Forscherinnen haben herausgefunden, warum die Eiweißproduktion in den Nervenzellen von Betroffenen der Charcot-Marie-Tooth-Krankheit gehemmt ist. Der Ansatz schafft Hoffnung, die Erkrankung erstmalig therapieren zu können.
Die Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung (CMT) ist ein seltenes erbliches Leiden, was Schmerzen und Bewegungseinschränkungen verursacht. Bestimmte Genveränderungen führen bei den Betroffenen dazu, dass Nervenimpulse aus dem Gehirn vor allem die Muskeln der unteren Gliedmaßen nicht erreichen. Die Folge: Die Muskulatur der Unterschenkel wird nach und nach abgebaut.
„Wir wissen schon länger, dass Mutationen in Genen, die für Enzyme namens Aminoacyl-tRNA-Synthetasen (aaRS) kodieren, CMT verursachen können“, erläutert Dr. Marina Chekulaeva, Leiterin einer Arbeitsgruppe, die die Krankheit erforscht. Diese Enzyme sind für die Eiweißproduktion einer Zelle erforderlich, die in den Ribosomen, den zellulären Proteinfabriken, erfolgt. Ihre Aufgabe besteht darin, eine Aminosäure an ein weiteres Molekül, eine tRNA, zu binden.
Diese sogennante Aminoacylierung führt dazu, dass einzelne Aminosäuren in den Ribosomen zu einer Proteinkette gemäß der im Erbgut gespeicherten Bauanleitung verknüpft werden.
„Das Paradoxe ist, dass die Mutationen die Aminoacylierungsaktivität nicht stören. Trotzdem beeinträchtigen sie die Translation, also die Proteinherstellung in den Ribosomen“, sagt Chekulaeva. „Um den Mechanismus dahinter zu verstehen, haben mein Team und ich untersucht, wie sich Mutationen in der Glycyl-tRNA-Synthetase auf die Prozesse der Translation auswirken.“ Das Enzym ist bei Patienten mit einer verbreiteten Form der CMT-Erkrankung, dem Typ 2D, verändert.
Die Forscher nutzten für ihre Arbeit unter anderem das Ribosomen-Profiling, mit der sich die Aktivität der Ribosomen im Detail ermitteln lässt. „Mithilfe dieser Technik können wir beispielsweise genau bestimmen, an welchen Stellen die Proteinproduktion unterbrochen wird und wie oft dies geschieht“, erläutert die Erstautorin der Studie, Samantha Mendonsa.
„Wir haben herausgefunden, dass die Genveränderung der CMT-Patienten zunächst dazu führt, dass für die Translation weniger Glycyl-tRNA zur Verfügung steht“, sagt Mendonsa. „Das hat zur Folge, dass die Ribosomen ihre Eiweißproduktion an den Stellen unterbrechen, an denen die Aminosäure Glycin in die wachsende Proteinkette eingebaut werden soll.“ Die Verlängerung der Proteinkette wird somit gestoppt.
„Darüber hinaus löst die Pause in den Proteinfabriken an den Stellen für Glycin eine integrierte Stressreaktion der Ribosomen aus, wodurch die Initiierung der Translation gestört ist“, berichtet die Forscherin. Dadurch ist die gesamte Proteinproduktion reduziert.
Die Forscher sind davon überzeugt, dass ihre Ergebnisse Ansätze für neue Therapien gegen die bislang nicht ursächlich behandelbare CMT-Erkrankung liefern können. „Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel die Gabe von tRNA, um deren Mangel in den Nervenzellen zu beseitigen und so den Stillstand in den Ribosomen wieder aufzuheben“, sagt Chekulaeva. „Ein weiterer Ansatz könnte sein, die integrierte Stressreaktion der Ribosomenmit geeigneten Wirkstoffen zu unterbinden.“ Diese Ansätze weiterzuverfolgen, sei nun allerdings eine Aufgabe für klinische Forscher.
„Unser Team interessiert sich nun zum Beispiel für die noch offene Frage, wie und warum die Pause in den Ribosomen die Funktion der motorischen und sensorischen Nervenfasern beeinträchtigt, die das Gehirn und die unteren Gliedmaßen miteinander verbinden,“, sagt Chekulaeva. Die Antwort darauf könnte für Menschen mit CMT vermutlich ebenfalls sehr nützlich werden.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft. Die Originalpublikation findet ihr hier.
Bildquelle: Deborath Ramos L, Unsplash