Cannabis ist dank der Regierungsbildung wieder im Gespräch – eine gute Gelegenheit, einen medizinischen Blick auf Cannabinoide zu werfen.
Egal ob Ampel oder Jamaika – unter der neuen Regierung wird es frischen Wind, wenn nicht sogar Sturm, an der Cannabisfront geben. SPD, Grüne und die FDP fordern schon länger die Legalisierung von Cannabis. Eine politische Machtverschiebung Richtung links gibt vermutlich das Hanf frei. Selbst die Drogenbeauftragte Daniela Ludwig (CSU) ist von der jahrzehntelangen Linie der Kriminalisierung abgerückt, wie sie in einem Interview mit dem Redaktions-Netzwerk Deutschland (RND) erklärte. Sie will Konsumenten, die bis zu sechs Gramm bei sich haben, nicht mehr strafrechtlich verfolgen. Der Besitz soll nur noch eine Ordnungswidrigkeit sein.
Die Diskussion der Liberalisierung soll an dieser Stelle aber nicht geführt werden. Vielmehr ist medizinisch relevant, welche Interaktionen Cannabinoide auslösen können – falls demnächst mehr Patienten mit Fragen in die Sprechstunde kommen.
Bislang beschränkt sich der legale Markt für psychoaktiv wirkendes Cannabis hierzulande ausschließlich auf den medizinischen Einsatz. Ein immenser Markt weckt Begehrlichkeiten, aber auch Risiken.
Neben dem Konsum von Cannabis als Rauschdroge werden Zubereitungen als Therapeutika gegen zytostatikabedingte Übelkeit, bei Spastiken und bei Schmerzen als Add-on eingesetzt. Weitere Anwendungen sind weit verbreitet, aber Off-Label-Use. Cannabinoide stehen dabei in mehreren Zubereitungen zur Verfügung:
Die Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie (DGS) spricht sich in ihrer Praxisleitlinie „Cannabis in der Schmerztherapie“ für Cannabis als Co-Analgetikum aus. Cannabinoide sind jedoch grundsätzlich als Add-on zu sehen, wenn andere Therapien versagt haben oder nicht ausreichend wirken, so die Leitlinie. Die DGS berücksichtigt, neben der externen Evidenz aus Literaturrecherchen, auch Erfahrungswerte von Therapeuten und Patienten. Eine fehlende, schwache oder mäßige Evidenz für eine medizinische Verwendung von Cannabinoiden bedeutet nicht, dass keine Wirkung existiert und somit keine Indikation besteht, so die Leitlinienautoren. Das Prozedere zur Entstehung dieser Leitlinie grenzt sich damit von anderen Leitlinien ab.
Der Wirkstoff Dronabinol steht in der Leitlinie auf gleicher Stufe wie die Fertigarzneimittel. Die Therapie mit Cannabisblüten wird hingegen ausdrücklich nicht empfohlen. Zum einen werden schnell hohe Wirkstoffpeaks erreicht, zum anderen sind die Konzentration an THC und Cannabidiol (CBD) nicht konstant. Ein weiteres Problem der Blüten betrifft vor allem Tumorpatienten im Endstadium ihrer Erkrankung: Cannabis-Blüten können mit Pilzen befallen sein.
Aus mehreren Gründen kommt den Arzneimittelinteraktionen eine besondere Bedeutung zu. Cannabis ist ein Polywirkstoffgemisch – jeder der mehr als 500 Inhaltsstoffe kann Wechselwirkungen auslösen. Aus dem Zusammenspiel der Substanzen ist die eintretende Interaktion eine Gleichung mit zahlreichen Unbekannten. Wird Cannabis oder eine Zubereitung daraus medizinisch iatrogen angewendet, handelt es sich bei dem Patienten nicht selten um einen Polymorbiden mit Polymedikation.
Ein weiterer Grund für das hohe Interaktionspotenzial ist der Eingriff in zahlreiche pharmakokinetische Schritte. Das Ausmaß der Wechselwirkungen ist u. a. abhängig von der Höhe der Plasma-Protein-Bindung (PPB). Ist diese hoch, kann die Substanz andere Arzneistoffe aus deren Bindung verdrängen und die Wirkung und Nebenwirkung steigern. Die PPB der Cannabinoide beträgt 95–99 Prozent.
Die meisten Arzneimittelinteraktionen werden jedoch durch eine aktivierende oder hemmende Wirkung der hepatischen Enzyme der CYP-P-450-Gruppe initiiert. Cannabinoide beeinflussen die Wirkung zahlreicher Subtypen der Gruppe. Auch Transportproteine, wie das P-Glykoprotein, sind an der Arzneistoffmetabolisierung beteiligt. Cannabis interagiert mit mehreren Transportproteinen.
