Nach der Wahl stehen alle Zeichen auf Kurswechsel – auch beim Posten des Gesundheitsministers. Wer könnte Spahn ablösen? Unsere 5 Top-Kandidaten im Portrait.
Acht Jahre lang lag das höchste gesundheitspolitische Amt in den Händen der CDU. Jetzt ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer Bundesregierung unter Armin Laschet kommen wird, eher gering. Die SPD hat klar die Oberhand – und damit sind viele Optionen für eine neuen Person an der Spitze des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) denkbar.
Auch ein Großteil der Bevölkerung scheint sich nach einem Wechsel zu sehnen: 49 Prozent gaben an, dass sie Spahn nicht mehr im Amt sehen wollen. Und nur 20 Prozent wünschen sich ihn weiter als Gesundheitsminister. Das zeigt eine aktuelle Insa-Umfrage für Bild.
Welche Top-Kandidaten stehen für Spahns Nachfolge in den Startlöchern? Hier stellen wir euch fünf Favoriten vor.
Manche halten ihn für einen Besserwisser, anderen loben seinen hartnäckigen Einsatz, wieder andere sehen in ihm im Wesentlichen einen selbstverliebten Poser, der seine eigenen Fähigkeiten bei der Bewertung von Wissenschaft überschätzt und mit einem Harvard-Diplom wedelt, damit das nicht so auffällt. Karl Lauterbach ist wohl der größte Polit-Promi auf unserer natürlich sehr subjektiven Liste möglicher Gesundheitsminister. Tatsache ist: Kaum ein SPD-Politiker ist so präsent wie der Mediziner und Gesundheitsökonom – spätestens seit der Pandemie kennen ihn alle.
Dabei hat er sich vor allem als Mahner für einen vorsichtigen Kurs hervorgetan. Durch seine Dauerpräsenz in der Corona-Krise hat er enormen Rückhalt in der Bevölkerung gewonnen. Bei der Wahl hat er nun abgestaubt – und erreicht mit 45,6 Prozent der Erststimmen eines der besten Ergebnisse aller Bundestagskandidaten. Damit ist ihm zum wiederholten Mal das Direktmandat für den Wahlkreis Leverkusen – Köln IV sicher.
Jetzt wird Lauterbach als Kandidat auf Spahns Posten heiß diskutiert. 45 Prozent der Deutschen wünschen sich das Gesundheitsressort in den Händen der SPD, zeigt eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey für Business Insider. Zumindest aus Sicht des Talkshow-Publikums wäre Lauterbach eine naheliegende Besetzung.
Interesse an dem Amt hat der unbescheidene Politiker in der Vergangenheit immer wieder geäußert: „Das Amt des Gesundheitsministers finde ich nach wie vor sehr reizvoll“, sagte er Anfang Juli im Spiegel. „Ich bin zudem recht zuversichtlich, dass mich diese Aufgabe nicht überfordern würde.“ Dann ist ja gut.
Fraglich bleibt aber, ob seine Partei ihm den Job tatsächlich zutrauen möchte. In der SPD-Führung und -Fraktion sind ihm nicht alle wohlgesonnen. Manche halten seine Art für zu eigensinnig. Ähnlich stark wiegt das Argument, dass es wahrscheinlich kaum eine denkbare Besetzung des Ministerpostens gäbe, die auf mehr Widerstand im Gesundheitswesen stoßen würde. Karl Lauterbach ist bei sehr vielen, die im Gesundheitswesen etwas zu sagen haben, extrem unbeliebt – gar nicht so sehr wegen seiner Corona-Präsenz, sondern wegen Positionen, die er sonst so in der Vergangenheit vertreten hat. Eines der Stichworte in diesem Zusammenhang lautet Etablierung des deutschen DRG-Systems. Was für Lauterbach spricht: Er ist nicht völlig beratungsresistent und kann auch mal Fehleinschätzungen zugeben. Und: Außer Kanzlerkandidat Olaf Scholz kann die SPD nur wenige beim Wahlvolk wirklich beliebte und bekannte Politiker ins Ministerrennen schicken.
Auch in den tieferen Ebenen des Gesundheitssystems, unter praktizierenden Ärzten, hat sich Lauterbach nicht nur Freunde gemacht. Viele tragen ihm seine Äußerungen von Ende 2018 nach, Ärzte würden weder Mittwoch noch Freitag an den Nachmittagen arbeiten. „Der ein oder andere Arzt wird ab Mittwochnachmittag auf dem Golfplatz gesehen“, sagte er wörtlich gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung.
