„Darf ich diese Tablette teilen?“ Diese Frage ist manchmal gar nicht so einfach zu beantworten. Was ihr beim Teilen und Portionieren von Arzneimitteln beachten müsst, erfahrt ihr hier.
Dosisanpassung, Minderung der Tagestherapiekosten, Applikation über eine Sonde, Schluckstörungen – die Teilung von festen oralen Arzneiformen kann viele Gründe haben. Auch wenn Sparen im Gesundheitswesen immer wichtiger wird, sollte die Arzneimittelsicherheit und die Compliance Vorrang vor monetären Aspekten haben.
Denn das Teilen von Tabletten oder Dragees ist nur dann gefahrlos möglich, wenn man die pharmakologischen Eigenschaften und den galenischen Aufbau der Arzneiform kennt. Die geteilte Arzneiform muss den Arzneistoff mit der gleichen Kinetik und genauso quantitativ freisetzen wie die Unversehrte.
Nicht alle Tabletten wollen gelöst, gemörsert oder geteilt werden. Der griechische Arzt Galenos hätte es sich vor nahezu 2.000 Jahren bestimmt nicht träumen lassen, was aus seiner nach ihm benannten formgebenden Lehre geworden ist. In Heimen oder Kliniken ist es üblich, orale Darreichungsformen bei Schluckstörungen zu zerkleinern. Das ist aber nicht immer möglich und risikofrei.
Obwohl Begriffe wie Freisetzungskinetik, osmotische Systeme und Liposomen zu dieser Zeit nicht existierten, war man immer schon erfinderisch, wenn es darum ging, Arzneimittel in den Körper zu schleusen. Die Hexensalben von einst sind, elegant verändert, unsere heutigen Transdermalen-Therapeutischen-Systeme (TTS) und gepresste Tonerde ist der Vorgänger der Tablette.
In der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) wird explizit auf das Teilen von festen oralen Arzneiformen eingegangen.
In § 34 ApBetrO schreibt der Gesetzgeber für das patientenindividuelle Stellen oder Verblistern von Arzneimitteln in der Apotheke so hohe Qualitätsanforderungen und Nachweispflichten vor, dass vermutlich kaum eine Apotheke eine den Vorschriften entsprechende Verblisterung geteilter Tabletten leisten kann und darf. In einem Projekt des Gesundheitsamtes Hamm wird das Ziel verfolgt, dass die circa 11 Prozent Arzneimittel, die nicht geteilt werden dürfen, durch andere Arzneimittel ersetzt werden. Weiterhin ist anzustreben, dass auf die Teilung verzichtet wird, wenn das Arzneimittel in der passenden Stärke im Handel verfügbar ist.
Laut der ApBetrO-Novelle ist das Teilen von Tabletten auf Ausnahmefälle zu beschränken – der Arzt muss dies ausdrücklich wünschen. Die Apotheke ist verpflichtet, die Qualität der so veränderten Arzneimittel „nachgewiesenermaßen“ aufrecht zu erhalten. So einen konkreten Nachweis zu führen, ist seitens der Apotheke aber nahezu unmöglich. Die „Validität der Stabilität der Qualität über den Haltbarkeitszeitraum des Blisters oder wiederverwendbaren Behältnisses“ muss dokumentiert werden. Die Hersteller werden derartige „Teilungslizenzen“ weder ausstellen können noch wollen. Wenn geeignete, niedrig dosierte Tabletten verfügbar sind, müssen diese gewählt werden.
Die Apotheker müssen laut Novelle in ihrem Qualitätsmanagementsystem (QMS) festlegen, in welchen Ausnahmefällen Tabletten geteilt werden dürfen, wenn eine schriftliche ärztliche Anforderung vorliegt. „De facto müssen Ärzte also auf das Verordnen geteilter Tabletten in Heimen verzichten, zumindest, wenn sie gestellt oder verblistert werden“, so das Fazit der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO) im Newsletter Apotheke adhoc.
Fast ein Viertel aller in der Primärversorgung verabreichten Medikamente werden geteilt, so eine Studie von Chadhri et al.
Die Teilung oraler Medikamente wurde in 17 Prozent regelmäßig auf Kinderstationen durchgeführt. Es besteht ein dringender Bedarf an altersgerechten Medikamenten, dokumentierten und standardisierten Verfahren zur Manipulation von Medikamenten und Schulungen des Personals über die Folgen von Manipulationen, so das Ergebnis einer Studie aus Norwegen. Angehörige der Gesundheitsberufe und Patienten sollten sich darüber im Klaren sein, dass die Teilung von Tabletten zu einer ungenauen Dosierung führen kann, so eine niederländische Studie von van Riet-Nales.
