitssystem bis Anfang der 1980er eines der am wenigsten entwickelten unter den OECD-Ländern, mit vielen Lücken in der Bereitstellung, Organisation und Finanzierung der Gesundheitsversorgung. Das System zeichnete sich durch einen Mangel an Infrastruktur und angemessener Finanzierung aus, und es gab große Ungleichheiten beim Zugang zur Gesundheitsversorgung. Vor diesem Hintergrund waren die 1981 eingeführten Gesundheitsreformen dringend notwendig. Damals wurde ein nationales Gesundheitssystem geschaffen, das eine kostenlose und relativ breite Gesundheitsversorgung für die gesamte Bevölkerung gewährleisten sollte. Dieses Ziel wurde zu nennenswerten Teilen erreicht, sagen wir über den Daumen gepeilt zu 75%.
Gleichzeitig explodierte der private Gesundheitssektors förmlich, auf den heute gut als die Hälfte der Gesundheitsausgaben entfallen, offen und informell, wie so vieles hier. So ist das griechische Gesundheitssystem ein gemischtes System, interessant für Investoren und auch mittelständische Privatkliniken. Allerdings sollte man die griechische Bürokratie niemals auch nur eine Sekunde unterschätzen. Selbst durch Abstammung mit diesem wunderschönen Land tief verbunden und Deutschland gut kennend, sage ich es mal so: die Preußen mögen den Amtsschimmel erfunden haben, wir Griechen haben ihn jedoch perfektioniert und mehrfach geklont. In kaum einem anderen Land herrscht eine derartige Klein- und Kleinstteilung der Kompetenzen, die sich gerne auch mal überlappen. Ohne Kenntnis der örtlichen Gegebenheiten sind Nichtgriechen gleichsam zum Scheitern verurteilt oder erlernen die hohe Kunst der Geduld. Denn hier wird oftmals nicht nur komplexer gearbeitet, sondern auch genauer hingeschaut das gerne mehrfach.
Der staatliche Gesundheitsdienst umfasst rund 130 allgemeine und spezialisierte Krankenhäuser mit, grob überschlagen, 30.000 Betten (Vorsicht mit hellenischen Statistiken) die aus dem Staatshaushalt und von den Sozialversicherungen finanziert werden. Sie bieten eine Vollversorgung bei Notfällen, ambulanten und stationäre Behandlungen. Darüber hinaus gibt es mindestens zehn hervorragende Militärkrankenhäuser und Universitätskliniken, die vom Verteidigungs- bzw. Bildungsministerium verwaltet und finanziert werden. Das öffentliche Gesundheitssystem umfasst außerdem zahlreiche Gesundheitszentren für eine koordinierte Primärversorgung und immerhin mindestens 1000 ländliche Arztpraxen, die aus dem Staatshaushalt finanziert werden und während der Finanzkrise besonders hart getroffen wurden. Vorsicht sollte man auf den unzähligen Inseln walten lassen, denn dort ist die Versorgung dünn bis nichtexistent.
Das primäre, sekundäre und tertiäre öffentliche Gesundheitssystem wird von unzähligen regionalen Gesundheitsbehörden verwaltet, die von Exekutivbeamten mit beeindruckenden Titeln geleitet werden. Sie sind dem Ministerium für Gesundheit und soziale Solidarität sowie bisweilen auch anderen Behörden und Institutionen unterstellt oder mit ihren verflochten. Als Versorger oder gar als Patient den richtigen Ansprechpartner zu finden, gleicht ohne robuste Kenntnisse der griechischen Sprache daher bisweilen einer Reise ins organisatorische Nirvana. Letztendlich klappt es dann meist doch und das Niveau der Medizin, die hier praktiziert wird ist hoch und auf EU-Niveau.
Die Sozialversicherungskassen bieten eine Absicherung für Gesundheitsleistungen für ihre Versicherten beim nationalen Gesundheitsdienst, aber teil auch bei einigen privaten Anbietern an (undurchschaubar, stets im Einzelfall klären!). Die meisten, aber nicht alle dieser Kassen sind unabhängige Einrichtungen, die verschiedene Berufsgruppen abdecken und unter der Aufsicht des Ministeriums für Arbeit und Soziales stehen. Sie bieten unterschiedliche Leistungen und einen stark voneinander abweichenden Versicherungsschutz.
Der private Sektor, der Ärzte, Praxen, Diagnosezentren, Labors und Krankenhäuser umfasst, hat in den letzten anderthalb Jahrzehnten ein beträchtliches Wachstum erlebt, und das griechische Gesundheitssystem war bis 2008 auf dem Weg zu einer deutlichen Privatisierung. Dieser Trend ging danach in eine Plateauphase über.
Für mit diesem Land verbundene Menschen, ist es der wunderbarste Ort mit einer angenehmen Mentalität und gut ausgebildeten Medizinern auf allen Ebenen. Zum hierher “mal eben auswandern” ist die Hellenische Republik allerdings aufgrund der peniblen und hochkomplexen Verwaltung dann doch eher weniger geeignet.