Einzelberichten zufolge kann die Impfung gegen Corona Long-Covid-Beschwerden von Betroffenen mindern. Doch eine erste Studie zum Thema bringt Ernüchterung.
Die Mehrheit der COVID-19-Patienten erholt sich innerhalb weniger Wochen nach ihrer Erkrankung. Eine nicht ganz unbeträchtliche Anzahl Betroffener weist aber auch Wochen bis Monate nach Abklingen der akuten Erkrankung noch Beschwerden auf. Das Syndrom der postakuten COVID-19-Symtome (post-acute sequelae of SARS-CoV‑2 infection, PASC), auch als Long-Covid oder chronisches Covid bezeichnet, konnte noch nicht vollständig erfasst werden, scheint aber ein breites Sprektrum von Patienten zu betreffen. Personen mit asymptomatischen oder milden Verläufen scheinen hiervon genauso betroffen zu sein, wie solche mit schweren Verläufen bis hin zur Hospitalisierung und intensivmedizinischen Behandlung. Analog zu anderen postviralen Syndromen zählen anhaltende Müdigkeit, Dyspnoe, Anosmie, kognitive Dysfunktion (sog. „Gehirnnebel“), Angstzustände, Depression und Schlaflosigkeit zu den häufigsten Symptomen im Zusammenhang mit PASC.
Mit dem Fortschreiten der Impfkampagnen in diesem Jahr ergaben einzelne Berichte, dass PASC-Patienten nach ihrer Covid-Impfung eine Verbesserung oder gar ein Verschwinden ihrer Symptome beobachten konnten. Eine Beobachtungsstudie aus Großbritannien, die auf dem Preprint Server medRxiv erschien und 66 Long-COVID-Patienten einschloss, zeigte ebenfalls einen vermehrten Rückgang der Symptome bei geimpften Studienteilnehmern im Vergleich zu denen, die keine Impfung erhalten hatten.
Die Arbeitsgruppe um die Ärztin Jenny J. Lin aus New York veröffentlichte nun den Preprint einer prospektiven Kohortenstudie, die erstmals 453 Patienten mit PASC einschließt und deren Symptome vor sowie nach der Impfung erfasste und verglich. Alle Teilnehmer wiesen mindestens ein PASC-Symptom auf, 324 (72 %) der Sudienteilnehmer wurden im Beobachtungszeitraum von 6 Monaten mit einem Impfstoff der Hersteller Pfizer, Moderna oder Johnson & Johnson gegen COVID-19 geimpft.
Die Ergebnisse der Arbeitsgruppe zeigen: Zwischen geimpften und ungeimpften Patienten ließ sich kein signifikanter Unterschied in der Abnahme der PASC-Symptome feststellen. Für die Studie wurden bei allen Patienten die folgenden Symptome und Messwerte erfasst: Anosmie, Dyspnoe, (produktiver) Husten/Reizhusten, Depression, Angstzustände, Symptome einer PTBS, Fatigue, Schlafverhalten, Schmerzen, Blutdruck und BMI.
Nach 6 Monaten Follow-up konnten bei keiner Gruppe signifikante Unterschiede festgestellt werden. Außerdem war keines der Symptome signifikant mit dem Impfstatus assoziiert. Die Forscher konnten keine signifikanten Unterschiede im Bereich „Lebensqualität“ zwischen Geimpften und Ungeimpften feststellen. Dieser Bereich umfasste die Aspekte Müdigkeit, Schlaf und Schmerzen. Auch nach Bereinigung der Daten ließen sich in keinem der Bereiche signifikante Unterschiede nach einer Impfung feststellen.
In der Diskussion ihres Papers schreiben die Autoren: „Bisher wurden verschiedene Mechanismen vorgeschlagen, um die Persistenz der Symptome bei PASC zu erklären, wie etwa die Bildung viraler Reservoirs im Körper der Infizierten, anhaltende Entzündungen, die Bildung von Autoantikörpern oder Organschäden als Folge der akuten Infektion. Die COVID-Impfung könnte also dazu beitragen, PASC-Symptome zu verringern, indem das virale Reservoir beseitigt oder eine dysreguliertes Immunsystem wieder normalisiert würde.“ Weiter schreiben sie: „Während einige Patienten über signifikante Verbesserungen nach der Impfung berichten, wurden diese Ergebnisse jedoch in unserer größeren prospektiven Studie nicht bestätigt.“
Die Ergebnisse von Lin et al. scheinen vorerst ernüchternd. Eine finale Begutachtung durch die Peer-Review bleibt jedoch zunächst abzuwarten. Auch wenn die Analyse mit ihren 453 Patienten nicht groß ist, so ist es doch die erste Studie, die zu diesem Aspekt von COVID-19 zur Verfügung steht. Die Wirksamkeit der Impfungen gegen schwere Verläufe bleibt ein wichtiger Pfeiler in der Bewältigung der Pandemie. Ob die Impfung jedoch gezielt auch gegen Long-Covid-Symptome zum Einsatz kommen sollte, bleibt vorerst unklar.
Das Preprint von Lin et al. haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: RODRIGO GONZALEZ, unsplash