Erstmal musste ich viel wieder dazu lernen. Nicht so sehr in Hinblick auf Medikamente. Da hat sich in den letzten 20 Jahren so herzlich wenig neu getan, dass man mit meinem Wissen vom Benkert/ Hippius von meiner Zeit in Mainz um 2002 oder so noch gut zurecht kommt. Ausnahmen bestätigen die Regel, aber wirklich was getan hat sich in Hinblick auf Psychopharmakotherapie halt nicht. Leider. Eher in Hinblick auf eine ganz andere Klientel in den Akutstationen.
Der Anspruch überall ist : Ambulante Versorgungsangebote, also dort helfen, wo die Probleme sind. Die Realität wie ich sie erlebt habe (und es ist eine sehr subjektive) :
Eine Verrohung und Zunahme von alltäglicher Gewalt, die dann als Aufgabe einer "geschlossenen Psychiatrie" gesehen wird. Oder dazu wird, weil sich keiner sonst darum kümmert.
Psychiatrie bewegt sich natürlich immer in einem gesellschaftlichen Kontext. Aber wenn dann die Politik einerseits eine ambulante Versorgung fordert und Betten abbaut, andererseits aber gesellschaftliche Probleme und Spannungen in die Kliniken verlagert, dann kann das nicht gut gehen.
Ich habe selten so häufig und viele Polizisten auf den Stationen gehabt, wie in den letzten 2 Jahren. Und mir taten die diensthabenden Assistenten in den Nachtdiensten leid. Die Notaufnahmen hatten zeitweilig bis zu 15 Polizisten vor Ort, die dann Klienten mit Gewalt- und Drogendelikten vorstellten. Und eben eigentlich eine Aufnahme per PsychKG wollten, damit die Leute von der Strasse sind. Weil sie sonst in der nächsten Nacht wieder auffällig würden. Denn geeignete Wohneinrichtungen (gar geschlossene Einrichtungen) oder gar Handlungsmöglichkeiten der Justiz wurden offenbar als nicht vorhanden angesehen. Und überfüllte Forensik-Abteilungen...Die Frage "mad or bad" stellte sich immer wieder. Gerade in Hinblick auf Drogen bzw. Sucht und Psychose (obwohl dies eigentlich die Schwerpunkte und Aufgabenbereich der benachbarten Akutpsychiatrie in der Stadt war). Aber eben auch in Hinblick auf PTBS vor Migrationshintergrund. Ein sensibles Gebiet, weil eben nicht zutreffend ist, dass nun Menschen mit Migrationshintergrund das Problem sind. Sondern eben immer einzelne Personen, die dann aber eben offenbar nicht das an Unterstützung und Hilfe / Strukturierung / Versorgung erhalten, was angemessen wäre. Ich und viele Mitarbeiter lebten in einer ständigen Angst und Unsicherheit, weil die Stationen einfach personell unterbesetzt bzw. auf diese Sicherheitsaufgaben nicht ausgerichtet waren.
Angriffe, aber eben vor allem ständige verbale und körperliche Angriffe und Abwertungen hinterlassen eben doch Spuren. U.a. eben häufigere Fehlzeiten und damit eine Zunahme des Personalproblems. Und eine Abwanderung der "guten" Kräfte, die das einfach auf Dauer nicht aushalten können. Man muss nämlich irgendwann schon eine sehr harte Schale haben, um das dauerhaft aushalten zu können. Damit will ich nicht sagen, dass die Mitarbeiter verroht waren oder werden. Aber sie sind einfach nicht ausreichend vom Arbeitgeber bzw. "der" Gesellschaft geschützt worden.
Und sie haben täglich meinen höchsten Respekt gehabt, wie sie dann noch sowas wie Anstand und Respekt für ihre Klienten aufbringen konnten.
Lässt sich sowas mit Medikation oder PsychKG regeln. Aus meiner Sicht nicht.
Und ich habe mich dann gefragt bzw. auch erlebt, wie diese Atmosphäre wohl auf Patienten wirkt, die in extremen Krisen sind und eben diese ganze Atmosphäre über Tage und Monate aushalten müssen. Wenn sie eben wegen Depressionen, Angststörungen, Psychosen in seelischen Krisen sind und dann in einem Irrenhaus aufwachen, wo es eben irgendwie um die Eingrenzung von Gewalt geht. Ich habe es gut verstehen können, wenn sie sich dann nach einer Nacht oder spätestens 3 Tagen entlassen liessen. Aber dann eben auch keine Hilfe haben.
weiter dann zur Situation der Ärzte und Sozialarbeiter