BEST OF 2021 | Ist Milch nun gesund oder nicht? Zumindest zum Thema kardiovaskuläre Erkrankungen bringt eine Meta-Analyse jetzt neue Erkenntnisse.
In Schweden ist der Verzehr von Milch und Milchprodukten einer der höchsten weltweit. Das nahmen Wissenschaftler um Dr. Matti Marklund zum Anlass, sich den Milchkonsum und ein mögliches damit einhergehendes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen genauer anzuschauen. Das erstaunliche Ergebnis der Meta-Analyse: Menschen, die viel Milchfett zu sich nehmen, haben ein geringeres Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse. Was haben die Forscher genau untersucht?
Die Forscher aus Schweden, den USA und Australien analysierten in einer neuen Kohorten-Studie den Milchfettkonsum von 4.150 schwedischen 60-Jährigen. Spannend ist, dass sich diese Studie nicht etwa auf Fragebögen zu Milchkonsum bezieht, sondern die Forscher ein objektiveres Maß für die Aufnahme von Milchprodukten heranziehen: Sie analysierten die Blutspiegel einer bestimmten Fettsäure, der Pentadecansäure, die hauptsächlich in Milchprodukten vorkommt und daher als Indikator für die Aufnahme von Milchfett dienen kann. Pentadecansäure ist eine gesättigte Fettsäure mit einer ungeraden Anzahl von Kohlenstoffatomen, nämlich 15.
Anschließend wurden die Probanden durchschnittlich 16 Jahre lang beobachtet, um festzustellen, wie viele von ihnen Herzinfarkte, Schlaganfälle und andere kardiovaskuläre Ereignisse erlitten und wie viele in dieser Zeit aus irgendeiner Ursache starben.
Nach statistischer Bereinigung um andere bekannte Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Alter, Einkommen, Lebensstil, Ernährungsgewohnheiten und andere Krankheiten war das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei denjenigen am geringsten, die einen hohen Gehalt an dieser Fettsäure aufwiesen – was auf einen hohen Verzehr von Milchfetten zurückzuführen ist. Diejenigen mit den höchsten Werten hatten kein erhöhtes Risiko für einen Tod aus allen Ursachen.
Die Forscher kombinierten dann die neusten Ergebnisse aus ihrer Kohorten-Studie mit denen aus 17 ähnlichen Studien aus anderen Ländern, die insgesamt rund 43.000 Menschen aus dem Vereinigten Königreich, den USA und Dänemark beinhalteten. Diese umfassendere Analyse brachte ebenfalls einen höheren Milchfettkonsum mit einem geringeren Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Verbindung.
Und woran liegt's? Marklund et al. erklären, dass die gesundheitlichen Auswirkungen von Milchprodukten vermutlich eher von der Art des Produkts (z.B. Käse, Joghurt, Milch und Butter) als vom Fettgehalt abhängen. Allerdings liegt hier auch eine Schwäche der Studie, da der untersuchte Serumspiegel der Pentadecansäure nicht auf das konsumierte Milchprodukt schließen lässt.
„In gewisser Weise sind diese Arten von Biomarkern besser, da sie sich nicht darauf verlassen, dass sich die Menschen daran erinnern, was sie gegessen haben und dies in einer Umfrage angeben“, kommentiert Dr. Duane Mellor die Ergebnisse. Er ist Diätassistent und Leiter der Nutrition and Evidence based Medicine an der Aston University. „Der Nachteil ist, dass sie nur den Fettaspekt messen und nicht feststellen können, welche Milchprodukte die Menschen tatsächlich gegessen haben. Wir wissen einfach nicht, ob sie Käse oder Joghurt gegessen oder Milch getrunken haben.“ Möglicherweise haben die Fettsäuren mit ihrer ungeraden Anzahl an Kohlenstoffatomen einen positiven Einfluss auf die Gesundheit oder aber auch die anderen Nährstoffe, die in Milch und Milchprodukten enthalten sind.
„Wie die Autoren schreiben, gibt es immer mehr Hinweise darauf, dass die gesundheitlichen Auswirkungen von Milchprodukten von der Art des Lebensmittels abhängen“, erklärt Prof. Ian Givens, Director des Institute of Food, Nutrition and Health an der University of Reading. Die meisten Belege gebe es vermutlich für Hartkäse, so Givens, bei dem eine Reihe von Studien zeigen, dass die Zusammensetzung dieses Lebensmittels die vom Körper aufgenommene Fettmenge verringere. Das führe zu einem moderaten oder gar keinem Anstieg der Blutfette, die Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind. Prof. Givens weiter: „In dem Papier wird jedoch zu Recht darauf hingewiesen, dass weitere Studien erforderlich sind, um die schützende Wirkung sehr komplexer Milchprodukte auf CVD besser zu verstehen.“
Doch wie so oft bei solchen Studien, kommt die Frage auf, ob die Milchlobby möglicherweise ihre Finger im Spiel hatte. Das scheint zumindest bei der neuen Kohorten-Studie nicht der Fall zu sein. „In diesem Fall gab es keine Unterstützung oder Beeinflussung durch Einrichtungen der Lebensmittelindustrie“, sagt Prof. Ian Givens, der selbst nicht an der Studie beteiligt war. „Die in der Metaanalyse der Studie verwendeten Daten wurden jedoch möglicherweise von der Industrie finanziert, was als potenzielle Quelle für Verzerrungen angesehen werden könnte.“
Für Autor Dr. Matti Marklund vom The George Institute for Global Health in Australien ist es Zeit für klare Empfehlungen: „Während einige Ernährungsrichtlinien den Verbrauchern weiterhin empfehlen, fettarme Milchprodukte zu wählen, sind andere von dieser Empfehlung abgerückt“, erklärt Marklund. „Sie empfehlen stattdessen, dass Milchprodukte Teil einer gesunden Ernährung sein können, wobei der Schwerpunkt auf der Auswahl bestimmter Milchprodukte liegt – zum Beispiel Joghurt statt Butter – oder auf der Vermeidung von gesüßten Milchprodukten, die mit zugesetztem Zucker belastet sind.“
Bildquelle: Mae Mu, unsplash