Einer der führenden Fachleute auf dem Gebiet ist Prof. Walter E. Haefeli, Facharzt für klinische Pharmakologie. Nach einer im European Journal of Clinical Pharmacology publizierten Studie werden etwa ein Viertel aller Tabletten von ambulant behandelten Patienten geteilt. Besonders häufig: Medikamente zur Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Gerinnungshemmer und Cholesterinsenker. „Das Tablettenteilen kann aus mehreren Gründen heikel sein“, so Haefeli. Ein Defizit besteht nach Ansicht des Mediziners bei den Fachinformationen und den Beipackzetteln. Beide Informationsmedien würden auf die Teilungsmöglichkeit von Tabletten nur unzureichend eingehen.
Die potenziellen klinischen Auswirkungen sind weitreichend und können einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung der Antibiotikaresistenz haben. Investitionen von Pharmaunternehmen in die Herstellung einer breiteren Palette von Dosiereinheiten oder Tabletten, die besser für die Aufteilung geeignet sind, werden dringend empfohlen. Auch bessere Produktinformationen über die Eignung von Tabletten für die Aufteilung, insbesondere für enge therapeutische oder kritische Dosierungen, werden von den Autoren einer Studie von Elliott et al. gefordert.
Retard- und Depotpräparate, magensaftresistente Formen, flüssig gefüllte Kapseln und Tabletten mit einer Masse von weniger als 60 mg sollten grundsätzlich nicht geteilt werden. Auch Manteltabletten wollen so bleiben, wie sie sind. Einige Zubereitungen mit beispielsweise Nifedipin oder dem Schmerzmittel Tramadol oder Oxycodon enthalten den unretardierten Wirkstoff in einer äußeren Schicht und die retardierte Matrix im Inneren. Je nach Art der Zubereitung lutscht der Patient die Tablette so lang, bis ein anderer Geschmack ihm signalisiert, zu schlucken. Die Wirkstoffmatrix gelangt in den Magen und wird dort langsam resorbiert. Der Umkarton des Arzneimittels ist häufig mit einem auffälligen „SL“ gekennzeichnet. Das steht jedoch nicht, wie oft gedacht, für sublingual, sondern für „schnell und langsam“.
Besonders tückisch ist das genaue Teilen von Tabletten mit ACE-Hemmern. Je nach Produkt kommt es bei bis zu 72 Prozent der Teilversuche zu einer Abweichung von 10 Prozent der Wirkstoffmenge, so eine Studie von Kämmerer et al.
Keinesfalls geteilt werden sollten folgende Arzneiformen:
Eine gute Übersicht liefert die Apotheke des Kantonsspitals Aarau in der Schweiz.
Ist eine Teilung unumgänglich und geprüft, ob die Tablette aus pharmakologisch-galenischen Gesichtspunkten geteilt werden darf, kann dies auf unterschiedliche Arten passieren.
Die Industrie bietet hierzu zahlreiche Gerätetypen von Tablettenteilern an. Sinnvoll sind solche, bei denen eine Tablettenhälfte im Gerät verbleibt. Bei der Auswahl sollte zudem an die Zielgruppe gedacht werden: Ein betagter Patient hat häufig Schwierigkeiten, das Gerät zu öffnen und die oft kleine Teiltablette einzunehmen.
Bei sehr großen Tabletten oder fehlerhafter Anwendung wird der Tablettenteiler zum Tablettenpulverisierer. Das Teilen sollte zügig und mit voller Stärke geschehen. Denn ein langsames, vorsichtiges Steigern der Kraft führt bei vielen Präparaten zu einem schlechten Bruch.
Zerkleinerte Tabletten sollten vor Sonnenlicht geschützt und nicht zu lange lagern. Ist für eine Sondengabe das Auflösen oder Suspendieren der Tabletten oder des Kapselinhaltes erforderlich, so sollte dies stets unmittelbar vor der Applikation erfolgen.
Ob für die Teilung ein Messer sinnvoll ist, wird unterschiedlich beurteilt. „Tablettenteiler halbieren nicht jede Tablette exakt – ein Messer macht das erstaunlich gut“, so das Resümee vom Zentrallabor Deutscher Apotheker (ZL). Dies untersuchte an zwölf verschiedenen Arzneimitteln die unterschiedlichen Teilungsergebnisse. Es wurden je 30 Tabletten geteilt. Fünf Tablettenteiler erzeugten dabei häufig zu leichte oder zu schwere Bruchstücke. Selbst der beste arbeitete nur bei neun Präparaten ordnungsgemäß. Ähnlich gut schnitt das Messer ab, etwas schlechter die bloße Hand. Beide Methoden erfordern viel und das Messer darf weder scharf noch spitz sein. „Es ist an beiden Enden zu fassen und von oben gleichmäßig auf die Bruchkerbe der Tablette zu drücken“, so ein Beitrag in der Aprilausgabe der Zeitschrift TEST.
