In den USA schafften im Sommer einige Bundesstaaten die Maskenpflicht in Innenräumen ab. Warum das zu voreilig war, zeigt ein Fallbericht aus einem Krankenhaus in Kalifornien.
In einem Leserbrief, der in der Fachzeitschrift The New England Journal of Medicine (NEJM) veröffentlicht wurde, berichtet eine Gruppe Ärzte aus Kalifornien von aktuell vermehrten SARS-CoV-2-Infektionen bei medizinischem Personal einer Klinik.
Im Dezember 2020 kam es bei der Belegschaft der University of California San Diego Health (UCSDH) zu einem dramatischen Anstieg der Corona-Infektionen. Noch im Verlauf des Monats wurde dann mit der Impfung des Personals begonnen: Bis März 2021 waren 76 % der Belegschaft vollständig mit einem mRNA-Vakzin geimpft – bis Juli lag die Impfquote bei 87 %. Und die Impfungen zeigten schnell eine Wirkung: Schon im Februar waren die Infektionen unter den Angestellten drastisch zurückgegangen.
Am 15. Juni wurde in Kalifornien die Maskenpflicht aufgehoben, zeitgleich mit einer raschen Ausbreitung von B.1.617.2, der Delta-Variante von SARS-CoV-2. Durch die Delta-Variante, die bis Ende Juli bereits mehr als 95 % der UCSDH-Isolate ausmachte, stiegen die Infektionszahlen wieder rapide an, auch bei vollständig geimpften Personen wurden Infektionen gemeldet. An der Klinik wird kontinuierlich getestet: In manchen Abteilungen werden täglich Screenings durchgeführt, in anderen reicht eine mögliche Exposition oder das Vorhandensein von einem typischen Symptom aus, um bei Betroffenen einen PCR-Test durchzuführen – alles unabhängig vom Impfstatus der Person.
Vom 1. März bis 31. Juli 2021 wurden insgesamt 227 Beschäftigte der Einrichtung mittels RT-qPCR positiv auf SARS-CoV-2 getestet; 130 der 227 Betroffenen (57,3 %) waren vollständig geimpft. Symptome traten bei 109 der 130 vollständig geimpften (83,8 %) und bei 80 der 90 ungeimpften Arbeitnehmer (88,9 %) auf. Die übrigen 7 Personen waren nur teilweise geimpft. In beiden Gruppen wurden keine Todesfälle gemeldet, aber eine nicht geimpfte Person musste wegen SARS-CoV-2-bedingter Symptome ins Krankenhaus eingeliefert werden.
Für die Monate März bis Juli 2021 berechneten die Wissenschaftler die Wirksamkeit des Impfstoffs in der vorhandenen Kohorte; als Durchbruchsinfektion wurde ein positiver PCR-Test sowie das Vorhandensein von einem oder mehreren COVID-19-Symptomen betrachtet. Die Wirksamkeit des Impfstoffs lag von März bis Juni bei über 90 %, fiel jedoch im Juli bereits auf 65,5 % (95-%-Konfidenzintervall [KI], 48,9–76,9). Die Infektionsrate im Juli wurde aufgeteilt analysiert – je nachdem, wann die Personen ihre zweite Impfung erhalten hatten. Bei den Personen, die bereits im Januar oder Februar ihre zweite Impfung erhalten hatten, betrug die Infektionsrate 6,7/1.000 Personen (95-%-KI, 5,9–7,8), während sie bei denjenigen, die ihre zweite Impfung zwischen März und Mai bekamen, 3,7/1.000 Personen (95-%-KI, 2,5 bis 5,7) betrug. Bei den Ungeimpften lag die Infektionsrate im Juli bei 16,4/1.000 (95-%-KI, 11,8–22,9).
Die mRNA-Impfstoffe von Pfizer-BioNTech und Moderna haben in ihren klinischen Studien Wirksamkeiten von 95 % bzw. 94,1 % gezeigt. Für den Impfstoff von Biontech wurde vier Monate nach der zweiten Dosis eine anhaltende, wenn auch leicht verringerte Wirksamkeit von 84 % festgestellt. In Großbritannien, wo ein verlängertes Impf-Intervall von bis zu 12 Wochen verwendet wurde, berichteten Lopez Bernal et al. kürzlich über eine erhaltene Impfstoffwirksamkeit von 88 % gegen symptomatische Erkrankungen im Zusammenhang mit der Delta-Variante. Die Autoren des Briefs geben jetzt an, dass die von ihnen in Kalifornien erhobenen Daten darauf hindeuteten, dass die mRNA-Impfstoffe, werden sie analog zur Notfallzulassung innerhalb der angegebenen Abstände verimpft, eine deutlich schlechtere Wirksamkeit gegenüber der Delta-Variante aufweisen könnten. Sie schreiben „Werden die mRNA-Impfstoffe gemäß den Standardintervallen verimpft, deuten unsere Daten darauf hin, dass die Impfstoffwirksamkeit gegen symptomatische Erkrankungen durch die Delta-Variante erheblich geringer ist“ und diese im Laufe der Zeit noch weiter nachlassen könne.
Die deutliche Verschlechterung der Schutzwirkung, die im Juni und Juli an der UCSDH beobachtet werden konnte, sei wahrscheinlich auf drei Faktoren zurückzuführen: Die nachlassende Immunität durch die Impfung, die neu aufgetretene Delta-Variante sowie die Abschaffung der Maskenpflicht in Kalifornien und das daraus resultierende höhere Risiko einer Exposition in der Bevölkerung.
„Unsere Ergebnisse unterstreichen“, so schreiben es die Autoren am Ende ihres Briefes, „wie wichtig die erneute Einführung von Maßnahmen wie der Maskenpflicht in Innenräumen und intensiven Teststrategien ist, um vermeidbare Erkrankungen und Todesfälle zu verhindern und eine massive Ausbreitung dieser gefährlichen Variante zu vermeiden.“ Und sie raten auch zur Auffrischung der Impfungen. „Sollten sich unsere Erkenntnisse über die nachlassende Immunität auch in anderen Bereichen bestätigen, könnten außerdem Auffrischungsimpfungen angezeigt sein.“
Den Leserbrief im NEJM haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Waldemar Brandt, unsplash