Trotzdem rechnen ihm auch Ärzte sein Engagement in der Corona-Krise hoch an. „Er steht für evidenzbasierte Medizin, was in der Pandemie überaus wichtig ist“, so Dr. Tim Knoop, Facharzt für Innere Medizin und hausärztliche Versorgung in Köln. In seinen Augen wäre Lauterbach keine schlechte Wahl für den Posten: „Jemand mit dieser wissenschaftsorientierten Einstellung wäre im weiteren Verlauf der Pandemie extrem wünschenswert.“
Eine interessante Kandidatin ist auch Maria Klein-Schmeink, bisherige gesundheitspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Sie sorgte bei der Wahl für eine Überraschung: Als erste Grüne holte sie in Münster mit 32,3 Prozent der Erststimmen glanzvoll das Direktmandat.
Maria Klein-Schmeink, Bildquelle s.u. Die Politikerin und Soziologin setzt sich –wie ihre Parteikollegen– für die Einführung der Bürgerversicherung ein, die allerdings bei keiner denkbaren Koalitionsoption eine realistische Chance auf Erfolg haben dürfte. In ihren Augen ist es längst überfällig, sich vom bisherigen Zwei-Säulen-Modell aus gesetzlicher und privater Krankenversicherung zu verabschieden. Vor allem im Hinblick auf das absehbare hohe Defizit der GKV im kommenden Jahr.
Außerdem stellt sie bei der Vergabe von Arztterminen „ein Schlechterstellungsverbot für gesetzlich Versicherte“ in Aussicht. Es müsse bei Terminen um den Behandlungsbedarf gehen. Mit dem Verbot wäre „es nicht rechtmäßig, aus finanziellen Gründen Menschen vorzuziehen“, so Klein-Schmeink. Diese Regelung dürfte bei Ärzten gemischte Reaktionen hervorrufen – und sicherlich nicht durch die Bank zu Jubel führen.
Janosch Dahmen wäre ebenfalls ein patenter Kandidat, der weiß, was Ärzte bewegt. Ab 2018 war er als Medizinaldirektor und Oberarzt der Ärztlichen Leitung des Rettungsdienstes Berlin für die Berliner Feuerwehr tätig.
Im Fokus seiner Arbeit stand dabei die Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, außerdem die Digitalisierung des Rettungsdienstes. Im Bundestag ist er noch recht frisch: Seit November 2020 ist er Abgeordneter für Bündnis 90/Die Grünen. Als Mitglied im Gesundheitsausschuss hat er sich intensiv mit Fragen rund um das Corona-Geschehen beschäftigt.
Janosch Dahmen, Bildquelle s.u. Seine Fraktionskollegen nennen ihn auch „Grüner Lauterbach“, was für manche ein Kompliment ist, für andere eher nicht. Dahmen ist – wie Lauterbach – in den sozialen Medien, vor allem bei Twitter, sehr präsent. Seine Meinung vertritt er ebenfalls häufig und gerne in Interviews oder Talkshows.
Dahmen scheut sich nicht, die gegenwärtige Gesundheitspolitik zu kritisieren: „An das langsame Tempo, mit dem politische Entscheidungen getroffen werden, kann ich mich noch nicht gewöhnen“, sagte Dahmen gegenüber dem Tagesspiegel. Wer aus der Rettungsmedizin kommt, denkt natürlich auch in anderen Zeithorizonten. In einer Pandemie, so Dahmen, müssten jedenfalls schnell und unkonventionell Entscheidungen getroffen werden.
Dahmen steht außerdem für eine praxisnahe Gesundheitspolitik. „Ich bin doch überrascht, wie weit Politik manchmal von den realen Problemen und Nöten von Medizinern und Patienten entfernt ist“, äußerte er im Tagesspiegel.
Dass er politischen Einfluss hat, konnte er bereits unter Beweis stellen. Als es darum ging, die Impfreihenfolge festzulegen, hatten die STIKO und das BMG Rettungssanitäter zunächst nicht auf dem Schirm. Dahmen setzte sich für eine Impf-Prio dieser Gruppe ein, da sie besonders oft ungeschützten Kontakt zu möglichen Corona-Patienten hat – mit Erfolg.
Lange sah es so aus, als würde Dahmen nicht wieder für die Grünen in den Deutschen Bundestag einziehen. Am Ende reichte Listenplatz 24 auf der NRW-Landesliste doch dafür aus. Fraglich bleibt, ob ihm das Amt aufgrund seiner erst kurzen Erfahrung als Politiker tatsächlich anvertraut wird.
