Immer mehr Menschen reisen für medizinische Behandlungen ins Ausland. Beliebt sind Zahnbehandlungen, Augen- und Schönheitsoperationen oder Kurangebote. Kurze Wartezeiten und günstige Preise sind häufige Gründe. Welche Folgen hat der Trend für deutsche Ärzte?
Einer 2014 durchgeführten repräsentativen Befragung zufolge haben sich bisher 5 % der Deutschen gezielt im Ausland medizinisch behandeln lassen. Der eindeutige Spitzenreiter waren dabei die Zahn- und Kieferbehandlungen – jeder zweite Befragte ging aus diesem Grund ins Ausland. 15 % der Medizintouristen gaben an, für eine Schönheitsoperation oder eine intensive Wellnessbehandlung Deutschland zu verlassen, 13 % ließen eine Augenlaserbehandlung durchführen. Besonders reisefreudig waren die Jüngeren: Während bei den über 70-Jährigen 48 % bereit waren, für eine medizinische Behandlung ins Ausland zu reisen, waren es bei den unter 30-Jährigen sogar 72 %. Bei Zahn- und Kieferbehandlungen sind die deutschen Nachbarländer wie Ungarn, Polen und Tschechien beliebte Reiseziele. Zum Augenlasern zieht es deutsche Medizintouristen in die Türkei oder die Slowakei, die lang ersehnte Haartransplantation wird mit einem Urlaub am Bosporus verknüpft, und kinderlose Paare reisen für eine Eizellspende nach Belgien oder Tschechien. Doch auch exotischere Wünsche locken die Menschen ins Ausland: Wer dringend ein neues Organ braucht, kann sein Glück in Indien versuchen, China bietet experimentelle Stammzelltherapien zur Heilung von Demenz an, und eine in Deutschland verbotene Geschlechtswahl mittels In-Vitro-Fertilisation und Präimplantationsdiagnostik ist in Ländern wie Thailand eine simple Dienstleistung. Dank fortschreitender Globalisierung sind Angebot und Nachfrage schon lange keine lokalen Phänomene mehr.
Die Gründe für eine medizinische Behandlung im Ausland sind vielfältig, günstigere Preise und kürzere Wartezeiten sind aber für viele Menschen ausschlaggebend. Allerdings legen deutschen Medizintouristen großen Wert auf eine hohe Qualität der Behandlung. Aus Angst vor einer Sprachbarriere ist es der Mehrheit zudem wichtig, dass der behandelnde Arzt Deutsch spricht. Und auch über die Risiken machen sich die Medizintouristen Gedanken: Ungeklärte Haftungsfragen im Schadensfall, hohe Kosten, wenn eine Nachbehandlung eine erneute Reise ins Ausland notwendig macht, und Komplikationen bei der Behandlung bzw. Folgeerkrankungen sind die häufigsten Sorgen. Der Medizintourismus hat aber nicht nur Auswirkungen auf den Patienten, sondern auch auf das Reiseland. Für viele Regionen sind Scharen von Medizintouristen ein bedeutender Wirtschaftsfaktor, der Arbeitsplätze schafft und Geld in die klammen Kassen spült. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass eine Konzentration auf die Versorgung gutzahlender Ausländer in Privatkliniken die medizinische Versorgung der einheimischen Bevölkerung gefährden kann. Und auch für die Umwelt kann der Medizintourismus verheerende Auswirkungen haben – in vielen Entwicklungsländern wird der Abfall der Privatkliniken beispielsweise nicht fachgerecht entsorgt.
