Kommt mit Molnupiravir jetzt der echte Game-Changer? Für den ambulanten Einsatz könnten Ärzte demnächst endlich ein wirksames COVID-Frühmedikament an die Hand bekommen. Das Besondere: Der Wirkstoff wird oral eingenommen.
Was hatten wir nicht alles schon an COVID-Wundermitteln für die frühe Therapie oder die Prävention. Chloroquin hat möglicherweise über QT-Verlängerungen mehr Menschen umgebracht als vor schweren COVID-Verläufen geschützt. Ivermectin, das Antiparasitikum, hat ebenfalls nie überzeugende Wirksamkeitsnachweise geliefert. Es wurde in der angloamerikanischen Welt dennoch ein Renner. Zumindest diesen Hype hat Deutschland weitgehend ausgelassen. Etwas bessere Daten lieferte Colchicin in der COLCORONA-Studie, aber auch die waren längst nicht gut genug, um das Medikament zu einem Standard-Frühtherapeutikum zu erklären. Und dann hatten wir noch den Universalexperten Karl Lauterbach, der Budesonid zu einem Game-Changer erklärte und damit die Asthma-Versorgung in Deutschland an den Rand des Kollaps brachte. Auch „Ich-kenne-die-Arbeitsgruppe“-Fluvoxamin hatte der Professor aus Prenzlauer Berg empfehlend platziert.
In der Gesamtschau: Alles nicht beeindruckend. Gute Daten in Sachen Frühtherapie gibt es bisher praktisch nur für SARS-CoV-2-spezifische, monoklonale Antikörper sowie – mit Einschränkungen – für früh appliziertes Rekonvaleszentenplasma, sofern es eine hohe Konzentration neutralisierender Antikörper aufweist. Beides kann bei Höchstrisikopatienten frühtherapeutisch und auch präventiv im Sinne einer Passivimpfung hilfreich bzw. lebensrettend sein. Aber auch wenn jetzt erste subkutane Applikationen der Antikörper-Cocktails kommen und die Sache damit einfacher umzusetzen wird: Es sind keine Medikamente für einen massenhaften Einsatz in der Frühtherapie. Schon wegen des Preises ist das ausgeschlossen.
Seit Freitag steht jetzt mit Molnupiravir ein Virostatikum in den Startlöchern, das zur ersten oralen antiviralen Behandlungsoption bei frühem COVID-19 werden könnte. Die Rekrutierung der Phase-II/III-Studie MOVe-OUT, die das Medikament bei leichter bis mittelschwerer COVID-19-Erkrankung mit Placebo verglichen hat, wurde auf Empfehlung des unabhängigen Data Monitoring Committe und in Absprache mit der US-Zulassungsbehörde FDA nach rund 1.550 Patienten gestoppt, weil die Ergebnisse einer Zwischenanalyse auf Basis von 762 Patienten aus Sicht der Beteiligten zu gut waren, um eine Weiterführung noch rechtfertigen zu können.
Angestrebt waren ursprünglich 1.850 Patienten, es fehlten zum Zeitpunkt des Studienstopps also noch rund 300 Patienten. Hersteller MSD will auf Basis der Interimsanalyse und der kurzfristig erwartbaren Daten zu den weiteren rund 800 Patienten bei der FDA jetzt einen Antrag auf Notfallzulassung einreichen. Zulassungsanträge bei anderen Aufsichtsbehörden sollen folgen. Offiziell veröffentlicht ist freilich bisher noch nichts. Es handelt sich um Studienkommunikation per Pressemeldung.
Demnach wurden für die MOVe-OUT Studie nicht-hospitalisierte, erwachsene Patienten mit leichtem bis mittelschwerem COVID-19 rekrutiert, 377 in den Placebo-Arm und 385 in den Molnupiravir-Arm. Primärer Endpunkt war Krankenhauseinweisung oder Tod bis Tag 29 nach Studienbeginn, Symptombeginn durfte maximal fünf Tage vor Randomisierung gewesen sein. Der Unterschied zwischen den beiden Gruppen war bei dem so definierten Patientenkollektiv hoch signifikant: 7,3 % der Molnupiravir-Patienten waren bis Tag 29 entweder wegen COVID ins Krankenhaus eingewiesen worden oder verstorben, gegenüber 14,1 % in der Placebogruppe – eine Risikoreduktion um die Hälfte (p=0,0012). Noch deutlicher war der Unterschied bei den Todesfällen: Acht Placebopatienten verstarben bis Tag 29, in der Molnupiravir-Gruppe war es kein einziger.
Das war es dann auch schon fast mit den Zahlen. Verraten wird in der Pressemeldung noch, dass es eine Subgruppenanalyse nach Virusvariante gab und dass die Effekte für Gamma, Delta und Mu „konsistent“ seien. Genaue Effektivitätsquoten fehlen hier noch, sequenziert wurden offenbar auch nur 40 % der Patienten. Was unerwünschte Ereignisse angeht, gab es solche jeglicher Art bei 35 % der Patienten in der Molnupiravir-Gruppe und bei 40 % in der Placebo-Gruppe. Arzneimittelbezogene UAW traten bei 12 % bzw. 11 % auf. Studienabbrüche wegen UAW gab es bei 1,3 % der Patienten in der Molnupiravir- und bei 3,4 % in der Placebo-Gruppe.
Klar ist: Wenn Molnupiravir klinisch eingesetzt werden soll, dann wird es früh eingesetzt werden müssen. Als Virostatikum kann es seinen Nutzen nur in der Phase der COVID-19-Erkrankung ausspielen, in der es auf die SARS-CoV-2-Replikation ankommt. Die späteren, inflammatorisch-immunologischen Phasen der Erkrankung sind ein anderes Thema. Bei hospitalisierten COVID-19-Patienten wurde Molnupiravir in der MOVe-IN-Studie evaluiert. Diese Studie war schon im April 2021 gestoppt worden, weil sich ein Nutzen nicht in ausreichendem Umfang zeigte. Untersucht wird Molnupiravir weiterhin noch in der MOVe-AHEAD-Studie, die ein Postexpositionsprophylaxe-Szenario bedient, sprich Pflegeheimausbruch und Ähnliches.
Bleibt die Frage: Wie wirkt Molnupiravir eigentlich? Um diese Frage haben sich Wissenschaftler des Göttinger Max-Planck-Instituts für biophysikalische Chemie und der Julius-Maximilians-Universität Würzburg verdient gemacht. Sie konnten zeigen, dass das Medikament mit der Virusreplikation interferiert. Konkret wird die Substanz offenbar nach Aufnahme in RNA-ähnliche Bausteine umgewandelt, die ins Viruserbgut eingeschleust werden und dort dazu führen, dass bei der Replikation extrem viele Fehler passieren. Der Wirkmechanismus ist ähnlich wie bei Remdesivir, dem ersten großen COVID-Hoffnungsträger im Bereich der Virostatika mit dem Unterschied, dass Remdesivir aktiv die virale RNA-Polymerase ausbremst.
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