Die Weltbevölkerung wird älter – und maligne Erkrankungen nehmen zu. Standen früher wenig selektive Chemotherapien im Mittelpunkt, versuchen Forscher heute, maßgeschneiderte Therapien zu entwickeln. Der große Sprung vom Labor in die Praxis gelingt jedoch nicht immer.
Maligne Erkrankungen auf dem Vormarsch: Im Weltkrebsbericht warnt die Weltgesundheitsorganisation WHO vor drastisch steigenden Zahlen. Forscher erwarten bis 2030 etwa 21,6 Millionen neue Fälle, verglichen mit 14 Millionen im Jahr 2012. Auch die Todesfälle werden von 8,2 auf 13 Millionen ansteigen. An der Spitze steht Lungenkrebs (13,0 Prozent), gefolgt von Brustkrebs (11,9 Prozent), Darmkrebs (9,7 Prozent), Leberkrebs (9,1 Prozent) und Magenkrebs (8,8 Prozent). Neben präventiven Maßnahmen als langfristiges Konzept sind neue, maßgeschneiderte Therapien gefragt. Studien zeigen, wohin die Reise gehen wird.
Wissenschaftler am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg begeben sich mit der Gattung Parvovirus auf Tumorzelljagd. Parvoviren lösen bei Haus- und Nutztieren schwere Erkrankungen aus, jedoch nicht beim Menschen. Als möglichen Angriffspunkt identifizierte Jürg P. F. Nüesch zusammen mit Kollegen das Enzym PDK-1 (Phosphoinositide-dependent kinase-1). Ohne PDK-1 können sich Parvoviren nicht vermehren. In Mäusen aktiviert das Virus die PDK1 über einen Mechanismus, der unabhängig von Wachstumsfaktoren abläuft. Gesunde menschliche Zellen exprimieren das entscheidende Enzym nicht – und bleiben damit verschont. Ganz anders sieht es bei Glioblastomen aus: Forscher fanden in 36 Prozent der untersuchten Gewebeproben erhöhte PDK1-Spiegel. Krebszellen werden dadurch von externen Wachstumsfaktoren unabhängig, was biologisch sinnvoll ist. Davon profizieren auch extern zugeführte H1-Parvoviren – und lösen maligne Zellen auf.
Bis entsprechende Therapien in der Praxis ankommen, werden noch Jahre vergehen. Grund genug für Wissenschaftler, Chemotherapien zu optieren. Jetzt haben Pneumologen um Sabine H. van Rijt, München, Nanofähren entwickelt, um bekannte Wirkstoffe hochdosiert in die Lungen zu transportieren. Ihre künstlichen Partikel bestanden aus einer speziellen Umhüllung, die von Proteasen aus dem Tumorgewebe gespalten werden. In anderen Bereichen der Lunge fehlen entsprechende Enzyme, und Nanopartikel blieben intakt. Bei gezielter, hoch dosierter Anwendung wären Pharmaka um den Faktor zehn bis 25 effektiver – ohne schwerwiegende Folgen für den Organismus. Nanopartikel können aber noch mehr: Schon heute arbeiten Ärzte beim sogenannten NanoTherm-Verfahren mit kleinen Eisenoxid-Partikeln, inklusive Hülle aus Aminosilanen. Die Teilchen werden in Tumoren eingebracht und mittels hochfrequenter Magnetfelder erwärmt. Das führt zum Untergang maligner Zellen.
Nicht nur mit Nanopartikeln lassen sich molekulare Strukturen gezielt erreichen. In monoklonalen Antikörpern schlummern ebenfalls große Potenziale. Jüngstes Beispiel: das Wirkstoff-Konjugat Brentuximab bei Hodgkin-Lymphomen. Primär erhalten Patienten zwar eine kombinierte Chemo- und Strahlentherapie. Verschiedenen Veröffentlichungen zufolge liegen die Gesamtüberlebensraten zwischen 80 und 90 Prozent. Kommt es jedoch zu Rezidiven, bleibt eine Hochdosis-Chemotherapie plus Stammzelltransplantation – bei deutlich schlechterer Prognose. Als weitere Option steht Ärzten jetzt Brentuximab zur Verfügung. Das Konjugat besteht aus einem Antikörper gegen das CD30-Antigen auf Tumorzellen. Hinzu kommt das Zytostatikum Monomethylauristatin E. Durch die chemische Bindung beider Moleküle sollen primär lokale Effekte erzielt werden. Bei der Zulassung setzten Wissenschaftler das Antikörper-Wirkstoff-Konjugat versus Placebo als Konsolidierungstherapie bei Patienten mit hohem Rezidivrisiko ein. Damit erhöhte sich das mediane, progressionsfreie Überleben signifikant von 24,1 auf 42,9 Monate. Als Nebenwirkungen traten Neutropenien und Neuropathien auf. Für die spezielle Patientengruppe besteht trotzdem ein großer therapeutischer Mehrwert.
Kein Einzelfall: Auch bei den extrem selten auftretenden Nebennierenkarzinomen lautet eine pharmakologische Strategie, geeignete Patienten-Subgruppen auszuwählen. Tumorzellen produzieren unter anderem den Insulin-like growth factor 2 (IGF-II) auf ihrer Oberfläche. Grund genug für Forscher, nach Antagonisten wie Linsitinib zu suchen. Doch eine Phase-III-Studie mit 139 Patienten enttäuschte: Der oral einzunehmende Wirkstoff verbesserte weder das Gesamtüberleben noch das progressionsfreie Überleben gegenüber Placebo. Trotzdem gab es Überraschungen: Vier Patienten sprachen extrem gut auf das Medikament an. Bei ihnen ließ sich die Erkrankung jeweils über mehr als zwei Jahre kontrollieren. Und in drei Fällen kam es langfristig zu einer deutlichen Reduktion der Tumormasse – bei erstaunlich wenigen Nebenwirkungen. Martin Fassnacht, Würzburg, plant ausgehend von diesen Resultaten jetzt weitere Studien. Er will herausfinden, welche Faktoren für den therapeutischen Effekt ausschlaggebend sind – etwa Einflüsse des Erbguts. Trotz aller Erfolge gilt es noch viele Herausforderungen zu bewältigen. Eines ist jedoch klar: Zielgerichteten Therapien gehört die Zukunft in der Onkologie.