In diesem Herbst hat die Zahl der Pilzvergiftungen enorm zugenommen. Worauf man bei der Behandlung solcher Fälle achten muss, lest ihr hier.
Rund 1.000 Pilzvergiftungen und Verdachtsfälle gehen jedes Jahr bei den Giftinformationszentren (GIZ) der Länder ein. Bisher seien jedoch knapp 50 Prozent mehr Anfragen zu Pilzvergiftungen eingegangen als zum gleichen Zeitpunkt im Vorjahr, heißt es vom GIZ Rheinland-Pfalz und Hessen. Wie viele Pilzvergiftungen und dadurch bedingte Todesfälle es aber tatsächlich gibt, ist unklar, denn es existiert kein zentrales Melderegister. Seit 1990 besteht zwar nach dem Chemikaliengesetz eine ärztliche Meldepflicht für Vergiftungsfälle. Das gilt aber nicht für Vergiftungen mit Pilzen!
Der in Deutschland bekannteste Giftpilz ist sicherlich der Fliegenpilz, frisch zum Pilz des Jahres 2022 gekürt. Er ist aber nur einer von etwa 150 Giftpilzen, die für Europa beschrieben sind. Insgesamt umfasst das Reich der Pilze über 200.000 verschiedene Exemplare auf der ganzen Welt.
Bücher und Internetquellen bieten trügerische Hilfe zur Bestimmung des gesammelten Materials an. Auch Google Lens gibt sich als Pilzberater aus. Ohne differenzierte Kenntnisse in Botanik und Mykologie kommt man hier aber schnell an seine Grenzen. Eine „sichere“ Hilfe sollen hier diverse Apps bieten – auf dem Smartphone den Standort eingeben, ein Foto vom Pilz aufnehmen und es erscheint die Auswertung. Essbesteck als Symbol verspricht ein schmackhaftes Pilzvergnügen und ein Totenkopf signalisiert „Finger weg“.
Die Finger sollte man jedoch auch von eben jenen Bestimmungsapps lassen. Davor warnt das GIZ Nord in Göttingen eindringlich. Auch die Deutsche Gesellschaft für Mykologie ist skeptisch: „Keines der getesteten Produkte kann einen unerfahrenen Anwender sicher durch die verwirrende Vielfalt an Pilzarten und Fruchtkörperformen geleiten, die wir im Wald finden. Ein Speisepilzsammler, der sich bei der Bestimmung nur von einer App leiten lässt, spielt grob fahrlässig mit seiner Gesundheit“, so die Experten.
Es gibt viele Ratschläge, wie man angeblich Giftpilze erkennen kann: Ein sich verfärbender Silberlöffel, ein Farbwechsel einer Zwiebel beim Kochen oder eine Farbreaktion beim Beträufeln des Pilzextraktes auf einer Zeitung mit Salzsäure. Alle „Hausmittel“ sind nicht geeignet, Gift- von Speisepilzen zu unterscheiden. Auch Tierfraßspuren am Pilz bieten keinesfalls Sicherheit. Der Grüne Knollenblätterpilz beispielsweise ist für den Menschen tödlich giftig, wird von Kaninchen und anderen Tieren aber vertragen.
Dennoch gibt es eine Hilfestellung bei der Unterscheidung ob der Pilz in die Pfanne oder den Wald gehört. Dazu genügt ein Blick auf die Unterseite des Pilzes. Sieht man dort Röhren oder Leisten, ist der Pilz vermutlich nicht toxisch.
Der Steinpilz beispielsweise hat Röhren, diese erinnern vom Aussehen an einen porigen Badeschwamm. Eierschwämmchen haben Leisten. Die meisten Giftpilze besitzen Lamellen, so wie der Knollenblätterpilz. Aber auch der beliebte Champignon ist ein Lamellenpilz. Das Schweizer Giftinformationszentrum bietet hier eine gute Hilfestellung.
