Moderne Technologien sind an der Pathologie spurlos vorübergegangen – viele Arbeitsschritte haben sich in den letzten 100 Jahren kaum verändert. Doch das Blatt wendet sich jetzt.
Vermuten Ärzte, dass es sich bei einer verdächtigen Struktur um Krebs handelt, entnehmen sie Gewebe und schicken es ins Labor. Dort fixiert ein Team die Probe, fertigt Dünnschnitte an und färbt das Material. Pathologen beurteilen die Strukturen mikroskopisch, wobei ihre Erfahrung eine große Rolle spielt. In den vergangenen 100 Jahren hat sich diese Arbeitsweise kaum verändert, während beispielsweise die Radiologie seit 20 Jahren immer digitaler wird. Das könnte sich jetzt ändern.
Mehrere Start-ups und Hochschulen befassen sich mit der Frage, wie sich pathologische Untersuchungen digital optimieren lassen. Das Thema gewinnt an Fahrt – vor allem durch vier Trends:
Von der Theorie zur Praxis: Welche Innovationen werden die Zukunft prägen?
Forscher des Helmholtz Zentrums München und der Technischen Universität München haben einen Algorithmus für die klinische Anwendung entwickelt. Er basiert auf KI und vergleicht die Zellen von Patienten mit einem Referenzatlas gesunder Zellen.
Das funktioniert nicht nur bei malignen Erkrankungen, sondern etwa auch bei Zellen aus Lungengewebe. Der Algorithmus war beispielsweise in der Lage, durch COVID-19 geschädigte Zellen von gesunden zu unterscheiden. Biologische Variationen zwischen den Patienten hatten keinen Einfluss.
Aus Dresden kommt das Start-up asgen. Es entwickelt KI-basierte Anwendungen zur Diagnostik mit großer Praxisnähe. Beispielsweise läuft am Institut für Pathologie des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus ein Modellprojekt. Ziel ist, die Diagnostik von Brust- und Magenkarzinomen zu verbessern. Dabei geht es nicht um klassisch gefärbte Dünnschnitte. Im Rahmen der HER2-FISH-Analyse (FISH: Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung) weisen Pathologen Überexpressionen des Tumormarkers HER2 nach.
Diese Untersuchung läuft derzeit manuell ab. Ärzte zählen Tumormaker-Signale in rund 20 Zellkernen von mikroskopiertem Gewebe repräsentativ, stichprobenartig aus. Eine KI-basierte Auswertung ist schneller und dabei oft auch noch zuverlässiger. Sie grenzt zu analysierende Bereiche automatisch oder nach Vorgabe der Pathologen ein und analysiert Zellkerne in dem Bereich.
Melanome stehen bei KI-Anwendungen ebenfalls im Mittelpunkt des Interesses. Ich hatte zuletzt über eine Entwicklung des FZI Forschungszentrum Informatik berichtet.
Das Besondere daran: Läsionen der Haut werden mit Strahlung unterschiedlicher Wellenlänge aufgenommen, nicht mit normalem Licht. LEDs im sichtbaren und im nah-infraroten Bereich projizieren unterschiedliche Beleuchtungsmuster auf die Haut. Und zwei Kameras nehmen Fotos auf und übertragen sie an ein System zum Datenmanagement. Im nächsten Schritt wertet ein KI-System die Daten aus. Es erreichte eine überraschend hohe Genauigkeit von mehr als 90 Prozent.
Noch ein Blick auf technische Hürden: Zu den häufigsten Problemen der digitalen Pathologie gehört, dass Daten aus unterschiedlichen Quellen kommen und nicht immer kompatibel sind. Hier bietet die Crosscope-Plattform eine flexible, offene und digitale Lösung.
Sie unterstützt alle gängigen Bildformate, integriert aber auch Angebote von Dritten, etwa aus dem Bereich KI, zur Bildbetrachtung oder zur Datenverwaltung. Teil des Pakets ist CrosscopeDx, um Bilddaten von digitalisierten Objektträgern zu verwalten und zu analysieren. Ziel von Crosscope ist, Abläufe im pathologischen Labor zu verbessern und die Fehlerquote zu verringern.
KI-gestützte Diagnostik eignet sich aber nicht nur für Gewebeschnitte. Wissenschaftlern der Universität des Saarlandes ist es gelungen, Blutproben automatisch zu analysieren.
Sie haben Zellen mit einem Konfokalmikroskop Schicht für Schicht aufgenommen. Daraus wurden dreidimensionale Aufnahmen rekonstruiert. Tausende Zellen – vor allem mit unterschiedlichen Formen – lassen sich in wenigen Sekunden darstellen. Das Verfahren eignet sich perspektivisch auch, um den Therapieerfolg zu bewerten oder um Blutbanken zu screenen.
Bleibt als Fazit: KI ist in der Pathologie zum großen Thema geworden. Viele Anwendungen befinden sich in unterschiedlichen experimentellen Phasen. Für eine Anwendung in der Routinediagnostik sind oft noch mehr Studiendaten erforderlich. Doch das Ziel, mit KI und ML effizienter zu arbeiten, scheint in greifbare Nähe zu rücken.
Bildquelle: Photo by Sofiya Levchenko, Unsplash