Die Impfung von Erwachsenen nutzt auch Kindern – das zeigt jetzt eine Impfstudie aus Österreich. Unser Überblick zu Inzidenzen, Impfquoten und Long-Covid bei Kindern.
Die laufende Impfkampagne gegen SARS-CoV-2 hat lange Zeit eine Gruppe außen vor gelassen: Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Auch wenn die STIKO Mitte August eine allgemeine Impfempfehlung für Jugendliche im Alter zwischen 12 und 17 Jahren ausgesprochen hat, liegt die Impfquote der vollständig Geimpften in dieser Altersklasse derzeit nur bei 38,2 Prozent. Hingegen liegt sie bei den 18- bis 59-Jährigen bei 71,6 Prozent und bei den über 60-Jährigen bei 84,8 Prozent. Kinder unter 12 Jahren haben noch gar keine Möglichkeit sich impfen zu lassen, eine Zulassung in Europa wird frühestens für Ende November erwartet (wir berichteten). Eingereicht sind die Unterlagen bei der EMA noch nicht, anders als in den USA, wo die FDA am 26. Oktober in dieser Sache zusammenkommt.
Ein weiteres Problem sind die COVID-19-Fallzahlen bei Kindern und Jugendlichen: Zwar stagniert derzeit die allgemeine 7-Tage-Inzidenz, jedoch werden in der Altersgruppe der 5- bis 19-jährigen hohe 7-Tage-Inzidenzen von über 100 erfasst. Regional werden in der Altersgruppe der 10- bis 19-jährigen Inzidenzwerte von über 1.000 pro 100.000 Einwohner beobachtet. Außerdem sprach das RKI von 636 Schulausbrüchen, die in den letzten vier Wochen (MW 37-40/2021) erfasst wurden, die Ausbrüche aus den letzten zwei Wochen sind aufgrund möglicher Nachmeldungen noch nicht bewertbar.
Umgekehrt gibt es aus den Schulen aber durchaus auch positive Meldungen. Berlin etwa hat jetzt zehn Wochen Schulunterricht in Vollpräsenz und mit Masken hinter sich. Die Inzidenz unter Schülern, die im Erst-Screening nach den Sommerferien hochschnellte, war seither praktisch konstant bzw. ist – wenn irgendwas – dann gesunken.
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Allerdings könnte sich das auch wieder ändern, insbesondere da zunehmend Masken in den Schulen abgesetzt werden. Berlin etwa hat in der Woche vor den Herbstferien die Grundschulen von der Maske befreit, zumindest teilweise. Auch vor diesem Hintergrund tut sich also eine Frage auf: Kann eine generelle hohe Impfquote gegen COVID-19 auch ungeimpfte Kinder schützen?
Eine retrospektive preprint Studie aus Österreich befasst sich genau mit dieser Frage. Dieser indirekte Schutzeffekt einer geimpften Bevölkerung auf eine ungeimpfte Gruppe ist jedoch sehr schwer zu beobachten. Um dieser Problematik nachzugehen, gingen die Forscher so vor:
Österreich hatte im Frühjahr einen großen B.1.351-Ausbruch, mittlerweile Beta genannt, der auch in deutschen Medien viel Raum eingenommen hatte. Das war im Bezirk Schwaz, wo die Regierung als Reaktion darauf zwischen dem 11. und dem 16. März 2021 jedem Bürger über 16 Jahren eine Impfung mit Comirnaty angeboten hatte. Am Ende dieser Woche waren etwa 70 Prozent der Erwachsenen mit der ersten Dosis geimpft. Die zweite Dosis folgte nach drei Wochen. Die Kinder blieben ungeimpft, da die EMA erst am 28. Mai eine Zulassung für 12- bis 15-Jährige aussprach. Dadurch war Schwaz innerhalb weniger Tage eine der Regionen mit der höchsten Impfquote in der Altersgruppe zwischen 16 und 50 Jahren weltweit.
Durch die Massenimpfaktion entstand eine Situation, in der sich die Durchimpfungsrate der Erwachsenen des Bezirks stark von den restlichen Teilen des Landes unterschied. Gleichzeitig war die Durchimpfungsrate der unter 16-Jährigen aber überall exakt gleich, nämlich null. Daher verglichen die Forscher die SARS-CoV-2-Fälle bei Erwachsenen und Kindern in Schwaz mit Fallzahlen gleichaltriger Kohorten aus weiteren Kontrollregionen.
Die Kontrollgruppe umfasste andere österreichische Bezirke, die in vielen sozidemografischen Merkmalen und der Infektionsausbreitung vor der Massenimpfkampagne ähnlich zu Schwaz waren. Zusätzlich wurden lokale Bevölkerungen entlang der Grenze zu Schwaz verglichen, die im gleichen geografischen Gebiet leben, aber weniger stark durchgeimpft waren, da sie nicht in die Schwazer Impfkampagne einbezogen wurden.
