Mehrere Studien haben den Effekt der Corona-Lockdowns auf Migränepatienten untersucht. Die Ergebnisse zeigen einen neuen Ansatz im Umgang mit der Erkrankung auf.
Eine Studie analysierte die Daten deutscher Patienten mit primären Kopfschmerzerkrankungen, die ein digitales Kopfschmerztagebuch mit der App „M-sense“ führten und die in den 28 Tagen vor dem Corona-Lockdown sowie in den ersten 28 Tag des Lockdowns regelmäßig ihre Daten eingepflegt hatten. Insgesamt konnten die Daten von 2.325 App-Nutzern ausgewertet werden. Analysiert wurden mögliche Veränderungen im Hinblick auf monatliche Kopfschmerztage, monatliche Migränetage, akute Bedarfsmedikation und Schmerzintensität. Außerdem wurde erfasst, ob sich Schlafdauer, Schlafqualität, Lebensenergie, Gemütszustand, Stress- und Aktivitätslevel im Lockdown verändert hatten.
Im Ergebnis zeigte sich, dass es keinen signifikanten Unterschied im Hinblick auf die Kopfschmerztage gab (7,01 ± 5,64 vor dem Lockdown vs. 6,89 ± 5,47 währenddessen, p > 0,999). Auch in Bezug auf die monatlichen Migränetage und die Schmerzintensität konnte kein Unterschied festgestellt werden. Allerdings hatte sich die Anzahl der Tage, an denen die Betroffenen eine Akuttherapie benötigten, signifikant reduziert – von 4,50 ± 3,88 auf 4,27 ± 3,81 (p < 0.001). Auch berichteten die App-User über ein geringeres Stress- und Aktivitätslevel sowie längere Schlafzeiten, bessere Laune und mehr Energie.
„Demnach war der Lockdown in einem gewissen Umfang positiv für Menschen mit Kopfschmerzerkrankungen. Es ist bekannt, dass es einen Zusammenhang zwischen hoher Arbeitsbelastung, mangelnder Erholung und Kopfschmerzen gibt, und offensichtlich führte der Lockdown dazu, dass die Betroffenen etwas ‚herunterfahren‘ konnten. Viele Arbeitnehmer waren in Kurzarbeit und bei den anderen fielen die Wegezeiten zur Arbeit weg, was zu mehr Freizeit führte, außerdem dauerte es oft mehrere Tage oder gar Wochen, bis eine funktionierende Homeoffice-Infrastruktur etabliert war und sie in gewohnter Weise weiterarbeiten konnten“, erklärt Prof. Peter Berlit, Generalsekretär der DGN.
Allerdings war der positive Effekt nicht nachhaltig: In einer weiterführenden Analyse der Daten von 439 der Nutzer wurden die monatlichen Kopfschmerztage, die monatlichen Migränetage, die akute Bedarfsmedikation und die Schmerzintensität dann erneut nach drei Monaten erhoben und mit den Ausgangswerten von vor dem Lockdown verglichen. Es zeigte sich, dass es nun keinerlei Unterschiede mehr gab, auch nicht in Bezug auf die Akutmedikation.
Die Autoren schlussfolgern, dass die anfängliche Stressreduktion durch den Lockdown keine langfristigen Auswirkungen auf die primären Kopfschmerzerkrankungen hatte. „Womöglich brachte der Lockdown neue Stressoren mit sich, durch das Homeschooling, die soziale Isolation oder auch durch Zukunftsängste und finanzielle Sorgen“, erklärt Berlit.
Eine ähnliche Erhebung war in Italien an Migränepatienten mittels eines E-Mail-Fragebogens durchgeführt worden. 92 Betroffene nahmen an der Umfrage teil. Die Attackenhäufigkeit war bei 40,2 % der Befragten während des Lockdowns konstant geblieben, bei 33,7 % hatte sie sich erhöht, bei 26,1 % reduziert. Die Dauer der Attacken war bei 55,4 % gleichgeblieben, bei 23,9 % war sie länger geworden, bei 20,7 % hatte sie sich verkürzt. Der Migräneschmerz war bei 65,2 % gleich oder vermindert, bei 34,8 % hatte die Schmerzintensität zugenommen. Die Wirksamkeit der Migränemedikamente gaben 73,9 % der Befragten mit gleich gut an, 17,4 % nahmen sie als vermindert wahr, 8,7 % als verbessert.
Zusammenfassend hatte der Lockdown in dieser Erhebung bei ca. der Hälfte der Patienten keinerlei Auswirkungen, bei einem Viertel führte er zu Verbesserungen, bei einem anderen Viertel zu Verschlechterungen.
Was besonders interessant war: Die Arbeitsgruppe analysierte auch Faktoren, die auf die Migräne Einfluss nehmen. Interessant war das Ergebnis, dass die Patienten, die im Homeoffice arbeiteten, weniger Medikamente benötigten, eine geringere Schmerzintensität hatten sowie eine kürzere Attackendauer. Die Autoren schlussfolgern, dass das Arbeiten im Homeoffice ein möglicher Weg sein könnte, um die Lebensqualität von Menschen mit Migräne zu verbessern.
„Diese Hypothese ist nicht abwegig, denn wir wissen, dass bestimmte Trigger, wie beispielsweise Stress oder Lärm, Migräne-Attacken auslösen. Im Großraumbüro kann man sich dem weniger gut entziehen als im Homeoffice. Auch hat man zuhause immer einen Rückzugsraum und kann sich ‚rausnehmen‘, wenn eine Attacke beginnt, was die Intensität und Länge der Schmerzen günstig beeinflussen kann“, erklärt DGN-Pressesprecher Prof. Hans-Christoph Diener. „Arbeiten im Homeoffice kann also für Patienten mit Migräne durchaus sinnvoll sein.“
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Die erwähnten Studien haben wir euch im Text verlinkt.
Bildquelle: Catherina Schürmann, unsplash