Forschern der Charité ist es gelungen, einen Rezeptor, der das Hungergefühl reguliert, abzubilden. Dadurch liefern sie wichtige Erkenntnisse im Kampf gegen Übergewicht.
Schätzungsweise 1,6 Milliarden Erwachsene und 650 Millionen Kinder sind weltweit übergewichtig und somit einem erhöhten Risiko ausgesetzt, an Herz-Kreislauf-Fehlfunktionen oder Diabetes mellitus zu erkranken. Forscher veruschen daher, die Mechanismen der Appetitregulation auf molekularer und atomarer Ebene zu entschlüsseln. Im Fokus des Interesses stehen häufig die Auswirkungen genetischer Defekte auf das Sättigungsgefühl und die Suche nach möglichen Stellen, an denen im Krankheitsfall medikamentös eingegriffen werden kann.
Für die Regulation des Hungergefühls sind unter anderem der sogenannte Melanocortin-4-Rezeptor (MC4R) – einem vorwiegend im Gehirn lokalisierten Protein – und mit ihm in Interaktion stehende Hormone verantwortlich. Durch das Andocken der Hormone an das Protein werden entscheidende Signale für das Sättigungsgefühl ausgelöst. Die Aktivierung des Rezeptors durch stimulierende Hormone (α-/ß-MSH) hemmt das Hungergefühl. Der Gegenregulator hingegen – das sogenannte Agouti-related peptide (AgRP) – blockiert den Rezeptor und führt zu einem vermehrten Hungergefühl.
Genetisch bedingte Fehlfunktionen an diesem Schalter-Protein können sehr häufig zu leichtem oder schwerem Übergewicht führen, weshalb die Mutationen in für Botenstoffe und Rezeptoren zuständigen Genen untersucht werden, um Medikamente zu entwicklen. Doch die aktuell verfügbaren Ersatzmittel, die Wirkstoffe ersetzen können, bieten nicht nur Vorteile. „Bisher sind diese pharmakologischen Interventionen von Nebenwirkungen begleitet. Diese reichen von einer Dunkelfärbung der Haut – das Melanocortin-Hormon ist unter anderem auch für die Pigmentierung von Haut und Haaren zuständig – bis hin zu kardiovaskulären Ereignissen“, sagt Prof. Peter Kühnen.
„Die Ursache dieser unerwünschten Wirkungen liegt im Aufbau der vorhandenen Medikamente“, erklärt Studienleiter Dr. Patrick Scheerer. „Diese adressieren in der Regel nicht nur ein Ziel, sondern verschiedene Rezeptoren aus der gleichen Familie, die aber eine andere Rolle im Organismus spielen. Je genauer wir die Interaktionen zwischen den beteiligten Komponenten kennen, umso gezielter lässt sich eingreifen.“
Im Zuge einer aktuellen Studie ist es Forschern nun gelungen, die räumliche Struktur des Hormon-Rezeptors MC4R, einem G-Protein-gekoppelten Rezeptor (GPCR), aufzuklären und sichtbar zu machen. Hierfür reichen herkömmliche optische Methoden nicht aus, denn das Protein ist winzig klein. „Wir konnten mittels Kryo-Elektronenmikroskopie […] die dreidimensionale Struktur des Rezeptors – im Bereich von 0,26 Nanometer – auflösen und darstellen“, sagt Nicolas Heyder, Erstautor der Studie.
„Dabei haben wir den aktiven Rezeptor in zwei Komplexen mit einem Haupteffektor, dem G-Protein, der im Inneren der Zelle an den Rezeptor gebunden ist, abgebildet. Die beiden Komplexe unterscheiden sich durch zwei gebundene Hormonvarianten: Setmelanotide und NDP-α-MSH, zwei Wirkstoffe, die in den letzten beiden Jahren als Medikamente zugelassen wurden und die jeweils von einem winzigen Calcium-Ion stabilisiert werden.“
Es hat sich gezeigt, dass beide Rezeptorstrukturen Unterschiede in sehr kleinen, aber wichtigen Punkten hinsichtlich der Bindung der Wirkstoffe und des G-Proteins aufweisen. „Diese molekularen Details geben wichtige Hinweise darauf, warum und wie genau verschiedene Liganden, also Informationsmoleküle, die unterschiedlichen Signalwege des MC4R spezifischer beeinflussen. Für eine pharmakologische Intervention ist das von großer Bedeutung“, erklärt Heyder.
Im Ergebnis beschreibt die Studie präzise bislang unbekannte Details in der Funktionsweise des Melanocortin-4-Rezeptors – wie er aktiviert, oder aber blockiert wird und wie ein Hormon jeweils mit dem Rezeptor-Protein interagiert und dadurch ein Signal innerhalb der Zelle auslöst. „Wir erkennen jetzt kleinste Unterschiede im Zusammenspiel von Rezeptor-Hormonvarianten, die wichtig sein können, um neue Medikamente, deren Einsatz mit Nebenwirkungen einherging, weiter zu verbessern“, sagt Scheerer. „Die genaue Struktur der Hormonbindungstasche ist nun bekannt und kann gezielt adressiert werden.“ Das ist ein Schlüssel im Verständnis zwischen der Hormonregulation und den strukturellen Eigenschaften der Proteine.
Insbesondere konnte das Forschungsteam aufzeigen, wie sich ein den Rezeptor inaktivierender Regulator in seiner Bindung im Wesentlichen an nur einer Stelle vom aktivierenden Agonisten unterscheidet, sonst aber fast identisch gebunden ist. „Dieser Unterschied deutet sehr genau darauf hin, an welcher Stelle der Rezeptor blockiert werden kann und wo eine sensible Schalterstelle für die Aktivierung des Proteins lokalisiert ist“, so Scheerer.
Die neuen Erkenntnisse können nun dabei helfen, nebenwirkungsarme Wirkstoffe zur Behandlung stark übergewichtiger oder adipöser Patienten zu entwickeln. In künftigen Arbeiten wollen die Forscher verstehen, wie der Rezeptor auf molekularer Ebene durch zusätzliche Einflüsse gesteuert wird. Einige direkt interagierende Faktoren sind bereits bekannt; nicht bekannt dagegen ist, wie sie auf das Zusammenspiel einwirken.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Hier findet ihr die Originalpublikation.
Bildquelle: Katya Austin, Unsplash