Cannabisinhaltsstoffe zeigen eine gute antiemetische Wirkung im Rahmen einer Zytostatikabehandlung. Bei zahlreichen tumorhemmenden Medikamenten spielen sowohl CYP-Enzyme als auch Transportproteine eine Rolle. Die Leberenzyme, die durch die Cannabinoide THC und CBD beeinflusst werden, sind u. a. CYP3A4, CYP2D6 und CYP2C9. Sind die CYP-Enzyme am Abbau des Medikaments beteiligt, führt eine Hemmung zu einer Steigerung des Plasmaspiegels der Wirkstoffe.
Über das Multidrug Resistance-Related Proteine 1 (MRP1) agieren Cyclophosphamid, Irinotecan und Vinblastin. Zahlreiche andere Zytostatika werden über CYP-Enzyme abgebaut und somit deren Nebenwirkungen durch die hemmende Wirkung der Cannabinoide gesteigert. Beispiele hierfür sind u. a: Cyclophosphamid (Prodrug), Docetaxel, Paclitaxel, Tyrosinkinasehemmer und Tamoxifen (Prodrug). Eine umfangreiche Übersicht über die Wechselwirkungen zwischen Cannabinoiden und Zytostatika liefern Bouquie et al.
Werden CYP-Enzyme benötigt, um ein Prodrug in den aktiven Metaboliten umzuwandeln, könnte eine Hemmung die Wirksamkeit des Krebsmedikamentes vermindern. Zum Ausmaß der klinischen Relevanz sind noch weitere Studien notwendig.
Das Ergebnis der Interaktionen ist in mehrere Richtungen möglich. Cannabis kann die Wirkung von Pharmaka abschwächen oder steigern. Andererseits können Arzneimittel den Effekt der Cannabinoide hemmen oder erhöhen. Ketoconazol beispielsweise kann die THC- und CBD-Spiegel nahezu verdoppeln. Vorsicht ist folglich auch bei anderen CYP3A4-Inhibitoren, wie Verapamil oder Makrolidantibiotika, geboten.
In Kombination mit THC-haltigen Präparaten droht eine Verstärkung der psychoaktiven Effekte von Antidepressiva. CYP2C9-Inhibitoren wie Cotrimoxazol, Fluoxetin und Amiodaron können ähnliche Auswirkungen haben, so die Aussage einer Studie von Antoniou et al.
Die Wirkung von Cannabis auf die Blutgerinnung ist in der Regel gering. Die gemeinsame Einnahme von Gerinnungshemmern und Cannabis kann das Blutungsrisiko durch Interaktionen allerdings erhöhen. THC hemmt das Enzym CYP2C6 über das auch Vitamin-K-Antagonisten wie Phenprocoumon verstoffwechselt werden. CBD zeigt die gleichen Wechselwirkungen.
Die dänischen Forscher um Damkier et al. zeigen mit einer In-vitro-Studie, dass THC den CYP2C9-vermittelten Metabolismus des blutgerinnungshemmenden Medikamentes hemmen kann. Eine großangelegte Studie von Mamas et al. mit 113.477 Patienten ging der Frage nach, ob Marihuana-Konsum das Blutungsrisiko unter antikoagulativer Therapie nach einer Ballondiltation (PCI) verändert und/oder andere Komplikationsrisiken rund um diesen Eingriff beeinflusst.
Durch die Bindung an das Transportprotein P-gp können Cannabinoide auch die Serumspiegel von direkten oralen Antikoagulantien (DOAKs) wie Rivaroxaban, Apixaban und Dabigatran anheben und somit das Risiko für Blutungen vergrößern. Auf der anderen Seite hemmt Cannabis die Umwandlung von Clopidogrel in seinen aktiven Metaboliten und verringert so die antithrombotische Wirkung dieses Aggregationshemmers, so eine im Journal American College of Cardiology publizierte Studie von Mamas et al.
In einer Arbeit von DeFilippis et al. wird vor Wechselwirkungen mit weiteren Herz-Kreislauf-Medikamenten gewarnt. „Es ist unbedingt erforderlich, strenge wissenschaftliche Untersuchungen zur Bewertung von Marihuana durchzuführen, um Empfehlungen für die Patientenversorgung zu geben und einen Rahmen für die kardiovaskuläre Gemeinschaft zu schaffen“, so die Autoren.
Nicht nur Interaktionen mit Herzmedikamenten sind für kardiale Patienten relevant. 1,3 Prozent der Cannabisnutzer, aber nur 0,8 Prozent der Nicht-Cannabis-Konsumenten erlitten einen Herzinfarkt, so das Ergebnis einer Beobachtunsstudie von Ladha et al. an über 33.000 Patienten.
Für gelegentliche Konsumenten war das Herzinfarktrisiko 1,5 mal höher als für Nichtkonsumenten. Wer die Droge häufiger konsumierte, für den stieg das Risiko sogar auf das 2,3-Fache an, so die im Canadian Medical Association Journal publizierte Studie. Die Wissenschaftler regen daher an, Cannabisgebrauch in die offizielle Liste der bekannten Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufzunehmen.
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