Als Geheim-Kandidat für den Fall einer Jamaika-Regierung oder einer erneuten großen Koalition käme Gottfried Ludwig von der CDU in Frage, auch wenn der bei der Bundestagswahl in diesem Jahr nicht kandidiert hat. Der promovierte Volkswirt ist zwar medial weniger präsent als andere, hat aber in Berlin bei wichtigen Entscheidungen die Fäden in der Hand.
Gottfried Ludewig, Bildquelle s.u.
Er leitet seit 2018 die Abteilung „Digitalisierung und Innovation“ im BMG, die in der Pandemie enorm wichtig geworden ist. Von dort aus hat er die – doch recht träge – Digitalisierung des Gesundheitswesens in Deutschland maßgeblich voran getrieben. Er war das Schlachtschiff bei der Umsetzung von Jens Spahns digitalem Gesetzesreigen.
Ludewig ist überzeugt, dass die Corona-Krise eine Chance für digitale Angebote ist. „Die Versicherten erfahren ganz konkret, dass digitale Anwendungen in der Gesundheitsversorgung helfen“, so Ludewig in Bezug auf die Corona-Warn-App. Er ist derjenige, der für die Entwicklung und Einführung der App verantwortlich war.
Eine entscheidende Rolle spielte Ludewig sowohl bei Spahns E-Health-Vorstößen als auch bei der Verstaatlichung der Gematik. Als Chefarchitekt von über einem Dutzend Digitalisierungsgesetzen – wie das Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) oder das Digitale Versorgung und Pflege-Modernisierungs-Gesetz (DVPMG) – ist er in diesem zukunftsträchtigen Bereich mehr als gut eingearbeitet. Allein: Er scheint nicht bleiben zu wollen.
Christine Aschenberg-Dugnus, Juristin und gesundheitspolitische Sprecherin der FDP, ist mit ihrer Erfahrung ebenfalls eine geeignete Kandidatin. Sie ist seit fast 20 Jahren in der Gesundheitspolitik aktiv. Von 2011 bis 2013 war sie bereits als pflegepolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion tätig.
Bei der Wahl holte sie 8,0 Prozent der Erststimmen im Wahlkreis Rendsburg-Eckernförde, über die Landesliste zieht sie in den Bundestag ein.Christine Aschenberg-Dugnus, Bildquelle s.u.
Auch sie will die elektronische Patientenakte, E-Rezepte und Online-Sprechstunden schnellstmöglich vorantreiben. Keine ganz unwichtige Aussage aus dem Mund einer FDP-Politikerin, denn die FDP hatte einst mit dem legendären Rösler-Moratorium einen der größten Digitalisierungsbremsklötze der letzten zwei Jahrzehnte verantwortet. „Selbstverständlich freiwillig und ohne Zwang“, sagt sie im Gespräch mit der Techniker Krankenkasse. „Digitalisierung ist kein Wert an sich, sondern macht nur dort Sinn, wo Bürokratie abgebaut und Ärzte- und Pflegekräfte entlastet werden können.“
Gewaltigen Reformbedarf sieht sie im Bereich der personalisierten Medizin, der Pflege und der Entbudgetierung der grundversorgenden Haus- und Fachärzte. Die Politikerin kritisiert, dass sich wohl erst die nächste Bundesregierung mit der Finanzierungslücke der Krankenkassen beschäftigen wird. Und sie warnt gegenüber der Ärztezeitung vor einem „Beitragshammer direkt nach der Wahl“.
In der Corona-Politik hält sie die Diskussion über ein Ende aller Maßnahmen für richtig. Mitte September schrieb sie auf ihrem Twitter-Account: „Freedom Day – ich bin dafür“. Damit wird sie sich nicht bei allen Ärzten beliebt gemacht haben. Bei einigen allerdings schon.
Credits der Portraitfotos: Karl Lauterbach, Quelle: Martin KraftMJK 67610 Karl Lauterbach (Bundestag 2020)CC BY-SA 4.0 // Maria Klein-Schmeink, Quelle: © Maria Klein-Schmeink // Janosch Dahmen, Quelle: S. Kaminski // Gottfried Ludewig, Quelle: Tobias Koch // Christine Aschenberg-Dugnus, Quelle: https://caschenbergdugnus.abgeordnete.fdpbt.de/
Titelbildquelle: Hunters Race, Unsplash