Immer noch raten einige Ärzte ihren Patienten, die Marcumar® einnehmen, auf bestimmte Lebensmittel zu verzichten. Ist diese Empfehlung überholt? Ein Überblick.
Laut der Deutschen Herzstiftung nehmen etwa 1 Million Menschen in Deutschland Medikamente zur Hemmung der Blutgerinnung ein. Dabei treten bei den Patienten oft viele Fragen auf. Muss eine Diät, die arm an Vitamin K ist, eingehalten werden? Was ist mit Johanniskraut, Grünkohl, Fischöl und anderen Nahrungsmitteln? Teilweise gibt es hier Neuigkeiten, die Ärzte und Apotheker auf dem Schirm haben sollten.
Stoffe wie Phenprocoumon (Marcumar®) mindern das Gerinnen. Zu diesen Antikaogulantien gehören auch Heparin und die Nicht-Vitamin-K-abhängigen oralen Antikoagulantien (NOAKS), wie beispielsweise Rivaroxaban, Edoxaban und weitere. Der medizinische Laie bezeichnet oft auch Acetylsalicylsäure und Clopidogrel als Gerinnungshemmer. Diese Substanzen verhindern aber lediglich das Verklumpen von Thrombozyten, es sind Thrombozytenaggregationshemmer.
Antikoagulantien werden nach einem Schlaganfall, einem Herzinfarkt, Thrombosen und bestimmen Herzrhythmusstörungen verschrieben, um eine Thrombenbildung zu verhindern. Im Jahr 1954 wurden erstmals Cumarinderivate als Antikoagulantien zugelassen. Bis dahin waren sie vor allem im Baumarkt erhältlich – als Rattengift. Einer der ersten „Probanden“ war US-Präsident Dwight D. Eisenhower. Er hatte sieben Herzinfarkte und wurde 14-Mal reanimiert. Als seine Ärzte ihm Cumarin anboten, war der Präsident zunächst entrüstet – er wolle kein Rattengift schlucken.
Die Kaskade der Blutgerinnung ist ein komplexer Prozess mit zahlreichen Faktoren, u. a. Prostaglandine und Vitamin K. Arznei- und Nahrungsmittel, die diese Faktoren beeinflussen, können die Wirkung von Antikoagulantien verstärken oder mindern. Die Folge wäre eine erhöhte Blutungsneigung oder die Gefahr der Bildung eines Blutgerinnsels. Phenprocoumon ist ein Vitamin-K-Antagonist. Er verdrängt Vitamin K und hemmt so die Blutgerinnung. Eine vermehrte Vitamin-K-Aufnahme kann die Wirkung von Gerinnungshemmern wie Marcumar® abschwächen – weshalb manche Ärzte immer noch vor bestimmten Lebensmitteln warnen.
Ja! Lange Zeit wurde propagiert, dass Betroffene kein oder wenig grünes Gemüse essen dürfen; das ist jedoch überholt. Richtig ist: In jedem grünen Gemüse ist Vitamin K enthalten. Phenprocoumon ist als Antagonist aber deutlich stärker als Vitamin K. Es sind aber größere Mengen und/oder eine Einnahme über längere Zeit notwendig, um die Wirkung des Medikaments relevant abzuschwächen.
Die NOAKS wirken nicht auf Vitamin K, weshalb Nahrungsmittel ihre Wirkung nicht beeinflussen können. Lediglich auf Tonic Water sollten die Patienten verzichten. Dass darin enthaltene Chinin hemmt den Abbau und steigert die Wirkung.
