Bisher galt das Überleben einer Tierart ohne sexuelle Fortpflanzung evolutionsbiologisch als unwahrscheinlich, gar unmöglich. Einem Forschungsteam gelang nun der Gegenbeweis.
Bei Organismen mit zwei Chromosomensätzen, wie zum Beispiel dem Menschen, sorgt Sex für eine konstante Durchmischung zweier unterschiedlicher Genome. So wird zwar genetische Vielfalt – und damit ein evolutionsbiologischer Vorteil – zwischen verschiedenen Individuen erzeugt, dennoch bleiben die beiden Erbgut-Kopien innerhalb eines Individuums im Durchschnitt sehr ähnlich. Auch für sich asexuell reproduzierende Arten, die genetische Klone von sich selbst erzeugen, ist es möglich, genetische Varianz ins Erbgut zu bringen und sich somit im Laufe der Evolution an ihre Umwelt anzupassen.
Allerdings führt das Fehlen sexueller Fortpflanzung und damit der Durchmischung bei asexuellen Tierarten dazu, dass die beiden Genomkopien unabhängig voneinander Mutationen ansammeln und innerhalb ein und desselben Individuums immer unterschiedlicher werden. Eine rein asexuelle Fortpflanzung hinterlässt jedoch – zumindest theoretisch – eine besonders charakteristische Spur im Erbgut. Das Vorliegen des charakteristischen Musters im Erbgut nennt man den Meselson-Effekt. Dieser wurde jedoch nie schlüssig an einer Tierart nachgewiesen.
Asexuelle Fortpflanzung scheint also auf lange Sicht unvorteilhaft zu sein. Dennoch gibt es uralt bestehende asexuelle Tierarten wie die Hornmilbenart Oppiella nova, die lediglich aus Weibchen bestehen. Zu belegen, dass die uralt asexuellen Arten sich auch wirklich ausschließlich asexuell fortpflanzen und ob sie dies auch schon so lange tun, ist ein sehr komplexes Unterfangen: „Es könnte beispielsweise eine Art von ‚kryptischem‘ sexuellem Austausch geben, den man nicht kennt. Oder noch nicht kennt. Zum Beispiel indem sehr selten doch mal ein fortpflanzungsfähiges Männchen produziert wird – möglicherweise sogar aus Versehen", erklärt Dr. Alexander Brandt, Universität Lausanne.
Brandt untersuchte daher mit seinem Team in einer Studie verschiedene Populationen von Oppiella nova und ihrer nahe verwandten, aber sich sexuell reproduzierenden Schwesterart Oppiella subpectinata und sequenzierte bzw. analysierte deren genetische Information: „Eine Sisyphos-Arbeit“, beschreibt Dr. Jens Bast, Universität zu Köln, das Verfahren. „Die Milben sind nur ein Fünftel Millimeter groß und schwer zu identifizieren.“ Zusätzlich erforderte die Analyse der Genomdaten eigens zu diesem Zweck geschriebene Computerprogramme.
Doch Kummer und Schweiß wurden belohnt: Der Meselson-Effekt konnte tatsächlich belegt werden. „Dies zeigt eindeutig, dass O. nova ausschließlich asexuell reproduziert. Hornmilben könnten noch für die ein oder andere Überraschung sorgen, wenn es darum geht zu verstehen, wie Evolution ohne Sex funktioniert“, hält Bast fest. Die Ergebnisse zeigen: Das Überdauern einer Art ohne sexuelle Reproduktion ist zwar ziemlich selten, aber keine Unmöglichkeit. Die Forschenden der Studie sind nun dabei herauszufinden, was diese Hornmilben so speziell macht.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung der Universität zu Köln. Hier findet ihr die Originalpublikation.
Bildquelle: Bruno Kelzer, unsplash.