Ein absoluter Exot unter den Analgetika ist ein Toxin der Kegelschnecke, das Ziconotid. Das Meerestier ist in der Lage, auf Beutejagd ein Insulinanalogon zu produzieren, das für die Wissenschaft höchst wertvoll sein könnte.
Ziconotid ist ein nicht-opioides Analgetikum und gehört zu den sog. N-Typ-Calcium-Kanalblockern (NCCB). NCCBs regulieren die Freisetzung von Neurotransmittern in speziellen neuronalen Populationen, die für die spinale Verarbeitung von Schmerz verantwortlich sind. Es ist eine synthetische Version eines Gifts, das die südpazifische, im Meer lebende Kegelschnecke Conus magus benutzt, um ihre Beute zu lähmen.
Conotoxine sind sehr kleine Eiweißverbindungen mit zehn bis 30 Aminosäuren. Dank ihrer geringen Größe gelangen die Giftmoleküle im Körper des Beutetieres schnell an ihren Zielort, die Ionenkanäle in den Zellmembranen der Nervenzellen in Gehirn und Rückenmark.
Die Schneckengifte sind die Grundlage für eine neue Generation von Medikamenten für die Therapie schwerer und sonst kaum behandelbarer chronischer Schmerzen.
Ziconotid ist etwa 1.000-mal so analgetisch wie Morphin. Es löst keine Toleranzentwicklung aus und verursacht keine Atemdepression. Die anhaltende Wirksamkeit von Conotoxin wird auf die direkte Wirkung des Toxins auf N-Typ Ca2+-Kanäle zurückgeführt.
Ziconotid blockiert die Übertragung von Schmerzreizen, indem es verhindert, dass Calciumionen durch Kanäle in die Nervenzellen fließen können. Diese Calciumkanäle regulieren die Freisetzung von Neurotransmittern in nozizeptiven, afferenten Fasern im Hinterhorn des Rückenmarks, die für die Verarbeitung von Schmerz verantwortlich sind. Durch Hemmung des spannungssensitiven Calciumeinstroms wird wiederum die Freisetzung exzitatorischer Neurotransmitter und die Weiterleitung des Schmerzes inhibiert.
Erstaunlich ist, dass die Schnecken die Zusammensetzung ihres Giftcocktails variieren können. Je nachdem, ob sie auf die Jagd gehen oder sich verteidigen müssen. „In der Schmerzforschung interessiert uns vor allem das Verteidigungsgift der Kegelschnecken, da es auf das Verursachen von Schmerz ausgerichtet ist und damit zu einem grundlegenden Verständnis der Wirkungsmechanismen beitragen kann“, so Prof. Markus Muttenthaler von der Fakultät für Chemie der Universität Wien.
In einer weiteren Arbeit nutzten die Forscher von ihnen modifizierte Conotoxine, um Schmerzrezeptoren zu visualisieren.
Um mögliche Nebenwirkungen wie Herzrhythmusstörungen oder Halluzinationen zu minimieren, muss das Medikament via Katheter und Pumpe direkt in den Liquor des Rückenmarks gespritzt werden. Oral verabreicht würde das Peptid im Darm abgebaut werden.
Ziconotid wird als Dauerinfusion appliziert, die von einer externen oder intern implantierten Infusionspumpe gespeist wird. Man beginnt mit 2,4 µg/Tag und titriert langsam bis zur erforderlichen Dosis auf. Die Maximalmenge liegt bei 21,6 µg/Tag. Der Mindestabstand zwischen Dosiserhöhungen beträgt 24 Stunden; aus Sicherheitsgründen wird aber ein Abstand von mindestens 48 Stunden empfohlen.
Da das Risiko einer Meningitis nach längerer Katheterisierung des Intrathekalraums mit einem externen Katheterinfusionssystem höher ist, werden zur Gabe von Ziconotid über einen längeren Zeitraum interne Systeme empfohlen. Bei diesen implantierten Ports ist das Risiko für das Eindringen von Keimen geringer.
Organssystem
Nebenwirkung
Nervensystem
Gelegentlich: Sepsis, Meningitis
Psychiatrische Erkrankungen
Sehr häufig: Verwirrung
Häufig: Ängstlichkeit, akustische Halluzination, Schlaflosigkeit, Agitation, Desorientiertheit, Halluzination, visuelle Halluzination, Depression, Paranoia, Reizbarkeit, Depression verschlimmert, Nervosität, Affektlabilität, Veränderungen der mentalen Verfassung, Angstzustände verschlimmert, Verwirrung verschlimmert.
