Sollten Schlafmittel zur Insomniebehandlung gegeben werden? Experten erklären, wann Medikamente sinnvoll sein können – und wann sie nur eingeschränkt zu empfehlen sind.
Etwa 5 bis 10 Prozent der Deutschen haben über einen längeren Zeitraum Schwierigkeiten mit dem abendlichen Einschlafen und/oder dem nächtlichen Durchschlafen, die mit Tagessymptomen wie Erschöpfung, verminderter Leistungsfähigkeit sowie Verhaltens- oder Stimmungsstörungen einhergehen. Schlafmediziner stellen dann die Diagnose einer Insomnie.
Diese Erkrankung hat schwerwiegende individuelle Folgen für die Betroffenen und ist auch mit hohen sozioökonomischen Kosten für die Gesellschaft verbunden. Zum Beispiel haben Menschen, die unter einer Insomnie leiden, in den nächsten Jahren ein mehr als doppelt so hohes Risiko, eine Depression oder Angststörung zu entwickeln.
Die kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie sollte laut der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) die Behandlung der ersten Wahl für die Schlafstörung sein, wohingegen der Einsatz von Schlafmitteln aufgrund der Gefahr einer Abhängigkeitsentwicklung oder unerwünschter Arzneimittelwirkungen nur eingeschränkt empfohlen wird.
Im Rahmen der 29. Jahrestagung der DGSM wird unter anderem diskutiert, was innerhalb dieser Vorgaben für die Gabe von Schlafmitteln und was dagegen spricht.
„Jeder Patient hat ein Recht auf Diagnostik und Therapie seiner Erkrankung, und sei es ‚nur‘ seine Schlafstörung“, sagt Dr. Dieter Kunz, Chefarzt der Klinik für Schlaf- und Chronomedizin am St. Hedwig-Krankenhaus Berlin. Schlafstörungen können eine (Mit)-Ursache von psychischen Störungen wie Depression und Demenz, aber auch von M. Parkinson, Diabetes, Fettleibigkeit und Tumorerkrankungen sein.
Künftig wird für die Schlafmedizin ein neues Kapitel aufgeschlagen – und zwar im wahrsten Sinne. Die WHO weist in der ab 2022 geltenden 11. Fassung ihres internationalen Diagnoseschlüssels für Krankheiten und verwandte Gesundheitsprobleme ICD-11 erstmals die Schlaf-Wach-Störungen als ein eigenes von 16 Kapiteln der Medizin aus. In den vergangenen 25 Jahren wurden Schlafstörungen zumeist als Begleiterscheinung anderer Krankheitsbilder in den Diagnosekriterien ausgewiesen. 100 unterschiedliche Schlafstörungen umfasst das neue Kapitel.
„Ich glaube, es ist nicht übertrieben zu sagen, dass die Schlafmedizin damit am Beginn einer neuen Zeit steht“, betont Dr. Kunz. Erstmals sind damit Erkrankungsbilder der Schlafmedizin als eigenständiges Gebiet international anerkannt zusammengefasst, diagnostizier- und therapierbar. „Durch die Neudefinition der Insomnie ist zu erwarten, dass sie damit zu den häufigsten Erkrankungen weltweit zählen wird“, prognostiziert der Berliner Somnologe.
Ein- und Durchschlafstörungen sind Symptome einer Vielzahl unterschiedlicher Störungen, so wie Schmerz und Fieber. Kunz: „Psychotherapie hilft bei vielen Patienten, ist aber häufig nicht ursächlich wirksam und nicht ausreichend verfügbar. Heutige Schlafmittel wirken zumeist nur symptomatisch. Das muss sich ändern. Wir benötigen eine Vielzahl von Substanzen, die die spezifischen Störungen an ihrer Wurzel therapieren. Da sind wir noch weit weg.“ Diese Patienten aber gar nicht, oder nur für vier Wochen medikamentös zu behandeln, wie derzeitige Leitlinien empfehlen, nennt Dr. Kunz sogar „zynisch“.
Wie Dieter Kunz, so weiß auch Dr. Tatjana Crönlein vom Schlafmedizinischen Zentrum Regensburg aus ihrer langjährigen Erfahrung, dass es viele Indikationen gibt, die für eine Gabe von Schlafmitteln sprechen. „Eine kurzfristige Behandlung damit kann gerade bei einer akuten Schlafstörung gut funktionieren und verhindern, dass ein Teufelskreis der Insomnie entsteht, das bedeutet, dass sich die Insomnie verselbständigt. Es gibt auch komplexere Krankheitsbilder, bei denen die Gabe von Schlafmitteln geboten ist“, erklärt die Crönlein. Sie ist jedoch überzeugt, dass jeder Mensch – auch bei einer Insomnie – grundsätzlich ohne Schlafmittel schlafen kann.
Von daher ist die kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie laut Leitlinie gerade bei chronischen Schlafstörungen die Therapie der ersten Wahl. „Diese psychotherapeutische Behandlung ist genauso wirksam und vor allem nachhaltiger bei Ein- und Durchschlafstörungen“, sagt Tatjana Crönlein, „Man konfrontiert die Betroffenen mit dem Verhalten, welches für den Schlaf schlecht ist und gibt ihnen Verhaltensweisen an die Hand, durch die sie wieder Vertrauen in den eigenen Schlaf bekommen.“ Die Behandlung wird von den Krankenkassen übernommen.
Dieser Beitrag basiert auf einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM).
Bildquelle: Cris Saur, unsplash.