Während Ivermectin derzeit als Geheimwaffe gegen COVID-19 gehypt wird, kommt das Mittel eigentlich an anderer Stelle zum Einsatz – und bringt dort auch tatsächlich was. Was Ärzte zu Milben und Krätze wissen sollten.
Nach Angaben der WHO erkranken jährlich weltweit über 200 Millionen Menschen an der Krätze. Und auch in Deutschland hat die Zahl der Infektionen mit der Grabmilbe Sarcoptes Scabiei rapide zugenommen. Die Auswertung von Abrechnungsdaten niedergelassener Ärzte zeigt, dass seit 2009 die Skabiesdiagnosen etwa um den Faktor 9 zugenommen haben. Wo genau die Gründe hierfür liegen, ist bisher nicht geklärt. Selbst das pandemiebedingte social distancing konnte dem Vormarsch der Krätze keinen Riegel vorschieben.
Wie bei allen Milbenarten folgt der Entwicklungszyklus der Krätzmilbe einem gleichbleibenden Schema: Vom Ei, zur Larve, über die Nymphe bis hin zur ausgewachsenen Milbe. Die ausgewachsenen Männchen und Weibchen, aber auch die sechsbeinigen Larven und die Nymphen, haben Haftscheiben an den Beinen, womit sie sich auf der Haut festhalten können; so beschreibt das Umweltbundesamt das Aussehen der Übeltäter.
Für eine Ansteckung reichen bereits wenige Milben oder ein einzelnes befruchtetes Weibchen. Die Spinnentiere bewegen sich recht langsam fort, daher ist für eine Übertragung ein anhaltender Hautkontakt von mindestens fünf bis zehn Minuten erforderlich. Haben die Krätzmilben jedoch einen neuen Wirt gefunden, bohren sie sich in die oberste Hornschicht der Haut und erzeugen kleine, kommaartige Gänge. In diesen legen die Weibchen dann pro Tag bis zu vier Eier ab.
Aus den Eiern entwickeln sich nach etwa zwei bis drei Wochen geschlechtsreife Milben. Dieser Zeitraum ist wichtig bei der Behandlung mit Substanzen, die nicht ovozid sind und nur unzureichend in der Haut gespeichert werden. Dies gilt u. a. für Ivermectin. Außerhalb des Körpers ist die ausgewachsene Milbe in Räumen nur etwa zwei Tage lebensfähig. Die europäische Skabies-Leitlinie weist jedoch darauf hin, dass die noch unreifen Milben extrakutan bis zu einer Woche überleben können – auch durch diese kann, nach Erreichen der Geschlechtsreife, eine Neu- oder Wiederinfektion eines Menschen erfolgen.
Um Gänge und Milben sicher nachweisen zu können, ist eine mikroskopische Untersuchung notwendig. Auffällig sind zwar bisweilen die kleinen, etwa stecknadelkopfgroßen Bläschen, die sich am Ende der Gänge bilden; gerade im Anfangsstadium der Erkrankung können sie jedoch Insektenstichen oder Flohbissen sehr ähnlich sehen. Besteht die Krätze länger, entwickelt sich ein großflächiger Ausschlag, der mitunter als allergische Reaktion fehlinterpretiert werden kann.
Bis Betroffene den Befall mit Krätzmilben bemerken, vergehen etwa sechs Wochen. Das Leitsymptom ist dabei ein kaum aushaltbarer Juckreiz. Ausgelöst wird er durch die Immunantwort des Körpers auf Eier, Kot und Stoffwechselprodukte der Milben. Vor allem nachts sind die Symptome durch die Wärme im Bett besonders ausgeprägt. Der Leidensdruck der Betroffenen ist extrem: Sie kratzen sich nicht selten so stark, dass blutige Wunden entstehen, die wiederum zur Eintrittspforte für andere Krankheitserreger werden können.
Folgende Trias ist charakteristisch für Krätze:
Aber auch wenn mehrere eng zusammenlebende Familienmitglieder unter Juckreiz leiden, sollte an Skabies gedacht werden
Krätzmilben bevorzugen die Zwischenräume von Fingern und Zehen, Handgelenken und Ellenbogen, die Achselhöhlen, die Nabelregion und die Leistengegend. Auch in Analfalten und Genitalien sowie an den Brustwarzen sind sie zu finden. Bei Säuglingen und Kleinkindern können außerdem Kopf, Gesicht, Handflächen und Fußsohlen betroffen sein.
Wie also die Krankheit behandeln? Die Zahl der Antiskabiosa ist überschaubar: Permethrin, Benzylbenzoat, Crotamiton und Allethrin werden äußerlich angewendet; Ivermectin gibt es als dermale Zubereitung und für die orale Anwendung.
Bei Permethrin handelt es sich um ein synthetisches Insektizid und Akarizid aus der Gruppe der Pyrethroide. Es wirkt, indem es die spannungsabhängigen Natriumkanäle der Nervenzellen der Krätzmilben hemmt. Dadurch kommt es zu einem verzögerten Natrium-Einstrom, was zu einer Verlängerung der Depolarisation der Nervenzellmembran und in weiterer Folge zu einer Unterbrechung der Impulsübertragung führt. Schlussendlich verursacht dies dann den Tod der Milben.
