SARS-CoV-2 könnte mit der Zeit harmloser werden. Der Blick auf Dänemark weist zumindest auf eine mögliche endemische Entwicklung hin. Und wie sieht es bei uns aus?
In Dänemark herrscht keine Pandemie – zumindest sieht es so aus, seit Anfang September die letzten Corona-Beschränkungen aufgehoben wurden. Dank der hohen Impfquote von insgesamt 74,8 Prozent im Land, gilt das Virus nicht mehr als Gefahr für die öffentliche Gesundheit. Die Clubs haben geöffnet, Veranstaltungen sind erlaubt und die Busse sind gefüllt mit unmaskierten Personen. Könnte das Virus nun in die endemische Phase übergangen sein?
Laut Christian Drosten könne sich die Corona-Pandemie aufgrund von Impfquoten und Fallzahlen bereits in einigen Ländern zur Endemie entwickelt haben. Deutschland gehöre in diesem Herbst und Winter allerdings noch nicht dazu, sagte der Virologe im September gegenüber der Zeitung DIE ZEIT. Das liege an der vergleichsweise niedrigen Impfquote und daran, dass eine große Immunitätslücke vorliege. Dabei ist auch eine Nachdurchseuchung ein wichtiger Schritt in Richtung Endemie. Wie viele Wissenschaftler geht Drosten davon aus, dass SARS-CoV-2 sich wie andere endemische Coronaviren verhalten wird, sicher könne man sich aber nicht sein, dass es auch so eintrifft.
In Deutschland liegt die Impfquote laut Angaben des RKI bei über 18-Jährigen erst bei etwa 76 Prozent und bei über 60-Jährigen bei etwa 85 Prozent. Länder mit geringerer Abdeckung müssen während der Übergangsphase höhere Einschränkungen akzeptieren, um das Virus in Schach zu halten, erklärt Jeremy Farrar, Infektiologe und Direktor des Wellcome Trust in Großbritannien. In Dänemark sind mehr als 88 Prozent der über 18-Jährigen und 97 Prozent der über 60-Jährigen geimpft. Das gebe dem Land die Möglichkeit, zu versuchen, SARS-CoV-2 wie Influenza oder andere endemische infektiöse Krankheiten zu behandeln.
Das heißt aber nicht, dass Dänemark komplett raus aus der Pandemie ist. Es gibt immer noch anfällige Menschen, darunter ungeimpfte Jüngere und Menschen, bei denen die Impfung keine ausreichende Immunität hervorgerufen hat. Seitdem die Maßnahmen aufgehoben wurden, steigen die Fallzahlen in Dänemark langsam an – die Anzahl der Neuinfektionen liegt aktuell im Durchschnitt bei 566 mit einer 7-Tage-Inzidenz von 68,8. Lone Simonsen, eine Epidemiologin der Roskilde University in Dänemark, ist aber nicht beunruhigt, denn die anhaltende Ausbreitung werde zu einer natürlicheren Immunität bei ungeimpften Kindern und Erwachsenen führen, und die Durchimpfungsrate werde weiter steigen. „All dies lässt mich glauben, dass Dänemark im Frühjahr die Herdenimmunität erreichen wird“, erklärt sie.
Eine Studie, die in der Fachzeitschrift Immunity veröffentlicht wurde, beschäftigt sich mit der Frage wie sich das SARS-CoV-2 von einem pandemischen Virus zu einem endemischen entwickeln könnte.
Bei einer Pandemie kommt es zu einer schnellen und weiten Ausbreitung eines Krankheitserregers, die das Ausmaß einer Epidemie übersteigt. Dabei ist die Basisreproduktionszahl R0 größer als 1 und die Anzahl der Infektionen wächst exponentiell, wobei diese Wachstumsphase aufgrund entstehender Immunität in der Population wieder fällt. Dann könne die Pandemie ausklingen, indem das Virus ausstirbt, heißt es im Artikel. Bei einer Endemie handelt es sich um ein örtlich begrenztes und fortwährendes Auftreten einer Infektionskrankheit, typischerweise mit einer geringeren Prävalenz. Wenn das Virus nun nicht ausstirbt, kann es in eine endemische Phase übergehen.
Bei SARS-CoV-2 sei bereits klar, dass die Immunität gegen Infektionen schwinde, sagt Rustom Antia, Autorin der Studie. Daher könnte sich das Virus wie die weiteren vier endemischen Coronaviren verhalten – die alle eine Erkältung verursachen – bei denen der Schutz vor Infektionen mit der Zeit zurückgeht, der Schutz vor schweren Krankheiten jedoch nicht. Dies führe zu einem Muster einer ersten Infektion in der frühen Kindheit gefolgt von wiederkehrenden leichten Infektionen – wie einem Schnupfen im späteren Leben.
Anders sieht es aber aus, wenn auch die Immunität gegen schwere COVID-19-Infektionen abnimmt. Dann wäre es paradoxerweise am besten, wenn das Virus die Menschen weiterhin häufig infiziert, erklären die Autoren. Da viele Viren zirkulieren, sind diejenigen, die anfällig für Infektionen, aber noch nicht für schwere Krankheiten sind, mit größerer Wahrscheinlichkeit infiziert und ihre Immunität wird gestärkt – bei geringerer Übertragung würde die Population langsam wieder anfälliger werden.
Ein ernüchterndes Gegenbeispiel wäre jedoch Influenza: Es verursacht übers Leben hinweg Infektionen, aber Reinfektionen können häufig schwerwiegender ausfallen, als die, die durch die endemischen Coronaviren verursacht werden. Das liegt daran, dass sich das Virus schneller einwickelt und sich mittels Antigenshifts und Antigendrift der Immunität des Wirts entzieht. SARS-CoV-2 habe sich etwa fünfmal schneller entwickelt als H3N2, wobei sich diese Rate wahrscheinlich im Laufe der Zeit auf etwas verlangsamen wird, die dann mit einer Grippe vergleichbar ist, erklärt Trevor Bedford vom Fred Hutchinson Cancer Research Center in den USA.
Der Infektionsforscher hat jedoch keine rosigen Aussichten für endemisches COVID-19: Maßnahmen wie bessere Belüftung, weitere Tests, Rückverfolgung und Isolierung könnten die Zahl der Opfer senken, aber Bedford bezweifelt, dass es sich so entwickeln wird. Er verweist darauf, dass die Vereinigten Staaten routinemäßig jedes Jahr 30.000 Todesfälle durch Grippe verzeichnen. „Wir haben nie wirklich etwas dagegen unternommen. Die Leute kommen immer noch krank zur Arbeit und so weiter“, sagt er. „Ich weiß nicht, ob 50.000 Menschen, die pro Jahr an COVID sterben, irgendwie anders wären.
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