In Deutschland werden pro Jahr etwa 100.000 Abtreibungen vorgenommen. Über die Gesetzeslage wird viel diskutiert, aber was wissen wir über die psychischen Folgen für betroffene Frauen?
Abtreibung ist ein schwieriges Thema und vielleicht das schwierigste in einer gynäkologischen Praxis. Ärzte möchten generell helfen, dass Menschen gesund werden oder gesund bleiben. Neben der Sorge um das körperliche Wohlergehen spielt die mentale und emotionale Gesundheit der Ratsuchenden eine besondere Rolle. Während eines Schwangerschaftskonfliktes geht es nicht allein um somatische Fragen, denn auch die psychische Gesundheit der betroffenen Frauen könnte Schaden nehmen. Müssten mögliche psychische Komplikationen durch eine Abtreibung im Entscheidungsprozess berücksichtigt werden? Und wie sieht die Studienlage aus?
Die aktuelle Ausgabe Frauenarzt widmet sich dieser Thematik mit einer Zusammenfassung von Übersichtsarbeiten, die in den vergangenen 20 Jahren erschienen sind. Neben einer umfassenden Dokumentation der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages von 2019, worin mehrere Studien zu den psychischen Folgen nach Abruptio zusammengefasst wurden, werden 13 Publikationen zwischen 2002 und 2021 analysiert. Darunter stechen einige Studien hervor.
Übersichtsarbeiten aus dem Jahr 2010 von Cameron und aus dem Jahr 2011 im Auftrag des britischen Gesundheitsministeriums fanden kein erhöhtes Risiko für psychische Störungen nach einem Schwangerschaftsabbruch. Anders jedoch in Fällen, bei denen psychische Erkrankung bereits vorlagen. Außerdem bestand ein Zusammengang mit dem Umfang der sozialen Unterstützung.
Coleman kommt 2011 nach Auswertung von 22 Studien mit 878.000 Frauen, davon 164.000 nach einem Schwangerschaftsabbruch, zu einem anderen Ergebnis. Frauen, die einen Abbruch vornehmen ließen, hatten zu 81 Prozent ein erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen, jedoch stünden weniger als 10 Prozent dieser Erkrankungen in direktem Zusammenhang mit dem Schwangerschaftsabbruch.
Fergusson et al. analysierte im Jahr 2013 eine geringe bis mäßige Erhöhung für psychische Gesundheitsprobleme nach einem Abbruch. Es handelte sich um Angsterkrankungen, Alkohol- und Drogenmissbrauch sowie suizidales Verhalten.
In einer skandinavischen Arbeit von Petersen et al. von 2018 wurde über eine qualitative Befragung von 80 Frauen berichtet. Hierbei sprachen betroffenen Frauen von einem auffälligen Ambivalenzgefühl, das einerseits Erleichterung über die Beendigung der Schwangerschaft, andererseits ein Verlustgefühl darstellte. Einige Frauen litten unter Schuldgefühlen, andere bedauerten ihre Entscheidung.
„Zu den psychischen Folgen eines Abbruchs zeigen die Studien und Beiträge eine hohe Diskrepanz in ihren Ergebnissen, die von der Verneinung psychischer Folgewirkungen bis hin zur Bejahung eines sogenannten Post-Abortion-Syndroms als mögliche Unterkategorie einer posttraumatischen Belastungsstörung reichen. Umstritten ist auch die unterschiedliche methodische Herangehensweise wie etwa die Art und Weise der Erhebung von Daten einschließlich der Bildung von adäquaten Vergleichsgruppen, Größe des Teilnehmerinnenkreises, Länge des Zeitraumes der Begleitung oder Berücksichtigung von psychischen Vorerkrankungen“, so die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages in ihrer Übersichtsarbeit.
Zareba et al. kommen im Eastern Journal of Medicine zu folgenden Schlussfolgerungen:
Aus den vorgestellten Studien lassen sich folgende Risikokonstellationen für psychische Auswirkungen eines Schwangerschaftsabbruchs ableiten:
Ganz grundsätzlich: Es gibt nicht den Schwangerschaftskonflikt, jeder Fall und jede Patientin ist anders. Es gibt Situationen, in denen Frauen sich sehr klar für einen Abbruch entscheiden und von Erleichterung und Gewissheit über die richtige Entscheidung sprechen.
Es gibt äußerlich sehr ungünstige Konstellationen, in denen dennoch ein Ja zum Kind gefunden wird. Ich denke an eine 17-jährige Frau ohne Schulabschluss und ohne verlässlichen Partner. Nach langem Ringen, positivem Rückhalt durch die Familie und vielen Gesprächen war sie im Nachhinein froh und dankbar, sich gegen einen Abbruch entschieden zu haben.
Immer wieder werden in Anamnesegesprächen lange zurückliegende Schwangerschaftsabbrüche zögerlich und nicht selten unter Tränen erwähnt: „Wenn ich gewusst hätte, wie sehr ich darunter im Nachhinein leide, hätte ich mich anders entschieden.“ Und es gibt auch Männer, die nicht mit der Entscheidung für einen Abbruch einverstanden sind: „Es ist doch auch mein Kind.“ Genauso wie es Männer gibt, die ihre Partnerinnen zu einem Schwangerschaftsabbruch nötigen, worunter diese Jahre später noch psychisch leiden.
Die Studienlage über psychische Folgen nach einem Schwangerschaftsabbruch ist widersprüchlich. Es gibt umfassende Studien, die dafür sprechen, andere sehen dagegen keine erhöhte Risikosituation für die psychische Gesundheit von Frauen. Solange es keine eindeutigen Ergebnisse gibt, sollte weitere Studienarbeit gefördert und an einer einheitlichen Methodik gearbeitet werden.
Wichtig wäre, Indikatoren für eine psychische Traumatisierung zu erkennen und in den Entscheidungsprozess miteinzubeziehen. Das mögliche Risiko einer psychischen Beeinträchtigung nach einem Schwangerschaftsabbruch sollte thematisiert werden, da es vielen Frauen nicht bewusst ist. Umgekehrt kann ein Abbruch wie beschrieben auch als Erleichterung ohne jegliche psychische Beeinträchtigung empfunden werden – was genauso angenommen werden sollte.
Jede Patientin ist anders. Vorausschauende Hilfsangebote in der Entscheidungssituation, insbesondere beim Auftreten psychischer Komplikationen, sind aber immer unerlässlich.
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