Bei Studien mit einer einmaligen Applikation der 5 %igen Permethrincreme zeigte sich bei (je nach Studie) 60 bis 90 Prozent der Patienten eine Heilung innerhalb von einer Woche.
Die Therapie mit Permethrin erfolgt folgendermaßen:
Die Permethrincreme schmilzt auf der Haut, dringt durch die Kapillarkräfte in die Milbengänge ein und tötet dort die Milben. Für den Erfolg der Behandlung ist es wichtig, dass die Creme auf die trockene Haut aufgetragen wird: Duschen die Patienten direkt vor der Anwendung, quillt die Hornschicht der Haut auf und die Milbengänge sind verlegt. Die kutane Bioverfügbarkeit im tiefen Stratum corneum sinkt nach dem Waschen um 30−50 %.
Katzenhalter sollten an dieser Stelle übrigens aufpassen: Permethrin ist für diese Tierart tödlich.
Ivermectin bindet an zwei Chloridkanäle, und zwar den Glutamat- sowie den GABA-abhängigen Chloridkanal. Hauptangriffspunkt ist der Glutamat-abhängige Kanal, welcher nur bei wirbellosen Tieren vorkommt. Die beiden aktivierten Kanäle lassen Chlorid-Ionen in die Zelle einströmen. In weiterer Folge führt dies zu einer Hyperpolarisation der Zelle. Dadurch wird die Erregungsübertragung in den Zellen blockiert und führt bei den Parasiten zu einer Bewegungsparalyse mit anschließendem Tod.
In einer Vergleichsstudie über 4 Wochen von einmaliger topischer Permethrin- Anwendung mit oralem Ivermectin in einfach- oder zweifachverabreichter Form erreichten alle drei Therapieschemata eine Effizienz von 100 Prozent. Allerdings ist zu beachten, dass der Wirkstoff zwar die Milben tötet – nicht aber ihre Eier. Deshalb sollte eine Anwendung nach ein bis zwei Wochen wiederholt werden. Lieferengpässe machen eine Therapie mit dem 2. Wahl-Präparat jedoch mitunter schwer.
Das nicht zu den Pestiziden gehörende Benzylbenzoat ist als 10%ige Zubereitung für Kinder über zwölf Jahre und 25%ig für Erwachsene zugelassen. Der genaue Wirkmechanismus des Benzoesäurederivats ist nicht bekannt. Es soll an drei aufeinanderfolgenden Abenden aufgetragen und am vierten Tag abgeduscht werden.
Der Arzneistoff wirkt gegen Milben und stillt den Juckreiz. Die Heilungsraten liegen laut Skabies-Leitlinie bei 50 bis 70 Prozent. Im Vergleich mit der oralen oder topischen Ivermectin-Therapie wurde die Wirksamkeit von Crotamiton als geringer beurteilt.
Allethrin ist in Deutschland als Spray in Kombination mit Piperonylbutoxid auf dem Markt. Aufgrund zahlreicher Kontraindikationen wie Befall des Gesichtes, generalisierter Befall, erstes Trimenon der Schwangerschaft, Stillzeit und vorgeschädigte Haut ist die Anwendung aber stark eingeschränkt. Auch die möglichen schweren Nebenwirkungen wie Bronchospasmen bei prädisponierten Patienten mahnen zur Vorsicht.
Es wird immer wieder über Resistenzen von Permethrin und Ivermectin berichtet. Eine klinische Resistenz für Ivermectin wurde jedoch bisher nur ein einziges Mal beschrieben und trat bei zwei australischen Patienten mit der Sonderform Scabies crustosa auf, die mehrere Dutzend Male mit dem Wirkstoff behandelt worden waren. Zu Resistenzen gegen Permethrin gibt es keine eindeutigen Berichte. Therapieversager könnten jedenfalls auch durch eine Noncompliance oder Reinfektionen erklärbar sein.
Egal welches Präparat angewendet wird: Häufig werden bei der Therapie zwei wichtige Punkte übersehen:
Einerseits muss die Bettwäsche und Kleidung milbenfrei gemacht werden, da es sonst zur Reinfektion kommen kann. Dafür sollte die Wäsche bei mindestens 50 °C gewaschen werden. Verträgt das Material diese Temperaturen nicht, können die textilen Materialien auch in einen Plastiksack gelegt werden; dieser muss dann fest verschlossen drei Tage lang bei mindestens 21 °C bei möglichst gleichbleibender Temperatur gelagert werden. Ohne Hautkontakt überleben die Krätzmilben nicht lange. Häufig wird zwar auch geraten, die Kleidung in den Tiefkühlschrank zu legen; dabei ist aber zu bedenken, dass Milben bei Kälte länger leben. Erst bei Temperaturen unter minus 25 °C sterben Milben nach zwei Stunden ab.
Andererseits ist zu beachten, dass es von der Übertragung der Milbe bis zum spürbaren Ausbruch der Skabies mehrere Wochen dauern kann. Daher ist es auch wichtig, alle engen Kontaktpersonen des Betroffenen vorsorglich zu behandeln.
Die Krätze ist immer noch eine tabuisierte Erkrankung, die auch zu den Geschlechtskrankheiten gezählt und häufig mit mangelnder Hygiene verknüpft wird. Wichtig ist es aber eines zu sagen: Jeder kann von Krätzmilben befallen werden. Dies sollte auch den Betroffenen klar gemacht werden.
Bildquelle: Kristina Nor, Pexels