Mittels modernster Methoden wurde das Kollektivverhalten von Zebrabärblingen untersucht. Im Fokus: Gene, die beim Menschen mit neurologischen Erkrankungen in Verbindung stehen. Verändern Genmutationen das Verhalten?
Zebrabärblinge (Danio rerio) zeigen in Antwort auf bestimmte visuelle Reize starre Verhaltensantworten, die ausreichen, um das Kollektivverhalten der Tiere zu erklären – und das bereits im Larvenstadium. Mutationen in Genen, die beim Menschen mit neurologischen Erkrankungen in Zusammenhang gebracht werden, verändern diese Verhaltensantworten und dadurch das Gruppenverhalten der Larven.
Zu diesen Ergebnissen kommt der Konstanzer Neurobiologe Dr. Armin Bahl zusammen mit Kollegen der Harvard University in einer aktuellen Studie in der Fachzeitschrift Science Advances. Sie zeigen damit nicht nur, wie Veränderungen in der genetischen Ausstattung von Individuen das Verhalten von Kollektiven verändern können, sondern liefern auch einen methodischen Ansatz, der es erlaubt, bestehende Modelle zum Kollektivverhalten experimentell zu überprüfen.
Ein Großteil der heutigen Fischarten zeigt zumindest in bestimmten Lebensphasen Formen von Schwarmverhalten, bei denen sich eine Vielzahl von Individuen aus sozialen Gründen in räumlicher Nähe zueinander aufhalten oder gemeinsam in die gleiche Richtung schwimmen. Die möglichen Vorteile dieser Verhaltensweisen für die Tiere sind vielfältig und reichen von der vereinfachten Partnersuche über einen stärkeren Schutz der Einzelindividuen vor Fressfeinden bis hin zur effektiveren Nahrungssuche im Kollektiv.
Auch von Zebrabärblingen – einer Fischart, die seit langem erfolgreich als Modellorganismus in der genetischen, entwicklungsbiologischen, und neurobiologischen Forschung verwendet wird – sind diese Formen von Kollektivverhalten bekannt. Was dabei jedoch bisher nicht systematisch untersucht wurde, ist, ab wann Zebrabärblinge in ihrer Entwicklung derartiges Kollektivverhalten zeigen, welche Gene dabei eine Rolle spielen, und welche sensorischen Informationen die Fische hierbei verwenden.
„Gerade für Neurowissenschaftler wie mich sind diese Fragen von Bedeutung. Da der ganze Körper und das Gehirn von Zebrabärblingslarven fast vollständig durchsichtig sind, können wir in meiner Gruppe mit hochauflösenden und nicht-invasiven Mikroskopietechniken in Echtzeit beobachten, wie Nervenzellen auf verschiedene Reize reagieren und daraus Verhaltensentscheidungen gefällt werden. Da das Gehirn der Larven deutlich weniger komplex verschaltet ist als das von ausgewachsenen Tieren, ermöglichen es uns diese Techniken, die neuronalen Grundlagen des Kollektivverhaltens sehr präzise zu erforschen“, beschreibt Armin Bahl den Vorteil von Zebrabärblingslarven für seine Forschung.
Das Forschungsteam untersuchte daher das Gruppenverhalten von Zebrabärblingen in verschiedenen Entwicklungsstufen – sieben Tage und 21 Tage nach Befruchtung der Eizelle. Die Forscher konnten zeigen, dass bereits sieben Tage alte Larven auf ihre Artgenossen reagieren, indem sie sich in ihrer Fortbewegungsrichtung aneinander orientieren, die räumliche Nähe zu ihren Artgenossen jedoch aktiv meiden. Bei 21 Tage alten Zebrabärblingen hat die Ausrichtung der individuellen Fortbewegungsrichtung an der der Artgenossen weiter zugenommen und anstatt ihre Artgenossen zu meiden, suchen die Tiere in diesem Stadium verstärkt die gegenseitige Nähe, ganz ähnlich wie bei der Schwarmbildung.
Basierend auf weiterführenden Verhaltensexperimenten der eigenen Studie sowie bereits bestehenden Erkenntnissen vermuteten die Forscher, dass das beobachtete Verhalten der Zebrabärblingslarven auf zwei vergleichsweise einfachen Verhaltensantworten beruht. Zur Steuerung dieser Verhaltensantworten misst ein System im Gehirn der Larven die generelle Menge an Objekten in der Umgebung, während ein anderes System Bewegungsreize analysiert. „Bei beiden Verhaltensantworten handelt es sich um sogenannte visuomotorische Reflexe, was bedeutet, dass eine bestimmte Art von optischer Information eine feste Verhaltensreaktion in Form einer Bewegung in den Tieren hervorruft“, erklärt Armin Bahl.
Zur Überprüfung ihrer Annahme verwendeten die Wissenschaftler ein Computermodell, mit dessen Hilfe sie das Bewegungsverhalten kleiner Gruppen von Fischen simulierten. Als Verhaltensregeln für die einzelnen virtuellen Fische nutze das Modell dabei lediglich die genannten visuomotorischen Reflexe. „Die simulierten Fischgruppen verhielten sich genau wie die aus echten Zebrabärblinglarven, ein eindeutiges Indiz dafür, dass sich das Kollektivverhalten der Tiere tatsächlich mit diesen vergleichsweise einfachen Verhaltensantworten erklären lässt“, so Bahl.
Um zusätzlich herauszufinden, welche Rolle die individuelle genetische Ausstattung beim Gruppenverhalten der Zebrabärblinge spielt, veränderten die Forscher mithilfe der Genschere CRISPR-Cas9 gezielt bestimmte Gene bei einzelnen Larven. Sie konnten so zeigen, dass Mutationen der Gene scn1lab und disc1, die beim Menschen mit einer bestimmten Form von Epilepsie und Autismus im Kindesalter beziehungsweise Schizophrenie in Verbindung gebracht werden, die individuellen Verhaltensantworten der jeweiligen Mutanten auf optische Reize und damit das Gruppenverhalten veränderten. Larven mit Mutationen im scn1lab-Gen halten mehr Abstand zueinander als Artgenossen ohne Mutation. Mutationen im disc1-Gen führen hingegen dazu, dass die Larven verstärkt die gegenseitige Nähe suchen.
Wie bereits zuvor ließ sich auch das Verhalten der Mutanten durch das Computermodell simulieren und qualitativ reproduzieren. „Unser Ansatz, moderne genetische Verfahren und Verhaltensexperimente bei Zebrabärblingen mit Computersimulationen zu kombinieren, bietet eine einzigartige Möglichkeit, Sozialverhalten spezifisch zu beeinflussen und dann Modelle zum Kollektivverhalten von Tieren zu testen. Mit den vielseitigen molekulargenetischen und mikroskopischen Tools, welche für Zebrabärblinge existieren und welche wir in Konstanz gerade etablieren, werden wir in Zukunft nun auch die neuronalen Grundlagen dieses spannenden Verhaltens im Detail analysieren“, resümiert Bahl.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Universität Konstanz. Die Originalpublikation findet ihr hier.
Bildquelle: Saad Salim, Unsplash.