Gelegentlich: Delirium, psychotische Störungen, Suizidideen, Suizidversuch, Gedankenblockade, abnorme Träume
Erkrankungen des Nervensystems
Sehr häufig: Schwindel, Nystagmus, Gedächtnisstörungen, Kopfschmerzen. Somnolenz
Häufig: Dysarthrie, Amnesie, Dysgeusie, Tremor, Gleichgewichtsstörung, Ataxie, Aphasie, Gefühl von Brennen, Sedierung, Parästhesie, Hypoästhesie, Aufmerksamkeitsstörung, Sprachstörungen, Areflexie, Koordinationsstörung, Lageschwindel, kognitive Störungen, Hyperästhesie, Hyporeflexie, Ageusie, vermindertes Bewusstsein, Dysästhesie, Parosmie, mentale Beeinträchtigung
Gelegentlich: Inkohärenz, Bewusstlosigkeit, Koma, Stupor, Konvulsionen, Schlaganfall, Enzephalopathie
Sehr häufig: Gangabnormalitäten, Asthenie
Häufig: Müdigkeit, Fieber, Lethargie, peripheres Ödem, Rigor, Sturz, Brustschmerz, Kältegefühl, Schmerz, ängstliche Nervosität, Schmerz verschlimmert
Gelegentlich: Gehschwierigkeiten
Herz
Gelegentlich: Vorhofflimmern
Gefäßerkrankungen
Häufig: orthostatische Hypotonie, Hypotonie
Atmung
Gelegentlich: Atemnot
Gastrointestinale Störungen
Häufig: verminderter Appetit, Anorexie
Sehr häufig: Übelkeit, Erbrechen
Häufig: Diarrhoe, Mundtrockenheit, Obstipation, Übelkeit verschlimmert, Oberbauchschmerzen
Gelegentlich: Dyspepsie
Niere
Häufig: Harnstauung, Harnverhaltung, Dysurie, Harninkontinenz
Gelegentlich: akutes Nierenversagen
Haut
Häufig: Pruritus, vermehrtes Schwitzen
Gelegentlich: Hautausschlag
Allergien
In klinischen Studien wurden keine allergischen Reaktionen, einschließlich Anaphylaxie, beobachtet und die Immunogenität von i. th. gegebenem Ziconotid erscheint gering. Jedoch kann die Möglichkeit schwerer allergischer Reaktionen nicht ausgeschlossen werden.
Auge
Sehr häufig: Verschwommensehen
Häufig: Doppeltsehen, Sehstörungen, Photophobie
Ohr
Häufig: Schwindel, Tinnitus
Unerwünschte kognitive und neuropsychiatrische Wirkungen, insbesondere Verwirrung, sind bei mit Ziconotid behandelten Patienten häufig. Eine kognitive Beeinträchtigung tritt typischerweise nach mehrwöchiger Behandlung auf. Episoden von akuten psychiatrischen Störungen wie Halluzinationen, paranoiden Reaktionen, Feindseligkeit, Delirium, Psychose und manischen Reaktionen sind möglich.
Die kognitiven Wirkungen von Ziconotid sind normalerweise innerhalb von 1–4 Wochen nach Absetzen des Arzneimittels reversibel, können jedoch in einigen Fällen fortbestehen.
Bei Patienten mit starken chronischen Schmerzen besteht eine höhere Inzidenz von Suizid und Suizidversuchen als in der Allgemeinbevölkerung. Ziconotid kann Depressionen verursachen oder verschlechtern und bei prädisponierten Patienten eine Suizidgefahr darstellen.
Bochumer Wissenschaftler stellen bei der Analyse mehrerer Studien fest, dass es unter Ziconotid mehrere Fälle von Suizidversuchen gab. Die Wissenschaftler vermuteten, dass der Wirkstoff nicht nur die Weiterleitung von Schmerzreizen hemmt, sondern dabei auch die Stimmung verschlechtern und gleichzeitig Ängste und Impulskontrolle reduzieren könnte.
Die Kegelschnecke nutzt zur Jagd ein weiteres Gift, ein Insulinanalogon. In der Nähe eines Schwarms kleiner Fische gibt sie aus ihrer Giftdrüse ein Insulinderivat ins Wasser ab. Das Hormon lässt den Blutzuckerspiegel ihrer Beutefische schnell sinken. Diese Unterzuckerung führt zum hypoglykämischen Schock, verlangsamt deren Schwimmbewegungen und stört ihre Orientierung. Das erleichtert es den Schnecken, gleich mehrere Beutetiere in ihrem weit vorgestülpten Mund wie mit einem Netz zu fangen und dann durch injiziertes Gift zu töten. Dies berichten Forscher im Fachjournal Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS).
Insulin wird als Peptidhormon im Magen-Darm-Trakt zerstört. Ein Insulinanalogon, dass oral oder nasal appliziert werden kann, würde völlig neue Möglichkeiten der Diabetestherapie eröffnen. Das Besondere am „Schneckeninsulin“ ist auch sein rascher Wirkungseintritt nach etwa fünf Minuten. Die Kenntnis der molekularen Struktur kann dazu beitragen, rasch wirksame Insuline zu synthetisieren. Die Kegelschnecke wird auch weiterhin Forscher beschäftigen.
Aus Tiergiften oder aus denen isolierte Peptide, die VGCCs-Kanäle modulieren oder blockieren, scheinen ein relevanter Prototyp für die Entwicklung neuer wirksamer Pharmaka zu sein. Ziel ist es, die Substanzen verträglich(er) zu machen. Auch Spinnen, Frösche, Schlangen und andere Tiere sind Ziel für die Entwicklung neuer Substanzen.
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