Um die Präzision in der Krebsdiagnostik weiter zu steigern, haben Forscher Zelldaten mittels künstlicher Intelligenz ausgewertet. Kann das Ergebnis überzeugen?
Die Lymphknoten schwellen an, das Gewicht schwindet und zur Müdigkeit kommen Fieberschübe und Infekte – das sind typische Symptome von bösartigen B-Zell-Lymphomen und den damit verwandten Leukämien. Wenn der Verdacht besteht, dass es sich um eine solche Krebserkrankung des Lymphsystems handelt, entnimmt der Arzt eine Probe aus Blut oder Knochenmark und schickt sie an spezialisierte Labore.
Dort kommt die Durchflusszytometrie zum Einsatz. Dabei handelt es sich um ein Verfahren, bei dem die Blutzellen mit hoher Geschwindigkeit an Mess-Sensoren vorbeifließen. Je nach Form, Struktur oder Färbung können die Eigenschaften der Zellen erfasst werden. Der Nachweis und die genaue Charakterisierung krankhafter Zellen ist wichtig in der Diagnosefindung.
Die Labore nutzen Antikörper, die an die Oberfläche der Zellen andocken und an Fluoreszenzfarbstoffe gekoppelt sind. Mit solchen Markern lassen sich auch kleine Unterschiede zwischen den Krebszellen und gesunden Blutzellen erfassen. Die Durchflusszytometrie erzeugt große Datenmengen. Im Durchschnitt werden mehr als 50.000 Zellen pro Probe vermessen. Diese Daten werden dann üblicherweise am Bildschirm analysiert, indem die Expression der verwendeten Marker gegeneinander aufgetragen wird. „Bei 20 Markern müsste der Arzt aber bereits etwa 150 zweidimensionale Bilder vergleichen“, sagt Prof. Peter Krawitz vom Institut für Genomische Statistik und Bioinformatik des Universitätsklinikums Bonn. „Deshalb ist es meist zu aufwendig, den gesamten Datensatz gründlich zu sichten.“
Krawitz hat deshalb zusammen mit den Bioinformatikern Nanditha Mallesh und Max Zhao untersucht, wie sich künstliche Intelligenz (KI) für die Auswertung der Zytometriedaten einsetzen lässt. Das Team berücksichtige mehr als 30.000 Datensätze von Patienten mit B-Zell-Lymphomen, um die KI zu trainieren. „Die KI nutzt die Daten in vollem Umfang und steigert die Geschwindigkeit und die Objektivität der Diagnosen“, sagt Erstautorin Mallesh. Das Ergebnis der KI-Auswertungen ist ein Diagnosevorschlag, der noch vom Arzt überprüft werden muss. Dabei gibt die KI Hinweise auf auffällige Zellen.
Die Blutproben und Zytometerdaten stammen von dem Münchner Leukämielabor (MLL), der Charité Berlin, dem Universitätsklinikum Erlangen und dem Universitätsklinikum Bonn. Spezialisten dieser Institutionen prüften die Ergebnisse der Künstlichen Intelligenz. „Goldstandard ist die Diagnose durch Hämatologen, in der auch Ergebnisse zusätzlicher Untersuchungen berücksichtigt werden können“, sagt Krawitz. „Es geht beim Einsatz der KI nicht darum, Ärzte zu ersetzen, sondern die in den Daten enthaltene Information bestmöglich auszuschöpfen.“
Die große Neuerung der jetzt vorgestellten KI liegt in der Möglichkeit des Wissenstransfers: Insbesondere kleinere Labore, die sich keine eigene bioinformatische Expertise leisten können und vielleicht auch zu wenige Proben haben, um selbst eine KI von Grund auf neu zu entwickeln, können davon profitieren. Nach kurzer Trainingsphase, bei der die KI die Besonderheiten des neuen Labors kennenlernt, kann dann auf das aus vielen tausend Datensätzen abgeleitete Wissen zurückgegriffen werden.
Das Team sieht sehr großes Potenzial in dieser Technologie. Die Forscher möchten deshalb auch mit großen Herstellern von Analyse-Geräten und -Software zusammenarbeiten, um den Einsatz der KI weiter voranzutreiben. Bei B-Zell-Lymphomen werden etwa auch noch genetische und zytomorphologische Daten erhoben, um die Diagnosen abzusichern.
„Wenn es uns gelingt, KI auch für diese Methoden einzusetzen, dann hätten wir ein noch leistungsfähigeres Tool“, sagt Krawitz. Auch für Diagnosen von rheumatischen Erkrankungen, die häufig ebenfalls auf durchflusszytometrischen Daten beruhen, sei ein Einsatz der entwickelten KI prinzipiell möglich.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Die Originalpublikation findet ihr hier.
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