Nach depressiven Episoden können Antidepressiva das Risiko eines Rückfalls vermindern. Manche Menschen nehmen die Medikamente allerdings unnötig lange ein – das kann problematisch sein.
Antidepressiva werden nach depressiven Episoden häufig als Rückfallprophylaxe eingesetzt – also nach der Remission mindestens noch zwei Jahre eingenommen. So sehen es die Leitlinien zur Behandlung von unipolarer Depression vor, wenn Patienten mehr als eine depressive Phase durchlebt oder aus anderen Gründen ein erhöhtes Rückfallrisiko haben. Im Idealfall erarbeiten die behandelnden Fachärzte gemeinsam mit den Patienten einen individuellen Plan, wann die Antidepressiva reduziert und abgesetzt werden, erläutert Dr. Regina Schmitt, Oberärztin in der Klinik für Allgemeine Psychiatrie und Leiterin der Psychiatrischen Institutsambulanz am Universitätsklinikum Heidelberg. Dieser Plan orientiere sich an der persönlichen Krankheitsgeschichte und individuellen Risikofaktoren.
Es kommt allerdings häufig vor, dass Hausärzte Antidepressiva ohne Einbeziehung von Fachärzten verschreiben. Eine randomisierte Doppelblindstudie in Großbritannien untersuchte nun, wie effektiv die Langzeit-Verschreibung in solchen Fällen ist. Die Testpersonen waren Menschen, die mindestens zwei depressive Episoden hinter sich hatten oder Antidepressiva bereits länger als 2 Jahre einnahmen, und die sich stabil genug fühlten, um die Medikamente abzusetzen.
Die Forscher teilten sie in zwei Gruppen ein: Eine Kontrollgruppe, die ihre Medikamente wie gewohnt weiter bekam, und eine Testgruppe, in der die Antidepressiva ausgeschlichen und durch Placebos ersetzt wurden. Es zeigte sich, dass deutlich mehr Teilnehmende aus der Placebo-Gruppe innerhalb der 52 Wochen der Studie einen Rückfall erlitten. Außerdem zeigten sich in dieser Gruppe mehr Symptome als bei den Menschen, die mit ihrer gewohnten Therapie versorgt waren.
Zwar hat die Studie einige Einschränkungen, es wurden beispielsweise nur vier Antidepressiva untersucht. Auch gab es viele Teilnehmer, die während der Studie abbrachen, wodurch ihre Daten nicht verwendet werden konnten. Aber die Ergebnisse unterstreichen dennoch, wie wichtig eine gut durchdachte Therapie für die Lebensqualität der Betroffenen ist.
Gerade in Regionen, in denen wenige Facharztpraxen zu finden sind, haben nicht alle Menschen Zugang zu einer auf sie zugeschnittenen Therapie. Ein Review von Studien zu dem Thema zeigte, dass etwa 30 bis 50 Prozent der Langzeit-Verschreibungen von Antidepressiva ohne evidenzbasierte Indikation geschehen. Gleichzeitig kamen die Autoren zu dem Schluss, dass es zu wenige Studien über das erfolgreiche Beenden einer Therapie gibt – vor allem bei Menschen, die erst eine depressive Episode hatten, oder die Antidepressiva gegen Angststörungen einnehmen.
Besonders betroffen sind zudem ältere Menschen. Sie nehmen die Medikamente eher langfristig ein als jüngere, obwohl es möglicherweise gar nicht nötig wäre. Dazu kommt, dass sie häufiger an komorbiden Erkrankungen leiden, mehrere verschiedene Medikamente einnehmen und altersbedingte physiologische Veränderungen auftreten. Gerade in dieser Altersgruppe wäre es also wichtig, die Einnahme regelmäßig zu überprüfen und hinterfragen.
Warum gerade Hausärzte unnötige Antidepressiva verschreiben, untersuchten australische Forscher in einer qualitativen Studie. Dabei zeigte sich, dass die Patienten vor allem einen Rückfall fürchten und Angst vor unangenehmen Absetzphänomenen haben. Außerdem scheinen sie die Medikamente besonders dann nicht absetzen zu wollen, wenn sie Depressionen als Langzeit-Erkrankung ansehen, die nicht heilbar ist. Es hilft hingegen, wenn sie auf ihre Fähigkeit vertrauen, mit schwierigen Situationen umzugehen, auf ein gesundes und selbstbestimmtes Leben fokussiert sind und Unterstützung von ihrem Umfeld und auch den verschreibenden Ärzten bekommen. Die Hausärzte könnten laut Studie hingegen mit einer Absetzung der Medikamente zögern, um die therapeutische Beziehung zu den Betroffenen nicht zu gefährden.
Um zu verhindern, dass Patienten zu lange Antidepressiva einnehmen oder sie unkontrolliert absetzen, sollte der Prozess immer unter fachärztlicher Anleitung geschehen, sagt Dr. Regina Schmitt. „Es braucht nicht unbedingt eine Psychotherapie. Aber Fachärzte aus der Psychiatrie und Psychotherapie können die Patienten auch psychotherapeutisch begleiten.“ Wichtig sei es vor allem, dass die Betroffenen lernen, wie sie ohne Medikamente mit schwierigen Situationen umgehen können.
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