Tipp: ein Taschentuch als Unterlage erleichtert die Prozedur. Nach Ansicht von Haefeli erlaubt ein Küchenmesser jedoch keine exakte Teilung. Apotheker Dr. Wolfgang Kircher ist überzeugt: „Küchenmesser, Scheren oder Ähnliches eignen sich nicht. Mit ihnen erhält man meist ungleich große Stücke, und schlimmstenfalls verletzt man sich damit noch“.
Noch kritischer als das Teilen von Tabletten ist das Mörsern. Hierbei wird die galenische Struktur einer oralen Darreichungsform noch stärker als beim Teilen verändert. Stein- oder Keramik-Mörser sind für Tabletten gänzlich ungeeignet. In ihren Poren können erhebliche Mengen des gemörserten Pharmakons zurückbleiben. Auswaschen hilft nicht, weil die feuchten Rückstände verklumpen. Sinnvoll sind mechanische Geräte aus Kunststoff, bei dem eine Art Pistill in eine Mulde geschraubt und die Tablette dann pulverisiert wird.
Müssen in der Klinik Arzneimittel über eine Sonde verabreicht werden, wird meist die Krankenhausapotheke um Rat gefragt. Pflegeheime hingegen kontaktieren häufig die öffentliche Apotheke und benötigen eine klare Aussage, ob eine Arzneiform zerkleinert und über eine Sonde verabreicht werden darf.
Eine Ernährungssonde kann gastral, duodenal und jejunal angebracht sein. Liegt die Sonde im Dünndarm, entfällt die Funktion des Magens als Speicherreservoir. Überdies ist zu beachten, dass der pH-Wert in den unterschiedlichen Abschnitten differiert. So beträgt er im Magen circa 1,5 und im Dünndarm etwa 8.
Bei der Applikation von Arzneistoffen über eine Sonde müssen viele Fragen geklärt werden: Ist der Arzneistoff UV-Licht-stabil, unempfindlich gegenüber Magensäure und Magenenzymen? Auch an Wechselwirkungen zwischen Arzneistoff und Sondennahrung sollte gedacht werden. Zu klären ist überdies, ob der Arzneistoff die Magen-Darm-Motilität beeinflusst. Schließlich spielt sogar das Material der Sonde und ihr Durchmesser eine Rolle.
Bestimmte Lösungsvermittler können mit Sondenmaterialien wie PVC reagieren und daraus Weichmacher herauslösen.
Die Durchmesser der Sonden werden meist als Außendurchmesser in Charrière (CH) oder French-Size (F) angegeben. Für die Applikation von Arzneistoffen ist jedoch der Innendurchmesser wichtig. Wenn in der Sonde Arzneistoffpellets stecken bleiben, ist dies problematisch. Bei Polyurethan-Sonden sind hier im Vergleich zu Silikonkautschuk-Sonden dünnere Wandstärken möglich.
Die Bundesapothekerkammer hat in ihrer Stellungnahme zur Qualitätssicherung bei der Versorgung der Bewohner von Heimen Hinweise für die Arzneistoffapplikation über Sonde definiert:
Unverzichtbar für die Frage, ob man Mörsern, Lösen oder über eine Sonde verabreichen darf, ist die nicht kommerzielle, passwortgeschützte Website PHARMATRIX. Hier stehen unabhängige Informationen für Fachkreise zu Themen wie Peroralia, Sondenapplikation, Antiinfektiva, Perfusoren, Onkologie, neuen in- und ausländischen Arzneimitteln, cmr-Potenzial von Arzneistoffen, Recht und Qualität im Gesundheitswesen zur Verfügung.
Eine Orientierung kann diese Tabelle geben:
Teilbar oder nicht, das ist hier die Frage …
Prinzip
Teilbarkeit
gängigkeit
Anmerkung
Tablette, rasch zerfallend
+
Zuckerdragee
-
Filmtablette, wasserlöslicher Film
evtl. bitterer Geschmack, Lichtschutz beachten
Magensaftresistente Filmtablette
Nach Zerkleinerung ist Gabe über eine Duodenalsonde möglich
Retardfilmtablette
Retardtablette
(+/-)
Einfluss auf die Freisetzungkinetik muss geklärt sein
Manteltablette
Push-Pull-Tablette
Hartkapsel, Pulverfüllung
Kapseln können entleert werden
Hartkapsel, Granulatfüllung
Magensaftresistente Kapsel
Weichgelatinekapsel
(+)
pastöser oder flüssiger (meist lipophiler) Inhalt kann entleert werden
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