Vor der Massenimpfkampagne konnten die Forscher eine sehr ähnliche Infektionsverteilung in den einzelnen Regionen über alle Alterskohorten hinweg beobachten. Anders war es dann drei bis vier Woche nach der Kampagne, denn die Infektionsrate zwischen Schwaz und den Kontrollregionen variierte: Zwar war der Unterschied bei der Bevölkerung im Alter von 16-50 Jahren am größten, jedoch konnte auch eine signifikante Verringerung der Fälle in der Gruppe der ungeimpften Kinder und Jugendlichen erfasst werden. So war der Unterschied der kumulativen täglichen Infektionen pro 100.000 Einwohner in der Altersgruppe 16 bis 50 Jahre bei etwa 990 und bei Kindern unter 16 Jahren bei 634, was insgesamt einem relativen Unterschied von 40 Prozent entsprach.
Die Forscher deuten diese Ergebnisse als einen der ersten Beweise für einen indirekten Kreuzschutzeffekt von einer Gruppe geimpfter Personen zu einer ungeimpften Gruppe. Auch wenn ein signifikanter Rückgang der COVID-19-Infektion in dem Bezirk Schwaz beobachtet werden konnte, hat auch diese Studie ihre Limitierungen:
Es handelt sich um keine randomisierte klinische Studie, sondern um eine Observationsstudie. Dadurch sind Störfaktoren wie Lockdown-Richtlinien unter anderem nicht mit einbezogen. Auch wenn die meisten Interventionen wie schulische Maßnahmen oder Ausgangssperren in den Kohorten gleich waren, bestand für Schwaz eine zusätzliche Testpflicht im Zeitraum vom 11. März und dem 8. April beim Überqueren der Kreisgrenze. Diese Testpflicht könnte die Ausbreitung der Infektionen zusätzlich beeinflusst haben. Ein weiterer Punkt, der nicht erklärt werden kann, ist das individuelle Verhalten, das sich ändert, wenn z.B. geimpfte Personen weniger auf soziale Distanzierungsmaßnahmen achten. Wäre es dazu gekommen, dann würde das die realen Unterschiede freilich noch größer machen.
Ein zweites, viel diskutiertes Thema sind die COVID-Folgen bei Kindern und Jugendlichen, also Long-Covid oder Pediatric Inflammatory Muzltisystem Syndrome (PIMS). Auch wenn die Infektion bei Kindern und Jugendlichen in den meisten Fällen keine schwere Erkrankung auslöst, kann es in Einzelfällen zu schwerwiegenden Krankheitsmanifestationen kommen. Die Datenlage dazu ist generell sehr limitiert, insbesondere da die meisten Studien nur Erwachsene umfassen. Laut RKI könne daher die Häufigkeit von Long-Covid bei Kindern noch nicht verlässlich erfasst werden. Hinzu komme, dass einige Long-Covid-Symptome wie Kopfschmerz, depressive Verstimmung oder Schlafstörungen recht unspezifisch seien und auch Folge der psychosozialen Belastung während der Pandemie sein können.
Die Long-Covid-Klinik am Schneider Children’s Medical Center in Israel behandelt derzeit etwa 150 Kinder, wobei mehrere hundert noch auf der Warteliste sind. „Die Nachfrage ist groß und die Wartezeit beträgt mehr als ein halbes Jahr, weil wir für jeden Patienten alles überwachen und testen“, sagt Dr. Liat Ashkenazi-Hoffnung, Spezialistin für Infektionskrankheiten. „Interessant ist, dass es bei einigen Kindern tatsächlich als direkte Fortsetzung einer schweren Erkrankung auftritt, aber bei sehr vielen Kindern kommt es zu einer schweren Erkrankung, gefolgt von einer mehrmonatigen Pause und erst dann beginnen die Symptome von Long-Covid“, fügt Ashkenazi-Hoffnung hinzu. Dabei variiere auch die Persistenz der Symptome, so sind einige Kinder nach sechs Monaten wieder topfit und anderseits erholen sich einige Kinder auch nach mehr als einem Jahr nicht von der Erkrankung.
Etwa 15 Prozent der Kinder in der Klinik weisen keine Antikörper gegen SARS-CoV-2 auf, obwohl sie positiv getestet wurden. Zudem sammelte eine Studie des israelischen Gesundheitsministeriums telefonisch Daten zu 13.834 Kindern, die mit COVID-19 infiziert waren. Dabei zeigte sich, dass etwa 11,2 Prozent dieser Kinder mindestens eines der Long-COVID-Symptome vorwies und 1,85 Prozent der 3- bis 6-jährigen bzw. 4,6 Prozent der 12- bis 18-jährigen diese Symptome auch noch sechs Monate nach der Erkrankung hatten. Unklar ist allerdings, wie so oft bei diesem Thema, wie repräsentativ die Daten sind, da es sich um eine freiwillige Befragung der Eltern der Kinder handelte.
„Ich denke, es gibt eine Unterschätzung“, sagt Ashkenazi-Hoffnung. „Selbst in den Forschungsstudien wegen ihrer Methoden, und die Zahlen sind höher. Allerdings haben nicht alle Symptome die gleiche Bedeutung. Die wesentliche Frage ist, ob es die Funktionsfähigkeit beeinflusst. Wenn ein Kind beispielsweise acht Monate lang den Geschmacks- und Geruchssinn verliert und dies zu wählerischem Essen führt, ist dies nicht unbedingt klinisch bedeutsam im Vergleich zu Symptomen, die die Funktionsfähigkeit beeinträchtigen und das Kind daran hindern, die Dinge zu tun, die es liebt.“
Bildquelle: Cheng Xiao, unsplash