Eine Krebs-Convention stellt man sich eher traurig und ernst vor. Die Yes!con war aber genau das Gegenteil: Ich habe schon lange nicht mehr so gelacht.
Manchmal hat man ja gewisse Erwartungen, wie etwas werden wird. Von der Yes!con 2021, die vor zwei Wochen in Berlin stattfand, hatte ich zumindest eine Vorstellung. Im letzten Jahr fand sie das erste Mal statt und ich war begeistert. Damals noch von zu Hause aus, über Livestream. Das ganze Wochenende hing ich vor meinem Rechner und war fasziniert. Diesmal war ich sogar als Speakerin zu einem Panel geladen: „Geheilt und trotzdem krank: Leben mit Nachwirkungen“ – schon in der Vorbereitung mit der Moderatorin und den anderen Panellisten eine spannende Sache.
Aber das war nur ein Thema von vielen – denn bei der Yes!con geht es um das große Ganze. Es geht um die Befreiung des Themas Krebs aus der dunklen und verschwiegenen, angstbesetzten Ecke der Gesellschaft. Ein hehres Ziel, durchaus.
Durch meine eigene Geschichte habe ich häufig erlebt, wie viele Vorurteile und Missverständnisse im Umlauf sind. Ich nehme mich da gar nicht aus. Bevor die Diagnose bei mir „einschlug“, hatte ich das auch nicht durchdrungen. Selbst als meine beste Freundin daran starb, hatte ich nur ansatzweise eine Vorstellung davon, wie es ist, wenn der Krebs in dein Leben eindringt. Wie ein Einbrecher am Tag. Dreist und unverfroren.
Das fängt schon bei der Frage „Musst du jetzt bald sterben?“ an, die ich mir selbst interessanterweise nie gestellt habe. Findet seinen Verlauf in Bemerkungen wie „Ach, ich hätte nie gedacht, dass ein Gespräch mit einer Betroffenen so lustig sein kann.“ Oder sogar anerkennend: „Sie schreckt sicher gar nichts mehr im Leben.“
Ich ahnte, dass ich an diesem Wochenende viele interessante Menschen treffen würde, schöne Gespräche mit Betroffenen führen würde, auf eine Cancer Community treffen würde, die mich versteht, mir einige Tränchen über die Wange rollen sollten – kurz, ich mit einem großen Rucksack vollgepackt mit Gefühlen und Gedanken nach Hause fahren würde. So ungefähr war es auch. ABER von allem war es immer mindestens zwei „Schippen“ drauf, wie man in Berlin sagt.
Aber mal von Anfang an.
Als alter Messehase kenne ich viele Kongresse, auch Ärztekongresse, ich habe sogar welche mitgestaltet und entwickelt. Doch hier war alles anders. Meine Sicht auf das Thema war jetzt eine andere, weil ich selbst Ende 2015 die Diagnose Non-Hodgkin-Lymphom im vierten Stadium erhielt, dazu noch eine Stammzelltransplantation 2017. Und das Konzept der Yes!con ist ein anderes. Es geht um ein Event von Betroffenen für Betroffene mit Speakern aus verschiedenen Fakultäten der Medizin und verwandten (Forschungs-) Bereichen. Natürlich mit hoher Professoren- und Doktorendichte. Okay, davon gibt es schon ein paar andere, kleine. So weit, so bekannt.
Das Besondere hier ist, dass Menschen dabei sind, die wir alle aus der Yellow Press kennen, aus den Hochglanzformaten von Print und TV, Influencer aus der alten und der neuen Medienwelt. Wie zum Beispiel: Joko Winterscheidt, Christopher von Deylen (Schiller), Rainer Langhans, Ulla Kock am Brink, Tanja Wedhorn, Jan-Josef Liefers, Anna Loos, Tim Mälzer, Tim Oliver Schultz, Dada Peng, Lorenz Nepomuk Schmitt und viele andere. Damit kommt eine ganz andere Dynamik nicht nur in die Veranstaltung selbst, sondern auch – und das ist noch viel wichtiger – in die Art, wie über das Thema Krebs gesprochen und gedacht wird.
Dass Menschen mit Krebs auch lachen können, witzig sind und das Leben lieben, dass sie nicht permanent mit hängendem Kopf durch die Gegend laufen, dass sie sich auch gerne über andere Dinge jenseits der Krankheit unterhalten, dass sie viel gelernt haben, über sich und das Leben, dass sie ihre Grenzen kennen und die aber auch gerade deswegen gerne mal überschreiten, dass sie auch als Palliativpatienten noch einen langen schönen Weg vor sich haben können.
