Forscher haben einen wichtigen Faktor entdeckt, der im Verlauf der Evolution zur komplexen Entwicklung des menschlichen Gehirns geführt haben könnte. Die Erkenntnis bietet neue Behandlungsmöglichkeiten bei neurodegenerativen Erkrankungen.
Der Neokortex ist in sechs neuronale Schichten und viele funktionale Bereiche gegliedert, die die strukturelle Grundlage für die Reizverarbeitung und viele unserer intellektuellen Fähigkeiten bildet. Im Lauf der Evolution hat das menschliche Gehirn verschiedene Veränderungen hervorgebracht, zu denen zum Beispiel ein starkes Größenwachstum und eine besondere Faltung des Neokortex gehören. „Man nimmt an, dass diese Entwicklung unser Verhalten und unsere kognitiven Fähigkeiten geprägt und unsere Spezies so einzigartig gemacht haben“, erklärt Dr. Tran Tuoc von der Ruhr-Universität Bochum. Die Milliarden Nervenzellen, die zu dieser Ausdehnung beitragen, werden hauptsächlich von den sogenannten basalen Vorläufern (BPs) erzeugt, die sich in den Keimzonen des sich entwickelnden Gehirns befinden.
Bisher konnten nur wenige Faktoren identifiziert werden, die bei der Hirnentwicklung eine Rolle spielen. „Darüber hinaus sind die epigenetischen Mechanismen, von denen man annimmt, dass sie die Vermehrung der BPs auf genomweiter Ebene steuern, noch unbekannt“, so Dr. Tuoc. Gemeinsam mit seinem Team ist es ihm gelungen, einen Schlüsselfaktor für die Ausdehnung und Faltung des Neokortex auszumachen: die H3-Acetylierung, welche die Vermehrung von basalen Vorläuferzellen reguliert.
Um zu testen, ob die kortikale Expansion in der Evolution mit einer Veränderung der epigenetischen Landschaft einhergeht, untersuchten die Autoren zunächst, ob sich epigenetische Markierungen zwischen TBR2-positiven (+) BPs aus Maus- und menschlichen Kortizes unterscheiden. Sie führten eine intranukleare Immunfluoreszenzfärbung mit TBR2-Antikörpern und mit Einzelzellsuspensionen durch, die aus den sich entwickelnden Kortizes von Mäusen und Menschen isoliert wurden, gefolgt von einer fluoreszenzaktivierten Zellsortierung (FACS), um TBR2+ BPs zu reinigen.
Das Team setzte eine neue, auf Massenspektrometrie basierende Technik ein, um Unterschiede in der epigenetischen Landschaft zwischen dem sich entwickelnden Mäuse- und Menschengehirn zu bestimmen. „Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass die sogenannte Histone H3 lysine 9 Acetylation, kurz H3K9ac, bei den basalen Vorläuferzellen von Mäusen gering ausgeprägt, bei menschlichen Zellen jedoch stark ausgeprägt ist“, berichtet Tran Tuoc. Erhöhten die Forschenden im Experiment die Acetylierung von Mäusenervenzellen, regte das deren Vermehrung an, was zu einem Wachstum und einer Faltung des normalerweise glatten Mäusekortex’ führte. Der Weg führt über eine erhöhte Expression des TRNP1-Gens.
Diese Ergebnisse legen nahe, dass eine Manipulation der H3-Acetylierung in basalen Vorläuferzellen helfen könnte, mehr Nervenzellen zu generieren, die wiederum zur Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen eingesetzt werden könnten.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung der Ruhr-Universität Bochum. Hier findet ihr die Originalpublikation.
Bildquelle: Johannes Plenio, unsplash.