Bei der Vergiftung mit Pilzen ist der zeitliche Symptomverlauf aussagekräftig für die Prognose. Es wird zwischen Intoxikationen mit kurzer Latenzzeit von unter 6 Stunden und mit langer Latenzzeit von 6 bis über 24 Stunden unterschieden. Eine lange Latenzzeit deutet meist auf eine Vergiftung mit einer potenziell tödlichen Pilzgattung hin. Eine kurze Latenzzeit jedoch ist allein nicht aussagekräftig, wie bei einer hochtoxische Knollenblätterpilzvergiftung, da nicht selten Pilze gemischt werden.
Dieser Beitrag beschränkt sich wegen der hohen Toxizität und Häufigkeit auf den grünen Knollenblätterpilz (Amanita phalloides). Bereits ein Esslöffel des Knollenblätterpilzes kann tödlich sein. Die Toxine werden auch beim Einfrieren oder Erhitzen nicht zerstört. 90 Prozent der tödlichen Pilzvergiftungen werden durch ihn verursacht.
Weitere giftige Amanita-Arten sind der Fliegenpilz und der Pantherpilz. Ein weiterer amanitinhaltiger Pilz ist der Gifthäubling (Galerina marginata). Er kann mit dem als Speisepilz verwendeten Stockschwämmchen verwechselt werden, weil sie die selben Standorte mögen. Das Stockschwämmchen hat Schüppchen am Hutrand, Stiel und der Hutunterseite, der Gifthäuptling nicht. Ein weiterer beliebter Zwillingsbruder im Mittelmeerraum ist beispielsweise der essbare Eier-Wulstling.
Doch was passiert im Körper nach dem Verzehr eines solchen giftigen Pilzes? Amanitine, das sind Pilzgifte aus der Klasse der Amatoxine, hemmen die RNA-Polymerase der Zelle und somit die Proteinbiosynthese. Sie schädigen vor allem die Leber.
Der Verlauf der Amanita-Vergiftung tritt typischerweise in drei Phasen auf:
Ein spezielles Gegengift bei der Knollenblätterpilzvergiftung existiert nicht. Die Therapie besteht aus mehreren Säulen:
Eine Vielzahl anderer Therapien, wie zum Beispiel intravenöses Cimetidin oder Thioctsäure, wurden ausprobiert, haben aber nur Unterstützung im Tiermodell.
Die Deutsche Gesellschaft für Mykologie betreibt eine informative Homepage zum Thema Pilze und Pilzvergiftungen. Ein Ratschlag ist jedoch obsolet und gefährlich: „Falls Kohle nicht zu beschaffen ist, in einer derartigen Ausnahmesituation und wenn die Pilzmahlzeit nicht länger als 5–6 Stunden zurückliegt, dem Betroffenen raten, durch „Finger in den Hals stecken“ zu erbrechen“.
Die Giftinformationszentralen und der Berufsverband der Kinderärzte warnen eindeutig vor provoziertem Erbrechen. „Kein Erbrechen herbeiführen“, so die Verbände. Diese Maßnahme ist ineffizient, der Patient kann das Erbrochene in die Atemwege aspirieren und die Herz-Kreislauffunktion kann beeinträchtigt werden.
Bestimmte Pilz- und Wildarten sind in einigen Gegenden Deutschlands durch die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl noch immer stark mit Cäsium-137 belastet, warnt aktuell das Bundesamt für Strahlenschutz. Für den Pilzbericht untersucht das BfS jährlich die Cäsium-137-Belastung von Pilzen an ausgewählten Standorten in Süddeutschland. „Wir sehen, dass die Belastung insgesamt langsam zurückgeht, aber vereinzelt treten immer noch Werte von über 4.000 Becquerel Cäsium-137 pro Kilogramm Frischmasse auf“, so Dr. Inge Paulini, Präsidentin des BfS.
Es gibt leider keinen einzigen Test, der feststellen kann, welcher Pilz giftig ist; „der beste Rat ist, keine wilden Pilze zu essen, sondern sie im Supermarkt zu kaufen“, so ein Ratschlag von Zane et al.
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