Die gestiegene Mobilität der Bevölkerung birgt aber noch weitere Risiken: Noch frisch im Gedächtnis dürfte die Ausbreitung von NDM-1 (Neu-Delhi Metallo-Beta-Laktamase) bildenden Bakterien sein, die vermutlich von Schönheits-OP-Touristen aus Indien oder Pakistan nach Großbritannien eingeschleppt wurden. Ein weiteres Reservoir für NDM-1 bildende Bakterien scheint sich auf der Balkanhalbinsel zu befinden. Und jüngst konnten Forscher des Fachbereichs Infektions- und Tropenmedizin am Universitätsklinikum Leipzig nachweisen, dass reisefreudige Touristen multiresistente Keime wie ESBL- und Carbapenemase-bildende Enterobakterien als Souvenir mit nach Deutschland bringen können. Gemäß einer aktuellen Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) sollen zwar auch jetzt schon alle Risikopatienten gescreent werden, doch die dort verwendete Definition, wer als Risikopatient gilt und wer nicht, könnte zu eng gefasst sein. Dr. Beniam Ghebremedhin, stellvertretender Leiter des Instituts für Medizinische Labordiagnostik am Helios Klinikum Wuppertal, hält daher eine Ausweitung des Screenings auf grundsätzlich alle Reiserückkehrer aus Endemiegebieten für sinnvoll. Allerdings gibt er auch zu bedenken, dass für ein allgemeines Screening die personellen und finanziellen Ressourcen – speziell in Krankenhäusern der Maximalversorgung – schlicht nicht ausreichen.
Deutsche Krankenkassen sind dazu verpflichtet, die Kosten einer Behandlung innerhalb der Europäischen Union bis zu der Höhe zu erstatten, die bei einer Behandlung im Inland angefallen wären. Wer einen größeren Eingriff plant, muss sich vorab eine Genehmigung bei seiner Krankenkasse einholen. Ambulante Behandlungen bezahlt der Patient dagegen zuerst selbst und bekommt die Kosten anschließend von der Krankenkasse erstattet – abzüglich einer Pauschale für erhöhten Verwaltungsaufwand. Es werden aber selbstverständlich nur die Kosten für solche Behandlungen erstattet, die zum Leistungsangebot der Krankenkasse gehören. Haartransplantation und LASIK muss der Patient also im Regelfall selbst bezahlen – egal ob in Deutschland, im EU-Ausland oder weltweit. Probleme kann es indes bei Garantie- und Gewährleistungsansprüchen geben. Wenn beispielsweise der Zahnersatz im Ausland eingegliedert wurde, ist eine Übernahme von Gewährleistungsarbeiten in Deutschland nicht möglich. Anstatt noch einmal die Kosten für Anreise und Unterkunft im Ausland zu zahlen, kann es daher für den Patienten unter Umständen günstiger sein, selbst für die Folgekosten im Inland aufzukommen. In jedem Fall ist es für den Patienten empfehlenswert, im Vorfeld ein klärendes Gespräch mit der Krankenkasse zu führen.
Zur Qualität der Behandlungen im Ausland gibt es widersprüchliche Angaben: Eine Studie des Medizinischen Dienstes der KV Rheinland-Pfalz zur Qualität zahnärztlicher Arbeiten im Ausland zeichnet ein düsteres Bild. Offenbar wies jede dritte Zahnersatzversorgung Mängel auf, und nur 55 % der Versorgungen entsprachen den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses und waren mängelfrei. Zu einem deutlich anderen Bild kommt dagegen eine Umfrage aus dem Jahr 2012, der zufolge mindestens 96 % der Patienten mit dem Behandlungsergebnis im EU-Ausland zufrieden waren. Eine unvorhergesehene Nach- oder Weiterbehandlung war hier nur bei 2 % der Befragten erforderlich. Grund für die unterschiedlichen Ergebnisse könnte sein, dass die Studie des Medizinischen Dienstes überwiegend Zahnersatzversorgungen aus Nicht-EU-Ländern untersuchte, während in der Patientenumfrage ausschließlich Erfahrungen im EU-Ausland abgefragt wurden. Wer sich als Arzt mit dem Thema Auslandsbehandlung konfrontiert sieht, sollte offen und differenziert mit dem Patienten über die Vor- und Nachteile dieser Option reden, um gemeinsam eine für beide Parteien zufriedenstellende Lösung zu finden. Das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient sollte dann auch nicht darunter leiden, wenn der eigene Patient sich doch dazu entschließt, im Ausland „fremdzugehen“. Im Übrigen hat die neue Mobilität der Patienten für die heimische Ärzteschaft nicht nur Schattenseiten: Zahlungskräftige Kunden aus dem Ausland kommen gerne auch nach Deutschland, um von dem hohen medizinisch-technischen Standard hierzulande zu profitieren.