Wie man Menschen erreicht, weiß der Gründer und Initiator der Yes!con und der Mutmacher-Bewegung Yeswecan!cer Jörg A. Hoppe sehr genau. Er kommt als Filmproduzent aus einer Branche, die Menschen unterhält, ist dazu noch mit vielen Preisen dekoriert und 2016 selbst an einer ALL erkrankt. Vielleicht war das auch der Grund dafür, dass bei aller Schwere des Themas die Stimmung leicht war, sogar fröhlich und ausgelassen. Ich persönlich habe schon lange nicht mehr so viel gelacht. Ich hatte mit viel mehr Tränen der Traurigkeit gerechnet und bekam Lachtränen im Überfluss.
Ich habe erwartet, nein, ich wusste, dass es viele Gesprächsformate geben würde; Panels, 1:1-Gespräche (ein Thema, zwei Menschen – einer Prominent, einer Betroffen – 30 Minuten Zeit) und Workshops. Einen ungefähren Plan hatte ich mir vorher gemacht und immer wieder verworfen, weil ich dann doch das andere Thema spannender fand oder doch nicht. So flitzte ich gerade am ersten Tag zwischen den beiden Veranstaltungsorten in Kreuzberg mit rotem Kopf und wehendem Sommermantel hin und her. Am Ende hatte ich mehr als 12.000 Schritte auf meiner Uhr.
Zwischendrin musste ich auch mal für mich sein, durchatmen und mir das Geschehen auf dem nahegelegenen Straßenfest ansehen. Den Blick neutralisieren, mal durchlüften.
Ein Mann aus dem Kiez kreuzte telefonierend meinen Weg: „Dit ist keene Beßiehung, ditt is krank. Sie is 17 er 70 und heißt nich mal Maffey. Ick glob, ick tille.“
Danke Berlin. Danke für deinen geerdeten Blick, für diese wunderbare Lebensmischung: Krebs-Convention neben Straßenfest. Eine kalte Alltags-Dusche, die ich durchaus genoss.
Die Dynamik des Augenblicks, die zahlreichen Zufallsbegegnungen hatte ich bei aller Planung nicht auf dem Zettel. Die sind das Herz des Events. Die schwingen jetzt noch nach, sind Inspiration und geben Kraft für das, was vor einem liegt. Es gab immer jemanden, der einen irgendwohin mit nahm oder in ein Gespräch jenseits der offiziellen Talks verwickelte.
Auf der Yes!con geht es um mehr als um Krebs und das Leben damit, es geht um Begegnungen von Menschen. Gleichgesinnte hört sich in diesem Zusammenhang etwas merkwürdig an. Eine Krebsgesinnung gibt es, soweit ich weiß, ja auch nicht. Im Duden nachgeschlagen – zur Sicherheit – heißt es dort: Gleichgesinnte: gleiche Anschauungen vertretend; von gleicher Gesinnung.
Na gut, dann eben doch, irgendwie.
Denn auch wenn wir alle völlig unterschiedlich sind, einen anderen, individuellen Weg einschlagen, wie wir das Krebstrauma überwinden wollen, sind wir alle der Ansicht, dass mehr über die Erkrankung und den Umgang damit gesprochen werden muss.
Und damit sind wir dann eben doch gleicher Gesinnung. Wir wollen nicht schweigen, unsere Krebsgeschichte nicht verschweigen, sondern mit ihr umgehen, sie verarbeiten und das anderen auch zeigen. Der Austausch darüber löst Missverständnisse auf, Voraussetzung ist, man hört einander mit dem gebotenen Respekt zu – das gilt übrigens auch für die Krebspatienten selbst. Reden bringt die Dinge in Bewegung. In den Köpfen und in den Herzen. Der wunderbare Prof. Jalid Sehouli von der Charité formulierte das auch auf einem der Panels so ähnlich: „Wir müssen weniger auf Augenhöhe, sondern mehr auf Herzhöhe miteinander reden.“ Er meinte das zwar bezogen auf die Ärztinnen und Ärzte, ich denke, er hat nichts dagegen, wenn ich dieses Zitat auf die Gesellschaft ausweite.
Die nächste Yes!con findet 2022 am 15. und 16. Oktober in München statt. Ob das Motto wieder #dubistnichtallein lauten wird, weiß ich nicht. Darüber schweben wird es immer. Ich werde jedenfalls dabei sein und mir vor Ort ein Bild davon machen, wie sich alles entwickelt.
Dieser Beitrag ist von der Autorin des Blogs „Zellenkarussell. Mit der Krankheit dreht sich das Leben plötzlich schneller“.
Bildquelle: Bruno Emmanuelle, unsplash