Single-Gene, Scheidungs-Gene oder Untreue-Gene: Biologen entlocken dem Erbgut manches Geheimnis. Ganz so einfach ist es trotzdem nicht: Viele Dispositionen entwickeln sich nur, wenn es zu entsprechenden Interaktionen mit der Umwelt kommt. Das Leben bleibt also spannend.
„Schatz, ich kann nichts für die Untreue, es sind meine Gene“: Geht es nach Molekularbiologen, könnten solche Ausreden bald häufiger zu hören sein. Ergebnisse der Bielefelder und Regensburger Längsschnittstudie deuten darauf hin, dass wichtige Persönlichkeitsmerkmale stärker als bislang vermutet durch unser Erbgut gesteuert werden. Dazu gehören in erster Linie die „Big Five“, bekannt als „Fünf-Faktoren-Modell“: Neurotizismus (emotionale Labilität), Extraversion, Offenheit für neue Erfahrungen, Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit. Hier liegen genetische Effekte bei 40 bis 60 Prozent, während soziale Einflüsse (rund 25 Prozent) und individuelle Erlebnisse (etwa 30 Prozent) zahlenmäßig fast in das Hintertreffen geraten.
Manche „Big Five“ spielen bei sich anbahnenden Beziehungen eine zentrale Rolle. Neurotizismus korreliert mit negativen Gedanken, mit Unsicherheit und mit Angst. Betroffene gehen weniger aus, haben seltener Kontakt zu Mitmenschen und kommen mit potenziellen Partnern kaum ins Gespräch. Extraversion führt genau zum Gegenteil. Doch wie lassen sich derart komplexe Parameter erkennen? Bernhard Fink von der Universität Wien hat dazu eine Studie mit überraschendem Ergebnis veröffentlicht. Er sieht Zusammenhänge zwischen Phänotypen und persönlichkeitspsychologischen Größen. Wenig Neurotizismus und viel Extrovertiertheit gehen mit symmetrischen Gesichtsformen einher. Dass es hier zur Expression ähnlicher Bereiche unseres Erbguts kommt, gilt als wahrscheinlich – aber wissenschaftlich nicht als gesichert.
Ein weiterer Aspekt aus der Molekularbiologie: Langjährige Singles tragen mitunter Varianten des 5-HTA1-Gens, fand Xiaolin Zhou von der Peking University heraus. Das kleine Stück Erbgut beeinflusst unseren Serotonin-Spiegel und liegt in einer CC- oder CG/GG-Version vor. Träger der CG/GG-Variante hatten weniger Serotonin im Blut und waren tatsächlich seltener in einer Partnerschaft (39 Prozent) als CC-Probanden (50 Prozent). Als Basis dienten Zhou Daten von 579 Studierenden. Anschließend korrigierte der Forscher seine Resultate, indem er störende Parameter wie depressive Symptome, wenig Zeit im Privatleben oder eine schlechte finanzielle Lage eliminierte. Zusammenhänge zwischen Genotyp und Phänotyp blieben trotzdem bestehen. Ältere Untersuchungen haben CG/GG bereits mit Borderline-Störungen oder Depressionen in Verbindung gebracht. Aber auch ohne Krankheitsbilder sind Personen mit dieser Version in einer Partnerschaft häufiger unzufrieden sowie emotional labil.
In diesem Zusammenhang meldeten sich Wissenschaftler aus London zu Wort. Lyn F. Cherkas arbeitete mit 1.600 Probandinnen und untersuchte deren Erbgut. Hatten Frauen bestimmte Varianten des Vasopressin-Rezeptorgens AVPR1A, trennten sie sich um 50 Prozent häufiger vom Partner. Hasse Walum, Stockholm, fand auch bei Männern entsprechende Zusammenhänge. Personen mit einer niedrigen Expression lebten seinen Untersuchungen zufolge eher allein oder hatten ernste Beziehungsprobleme als Geschlechtsgenossen, bei denen AVPR1A vermehrt transkribiert und translatiert wurde. Und bei Frauen steht Vasopressin mit Untreue in Verbindung, schreibt Brendan P. Zietsch aus Brisbane. Hatten Probandinnen die Variante AVPR1A, gingen sie eher fremd. Als Basis diente eine Zwillingskohorte mit 7.378 Personen.
Untreue lässt sich aus biologischem Blickwinkel noch über einen anderen Weg nachweisen. Wieder geht es um Ausprägungen körperlicher Merkmale. Robin Dunbar, Oxford, befragte 585 Personen über das Internet anonym zu ihrer Partnerschaft. Gleichzeitig führte er bei 1.314 Probanden Messungen der Fingerlängen durch. Was auf den ersten Blick mehr als obskur wirkt, hat folgenden Hintergedanken: Je größer das Verhältnis von Ringfinger zum Zeigefinger ist, desto höher war der Testosteronspiegel im Mutterleib. Das Sexualhormon begünstigt Dunbar zufolge eher polygame Verhaltensweisen. Seinen Messungen zufolge sind 62 Prozent aller Männer und 50 Prozent aller Frauen Affären gegenüber nicht abgeneigt. Kombiniert man internetbasierte Befragungen mit biologischen Daten, ist der Prozentsatz nicht ganz so hoch. Welchen Einfluss gesellschaftliche oder soziale Faktoren spielen, hat der Forscher nicht erfasst.
Die Quintessenz: Sollten wir vom neuen Partner besser ein genetisches Profil fordern, bevor wir Ernsteres planen? Wohl kaum – Humangenetiker kennen Schwächen ihrer Studien nur allzu gut. Selbst bei eineiigen Zwillingen, die früher oder später getrennte Wege gehen, läuft nicht alles gleich. Umweltfaktoren beeinflussen die Genexpression ebenfalls. Jede Assoziation zwischen Genotyp und Verhalten kann nur als kleines Puzzleteil verstanden werden. Das Große, Ganze haben wir noch lange nicht verstanden.