Oft wirken Standardtherapien bei fortgeschrittenen, rezidivierenden Krebserkrankungen – wie Leukämie – kaum. Eine mögliche Lösung: Gezielt auf die Patienten abgestimmte Individualtherapien. Ist das umsetzbar?
Aggressive, hämatologische Krebserkrankungen wie Leukämien oder Lymphome sind im fortgeschrittenen, wiederkehrenden Stadium nur schwer behandelbar. Standardtherapien zeigen oftmals wenig Wirkung. In einer Studie in der Zeitschrift Cancer Discovery befassten sich nun Wissenschaftler und Ärzte mit dieser Problematik. Sie konnten belegen, dass eine über einen funktionellen Test ausgewählte Individual-Therapie wirksam und umsetzbar ist.
Mittels Einzelzellprofilen von Patientenbiopsien wurde die Wirkung von Medikamenten in einem neuen experimentellen Verfahren quantifiziert; 56 Patienten wurden daraufhin Therapien unterzogen, die auf sie individuell abgestimmt waren – mit deutlich positiven Ergebnissen.
Medikamente und Therapien zeigen bei Patienten mit gleichem Krankheitsbild oft unterschiedliche Effekte. Besonders in der Krebstherapie wird dies mehr und mehr ersichtlich. Die personalisierte Medizin zielt darauf ab, die individuell richtige Behandlung für Patienten zu finden. Unter anderem geschieht dies, indem sie spezifische Merkmale des Tumors des Betroffenen präzise analysiert und dadurch therapeutisch potentiell angreifbar macht.
Personalisierte Therapieanpassungen erfolgen derzeit in erster Linie anhand genetischer Biomarker, die jedoch nur für weniger als 10 Prozent der Krebspatienten abgestimmte Behandlungsmöglichkeiten bieten. Funktionelle Präzisionsmedizin (FPM) hingegen zeichnet sich durch den Einsatz von funktionellen Tests aus, in denen mittels Drug Screening die Wirksamkeit einer Vielzahl von Medikamenten direkt an den Krebszellen ausgetestet wird.
In dieser innovativen Form der funktionellen personalisierten Medizin, speziell „single-cell functional precision medicine“ (scFPM), werden durch detaillierte Analyse einzelner Zellen die Effekte der Wirkstoffe auf sowohl bösartige als auch gesunde Zellen untersucht, welche im frisch entnommenen Gewebe von Krebspatienten isoliert werden. Das Verfahren lässt eine Steigerung der spezifischen Wirksamkeit und eine Reduktion an Nebenwirkungen zu. In der hier angewandten Methode wird eine hohe Präzision durch automatisierte Mikroskopie und computergesteuerte Bildanalyse erreicht. Ursprünglich wurde sie auch Pharmakoskopie genannt.
Im Rahmen der EXALT Studie (für Extended Analysis for Leukemia/Lymphoma Treatment) an Patienten mit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen des Bluts und des Lymphsystems konnten Wissenschaftler und Ärzte erstmals zeigen, dass eine Therapieauswahl über einen funktionellen Test klinisch umsetzbar und für die Betroffenen von Nutzen ist.
„Aus Echtzeit-Biopsien haben wir Tumor-Einzelzellen der Patienten untersucht und die Wirkungen von über 130 Kandidaten-Substanzen direkt ausgetestet, um festzustellen, welche Therapie beim jeweiligen Individuum anspricht“, so Studienleiter Philipp Staber, assoziierter Professor an der Klinischen Abteilung für Hämatologie und Hämostaseologie von MedUni Wien und AKH Wien. „Um den individuellen Nutzen der Patienten zu testen wurde die Zeit des Therapieansprechens mit der zu ihrer jeweiligen Vortherapie verglichen. 54 % unserer Patienten hatten unter der so gewählten Therapie eine deutliche, zumindest um mehr als 30 % verlängerte Zeit ihres progressionsfreien Überlebens. Bei 21 % der Patienten zeigte sich sogar ein Langzeitansprechen. Unsere Studie belegt, dass eine individuelle Anpassung der Therapie nicht nur machbar, sondern auch wirksam ist, Resistenzen zu Vortherapien zu brechen“, so Staber.
Für ihre Studie nutzen die Wissenschaftler Pharmakoskopie, entwickelt in der Forschungsgruppe von Giulio Superti-Furga, Professor für Molekulare Systembiologie an der MedUni Wien. Superti-Furga ergänzt: „Unser Anliegen war es, echte personalisierte Medizin bei der Krebsbehandlung zu ermöglichen. Seit Jahren arbeiten viele, so wie wir am CeMM und an der MedUni Wien, an immer besseren molekularen Profilen von Genen, Proteinen und Metaboliten, die erlauben sollen, Patienten individuell zu behandeln. Aber beim Vorgang, der in dieser Studie eingesetzt wurde, geht es um eine Art von Abkürzung. Wir testen direkt, welches Medikament tatsächlich auf die Krebszellen wirkt. Die Idee zur personalisierten Krebsmedizin ist längst nicht neu. Doch in der dahinterliegenden Technologie, um Tumorgewebe so zu analysieren, dass daraus therapierelevante Informationen gewonnen werden können, stecken viele Jahre an Forschung. Heute können wir mit unerreichter Auflösung und Präzision Einzelzellanalysen von Patientenproben durchführen, einzelne Immunzell-Interaktionen beobachten und damit die Wirkung einer enormen Vielzahl an Medikamenten testen.“
Die Studie veranschaulicht also, dass Patienten, für die keine Standardtherapien zur Verfügung stehen, von der funktionellen Einzelzell-Präzisionsmedizin (scFPM) stark profitieren können.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung des CeMM Forschungszentrums für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Michael Burrows, pexels.