Lange Zeit wurde Patienten mit einer Therapie mit Phenprocoumon empfohlen, den Verzehr von Lebensmitteln, die reich an Vitamin K sind, einzuschränken bzw. auf sie zu verzichten. Eine solche Diät ist schwierig zu befolgen, bedeutet für viele Patienten eine deutliche Einschränkung ihrer Lebensqualität – und ist außerdem unnötig. Die Deutsche Herzstiftung formuliert eindeutig: „Es gibt keinen Grund, auf Vitamin-K-reiche Lebensmittel wie z. B. Spinat, Brokkoli oder verschiedene Kohlsorten zu verzichten. Diese Nahrungsmittel gehören zu einer gesundheitsfördernden Ernährung und bereichern den Genuss des Essens.“
Patienten, die regelmäßig gleiche Mengen Vitamin K zu sich nehmen, liegen häufiger im INR-Zielbereich als Patienten, die die Empfehlungen erhielten, Vitamin K zu meiden, so eine Studie von Sconce et al. Eine Reduktion der Vitamin-K-Zufuhr steigert das Risiko für Osteoporose, da Vitamine der K-Gruppe, u. a. auch K2, den Knochen mineralisieren.
Lebensmittel enthalten unterschiedliche Mengen an Vitamin K:
Hoch
Mittel
Niedrig
Blumenkohl, Broccoli, Kohl, Sauerkraut, Spinat, Schweinefleisch, Fettes Rindfleisch, alle Innereien
Kartoffeln, Weizen- und Vollkornprodukte, Bohnen, Erbsen, Erdbeeren
Tomaten, Honig, Haferkorn, Vollei, Kuhmilch
Eine ausführliche Darstellung liefert die Deutsche Herzstiftung
Die FDA spricht dann von Bioäquivalenz zweier Pharmaka, wenn sich die Bioverfügbarkeit des Generikums, bezogen auf das Originalpräparat, in einem Bereich von 80 bis 125 % bewegt. Diese Bandbreite scheint etwa bei einem Schmerzmittel oder Antibiotikum akzeptabel, nicht jedoch bei Substanzen mit enger therapeutischer Breite wie Phenprocoumon.
Bei diesem können bereits geringe Abweichungen im Blut zu klinisch relevanten INR-Abweichungen führen. Günstige Generika sind nicht schlechter als das Original, aber anders. Deshalb sollte der Patient seinen Gerinnungshemmer immer vom selben Hersteller erhalten.
Phenprocoumon wird in der Substitutionsaustauschliste geführt, das heißt für Arzt und Apotheker gilt ein generelles Austauschverbot.
Nicht nur Gemüse war lange Zeit für Patienten mit Gerinnungshemmern tabu. 1970 entdeckten dänische Forscher bei den Inuit in Grönland, dass diese trotz fettreicher Ernährung weniger Gefäßerkrankungen und Herzinfarkte entwickeln. Auch die Cholesterinspiegel waren vergleichsweise geringer, das Risiko für Hämatome allerdings höher. Dafür verantwortlich sind u. a. Omega-3-Fettsäuren aus Fischen.
Die langkettigen Fettsäuren können ab einer Dosierung von etwa einem Gramm täglich die Wirkung der Vitamin-K-Antagonisten verstärken. Deshalb wurde und wird davon abgeraten, dass Patienten unter einer Gerinnungshemmertherapie Fischöle konsumieren. Aber auch dieser Ratschlag ist veraltet. Eine dänische Studie hat klar belegt, dass Omega-3-Fettsäuren zwar die Thrombozytenaggregation bei gesunden Patienten vermindern, bei chirurgischen Patienten wurde jedoch keine erhöhte Blutungsneigung nachgewiesen.
Dürfen Patienten unter einer Therapie mit Gerinnungshemmern nun entgegen früherer Empfehlungen alles essen? Nein. Papaya-Extrakt und dessen Enzyme können den Effekt von Gerinnungshemmern steigern.
Grapefruit hemmt den Abbau von Phenprocoumon in der Leber und steigert das Blutungsrisiko. Johanniskraut hingegen kann die Wirkung herabsetzen. Für diverse Arzneimittel, wie Knoblauch oder grünen Tee, existieren entsprechende Warnmeldungen. Studien fehlen hierzu aber bisher; es liegen meist nur einzelne Fallberichte vor.
„Es wird eine abwechslungsreiche, vollwertige, dem Energiebedarf angepasste gemischte Kost empfohlen. Auf eine einseitige Ernährungsweise und kurzfristige Diäten sollte verzichtet werden“, so eine Empfehlung vom Institut für Ernährungsmedizin in München.
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