Um das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen konkret festlegen zu können, sind Arztbesuche und Laboruntersuchungen nötig. Ein nicht-klinisches Vorhersagemodell soll das ändern.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind hierzulande mit 40 Prozent aller Sterbefälle die häufigste Todesursache. Neben unveränderbaren Faktoren wie Alter, Geschlecht und genetischer Veranlagung hat der Lebensstil einen großen Einfluss auf die Gesundheit des Herz-Kreislauf-Systems. Ein verändertes Ernährungs-, Bewegungs- und Rauchverhalten sowie die Behandlung von Bluthochdruck, Übergewicht, Diabetes und Fettstoffwechselstörungen sind wichtige Stellschrauben, um das individuelle Erkrankungsrisiko zu senken. Wie hoch dieses für einen Menschen ist, ließ sich bislang jedoch nur aufwendig ermitteln.
Eine zuverlässige, evidenzbasierte Risikoabschätzung für Herz-Kreislauf-Erkrankungen beschränkt sich aktuell weitestgehend auf den klinischen Bereich, denn sie erfordert meist körperliche Untersuchungen und Blutanalysen durch medizinisches Personal. „Die wenigen Vorhersagemodelle, die sich unabhängig von einer medizinischen Untersuchung nutzen lassen, haben methodische Einschränkungen und ihre Anwendung erfordert beispielsweise Informationen zur Aufnahme einzelner Nährstoffe wie Ballaststoffe. Dadurch sind sie ohne eine umfassende Datenerhebung zur Ernährung kaum anwendbar“, erklärt Dr. Catarina Schiborn, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Molekulare Epidemiologie am DIfE.
Ziel der Wissenschaftlerin war es daher, ein evidenzbasiertes Vorhersagemodell zu entwickeln, welches das Erkrankungsrisiko unabhängig vom Arztbesuch ermittelt und dabei leicht zu erfassende Informationen nutzt. „Ein solches Werkzeug würde die Präventionsmöglichkeiten erheblich verbessern, denn durch den breiten Einsatz könnten Hochrisikopersonen frühzeitig auch im Rahmen von zum Beispiel Gesundheitskampagnen und -screenings erkannt, informiert und im weiteren Verlauf behandelt werden“, sagt Schiborn.
Für die Entwicklung des Vorhersagemodells hat das Forscherteam auf die Gesundheits- und Lebensstil-Daten von rund 27.500 Teilnehmern der EPIC-Potsdam-Studie zurückgegriffen. In die statistischen Modellierungen flossen Parameter ein, die für die Vorhersage von Herz-Kreislauf-Erkrankungen relevant sind. Dazu zählen Faktoren wie Alter, Geschlecht, Hüftumfang, Rauchverhalten, Bluthochdruck und Typ-2-Diabetes sowie Erkrankungsfälle in der Familie. Außerdem erfasst das Modell Ernährungsgewohnheiten, wie beispielsweise den Verzehr von Vollkornprodukten, rotem Fleisch und Pflanzenölen. Anhand dieser Daten gelang es den Forscher zuverlässig zu berechnen, wie groß das Risiko eines Menschen ist, innerhalb der kommenden zehn Jahre einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall zu erleiden.
Um zu bewerten, wie gut das Modell das Eintreten dieser Endpunkte vorhersagt, nutzten die Wissenschaftler Daten der EPIC-Studie. Zudem verglichen sie ihre Berechnungen mit etablierten Vorhersagemodellen, die klinische Parameter einschließen. Das Ergebnis: Das entwickelte nicht-klinische Vorhersagemodell sagt die Wahrscheinlichkeit einer Herz-Kreislauf-Erkrankung für die nächsten zehn Jahre ebenso präzise voraus wie klinische Modelle, die eine medizinische Untersuchung erfordern. Eine ebenfalls entwickelte Erweiterung, die klinische Parameter berücksichtigt, verbesserte die Vorhersagegüte nur wenig.
„Dass unser Vorhersagemodell sich im Vergleich zu klinischen Tests stärker auf Verhaltensparameter stützt, ist ein großer Vorteil“, sagt Prof. Matthias Schulze, Leiter der Abteilung Molekulare Epidemiologie am DIfE. „So tritt die Bedeutung eines präventiven Lebensstils für die Herz- und Gefäßgesundheit in den Vordergrund, statt den Fokus auf die medikamentöse Behandlung als Konsequenz eines unvorteilhaften Lebensstils zu richten.“ Da das Modell beeinflussbare Risiken wie Hüftumfang, Rauch- und Ernährungsverhalten berücksichtigt, kann es für konkrete individuelle Empfehlungen genutzt werden, wie sich das Erkrankungsrisiko durch eine Verhaltensänderung senken lässt.
In einem nächsten Schritt wollen die Wissenschaftler das Vorhersagemodell in Form eines Risiko-Tests als frei verfügbaren Papier- und Online-Fragebogen zur Verfügung stellen. Geplant ist, das Online-Tool mit dem Deutschen Diabetes-Risiko-Test® (DRT) zusammenzuführen, so dass eine kombinierte Risiko-Vorhersage für eine Typ-2-Diabetes-und Herz-Kreislauf-Erkrankung möglich ist.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: petr sidorov, Unsplash