Stell dir vor, du bist Hausarzt und musst dich nicht mehr mit kaputten Druckern, Urlaubsvertretungen und Software-Updates rumschlagen. Ein Start-up will genau das möglich machen.
Zu wenig Zeit für Patienten, zu viel Zeit, die für administrative Dinge draufgeht – das kennen Hausärzte nur allzu gut. Denn der Arbeitsalltag sieht oft so aus: Ärzte sind nicht nur für die medizinische Behandlung ihrer Patienten verantwortlich, sondern auch dann gefragt, wenn beispielsweise der Drucker kaputtgeht oder das Software-Update nicht funktioniert.
Diesen Zustand will das Münchener Start-up Avi Medical verändern. Die drei Gründer – ein Mediziner, ein IT-Spezialist und ein Betriebswirtschaftler – sprechen von einer „Hausarztpraxis der Zukunft“. Sie wollen die ambulante Versorgung verbessern und digitalisieren. „Ich möchte gerne als Angestellter arbeiten, aber mit der Administration nicht viel zu tun haben.“ Das hat Julian Kley, Arzt und einer der Gründer von Avi Medical, schon häufiger von Medizinern gehört, wie er im Gespräch mit DocCheck sagt.
Diesen Spagat will das Start-up ermöglichen. So soll es funktionieren: Das Unternehmen übernimmt existierende zugelassene Praxen mit Patientenstamm und stellt Ärzte und medizinisches Fachpersonal an. Die Kassensitze hält die Firma. Angestellte Ärzte können sich dann sozusagen ins „gemachte Nest" setzen. Organisiert wird die Praxis nach dem Gesamtkonzept von Avi Medical. Der Großteil an Administration und Bürokratie wird von Fachleuten übernommen. In den USA gibt es solche Praxisketten (z. B. OneMedical, VillageMD) bereits.
Die Gründer von Avi Medical (v. l.) Vlad Lata, Julian Kley und Christoph Baumeister. Quelle: Avi Medical Unter der 2020 gegründeten Marke Avi Medical wurden mittlerweile drei Praxen in München eröffnet, weitere sollen zeitnah in Berlin und Stuttgart folgen. Daraus soll ein Praxisverbund mit bis zu 100 Ablegern in Deutschland werden – in der Stadt, aber auch im ländlichen Raum.
Ziel ist es, den oft holprigen Informationsaustausch zwischen Arzt und Patient zu vereinfachen. Dafür sollen digitale Tools mit einer klassischen hausärztlichen Versorgung verbunden werden. Letztlich soll so mehr Zeit für die eigentlichen Aufgaben der Ärzte rausspringen.
„Der entscheidende Unterschied ist, dass wir dem Arzt die vielen Dinge, die er nebenher machen muss, abnehmen. Ob das jetzt solche Dinge sind wie ‚der Drucker ist kaputt‘ oder ‚das Telematik-Gerät funktioniert nicht‚‘“, sagt Kley. Auch Bestellungen, Abstimmungen mit dem Labor oder die Organisationen rund um Krankheits- und Schwangerschaftsvertretungen, sind Bereiche, um die sich Avi Medical kümmert.
Ein Problem ist, dass beim Termin in der Hausarztpraxis oftmals wertvolle Zeit verloren geht. „Ganz klassisches Beispiel: Ein Patient kommt rein und dann werden die Medikamente abgefragt. Die Namen sind lang und schwer zu merken, Patienten holen Zettelchen aus der Hosentasche raus. Und der Arzt ist erst mal damit beschäftigt, das mit dem Patienten zu eruieren“, erklärt Kley. Das soll bei ihnen anders laufen, die Patienten könnten Grundsätzliches zuhause in Ruhe vorbereiten.
Konkret sieht das folgendermaßen aus: Patienten können Termine online buchen und auch verschieben. Der Anamnesebogen soll am Besten schon zu Hause am Smartphone ausgefüllt werden, statt im Wartezimmer. Dafür wird aktuell eine App entwickelt. Je nach Behandlungsgrund können sich die Patienten für eine Videosprechstunde von zu Hause aus entscheiden.
Kley macht aber deutlich, dass sie kein Videodienstanbieter sind. Die Videosprechstunden seien nur eine Ergänzung, die je nach Indikation gezielt angeboten werden. Der Arzt-Patienten-Kontakt soll weiterhin oberste Priorität haben.
Kley sieht weiteren Nachbesserungsbedarf in der hausärztlichen Versorgung. Zwischen den einzelnen Arztbesuchen herrsche eine gewisse Verlorenheit beim Patienten, wie er berichtet. „Der Arzt hat nicht immer die Zeit, Krankheitsbilder ausführlich zu erklären, weil der nächste Patient wartet. Was passiert? Der nächste Termin ist erst in 3 oder 6 Monaten und in der Zwischenzeit ist die Verbindung erst mal verloren. Das wollen wir enger anbinden.“
Hier will Avi Medical digitale Lösungen nutzen, um dem Patienten zwischen den Terminen passgenaue Informationen zu seinem Krankheitsbild zu liefern. Im Gegenzug erhält der Arzt in der Zwischenzeit Informationen vom Patienten.
„Wir schließen z. B. ein Blutdruckmessegerät, das Patienten zuhause haben, an die App an, in die ihre Werte übertragen werden. Der Arzt muss dem Patienten nicht aus Sorge hinterhertelefonieren, sondern wird über den Zustand informiert“, erklärt Kley. Die Nutzung der App sei aber nicht verpflichtend. Kley: „Für uns ist es ein Angebot, wir wollen niemanden zwingen, das zu nutzen.“
Bewerbungen für Arztstellen beim Unternehmen kämen eher von jüngeren Kollegen, die gerade ihren Facharzt gemacht haben oder umschulen.
Das ist nicht verwunderlich: Zumindest unter niedergelassenen Ärzten sind digitale Lösungen noch nicht sonderlich beliebt. Laut einer McKinsey-Studie von Ende 2020 bieten 59 Prozent ihren Patienten keinerlei digitale Services an. Zwar gab es durch die Pandemie einen Digitalisierungs-Schub. Online- oder Videosprechstunden wünschen sich aber nur etwa 15 Prozent der Ärzte. Und noch immer haben 43 Prozent der Ärzte Bedenken, dass die Arzt-Patienten-Beziehung unter einer stärkeren Digitalisierung leiden könnte. Ob der Plan der Gründer in der Breite zeitnah aufgehen wird, bleibt abzuwarten.
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