Ist der Mensch, der in der Apotheke vor mir steht, Kunde oder Patient? Ich finde: Es kommt drauf an. Und kann sich jederzeit ändern.
Im Anschluss an meinen Vortrag zum Thema „Kommunikation zwischen Arzt und Apotheker“ beim diesjährigen Med im Kornfeld kam eine spannende Frage aus dem Publikum. Einem Medizinstudenten fiel es nach eigenen Worten „unangenehm auf“, dass ich die Menschen, die unsere Apotheken besuchen, einmal als Kunden und einmal als Patienten bezeichnete. Er verstand nicht ganz, warum diese Begriffe in einer Apotheke verschwimmen können. Für mich ist das nun ein willkommener Anlass, diese Sichtweise einmal etwas genauer zu erklären.
Apotheker sind nicht ausschließlich Heilberufler wie die Ärzte, sie sind auch Kaufleute. Sie sind allerdings, anders als andere Kaufleute, dazu verpflichtet, sich an bestimmte Öffnungszeiten zu halten, Nacht- und Notdienste zu leisten, für Beratungsfehler mit ihrem Privatvermögen zu haften, ein eigenes Labor und eine Rezeptur zu betreiben, in der Beratung nur ausgebildete Fachkräfte zu beschäftigen und sie müssen ebenso bestimmte vorgeschriebene Arzneimittel auf eigene Kosten und Risiko vorrätig halten. Selbständige Apotheker sind sowohl Mitglied in einer Apothekerkammer, als auch zwangsweise bei der Industrie und Handelskammer (IHK).
Das Zusammenspiel zwischen Heilen und Verkaufen klingt schwierig, muss aber nicht per se auch zu inneren Konflikten führen. Trotzdem stellt sich an dieser Stelle natürlich die Frage: Wann ist der Mensch, der in der Apotheke steht, ein Kunde und wann ist er ein Patient?
Für mich persönlich hat es etwas mit den Gründen zu tun, aus denen er die Apotheke aufsucht. Kommt er mit einer Verordnung von seinem Arzt, dann wird er bei uns zur korrekten Einnahme beraten. Dann ist er ein Patient, genau wie dann, wenn er sich zu freiverkäuflichen Arzneimitteln beraten lässt. Kommt er dagegen, um sich ein Geschenk für die Ehefrau, Kosmetikartikel oder Bonbons zu besorgen, dann sehe ich ihn als Kunden.
Das pharmazeutische Personal ist dafür da, das Einkaufsverhalten der Menschen, die in einer Apotheke einkaufen, so zu steuern, dass sie nicht entgegen ihrer heilberuflichen Überzeugung handeln. Sehen wir ein gesundheitliches Problem bei dem, was der Kunde bei uns einkauft, dann wird ihm dieser Wunsch nicht erfüllt. Das ist etwas anderes als an der Supermarktkasse, wo er auch fünf oder zehn Flaschen Korn einkaufen kann, ohne dass hier nachgefragt und ihm der Kauf verweigert wird.
Denn nur, weil ein Kunde bei mir fünf Packungen Paracetamol ordert, bekommt er diese noch lange nicht ausgehändigt. Er wird zum Grund befragt, warum er so viele Packungen kaufen möchte und erhält von uns entweder Alternativen zur Schmerzbehandlung genannt, oder wird an einen Arzt verwiesen. Dann ist er vom Kunden zum Patienten geworden, denn er wurde umfassend beraten, zu möglichen Gesundheitsgefährdungen seines Wunsches aufgeklärt und hat eben nicht einfach das georderte Präparat stillschweigend von uns erhalten. Hamsterkäufe sollten wir in Apotheken ohnehin nicht unterstützen.
Das Deutsche Arzneiprüfungsinstitut (DAPI) hat genau dieses Einkaufsverhalten während der ersten Coronawelle unter die Lupe genommen. Dazu legte es die Abrechnungsdaten der Abgaben aller deutschen Apotheken zulasten der GKV und einige OTC-Daten zugrunde. Das Bild, was sich hier abzeichnete, ist genau das, was jeder von uns noch deutlich in Erinnerung hat, der während des ersten Lockdowns tagtäglich in der Apotheke stand.
Ein Beispiel von vielen: Vor wenigen Monaten noch war Paracetamol in fast allen Apotheken Mangelware. Das ging so weit, dass Bundesgesundheitsminister Spahn dem freien Handel von Medikamenten mit diesem Wirkstoff gesetzlich einen Riegel vorschieben musste. Der Verkauf von Paracetamol erreichte nach diesen Daten seinen Höhepunkt im März 2020 mit einem Plus von 127 %. Das wundert mich persönlich, denn ich bin von weit höheren Werten ausgegangen. Auch bei uns in der Apotheke ging die Nachfrage so weit, dass ich am Ende eines Arbeitstages einfach nur gehofft habe, dass ich die Worte Maske, Desinfektionsmittel und Paracetamol nie mehr hören muss.
Sicherlich hätte der Absatz von Medikamenten mit diesem Wirkstoff noch weit höher gelegen, wäre mehr davon bestellbar gewesen. Doch die Großhändler und Hersteller waren damals so komplett leergekauft, dass ich nicht einmal mehr Paracetamolzäpfchen für Säuglinge, geschweige denn einen Fiebersaft bekommen konnte. Selbst die Reinsubstanz selbst war nicht mehr zu bekommen, so dass wir auch nicht über die Eigenherstellung in der Rezeptur hätten aushelfen können, wie es bei den Desinfektionsmitteln der Fall war.
Dieser Engpass war ein großes Problem, denn während die einen alle Medikamente mit diesem Wirkstoff zuhause horteten, unter anderem auch, weil er damals als einziges Schmerz- und Fiebermedikament galt, das bei einer Coronainfektion angeblich helfen sollte, musste ich junge Mütter, die es gerade dringend und akut für ihr fieberndes Baby benötigten, abweisen. Für uns war der Aufruf der Bundesregierung damals komplett unnötig, denn uns war sofort klar, dass diese Situation zu Problemen führen wird.
Und wer sich jetzt aus dem Fenster lehnen möchte, um mit dem Finger auf die Apotheken zu zeigen, wo man offenbar unter dem Druck der Kunden unnötig große Mengen an Paracetamol abgegeben hat, der soll sich gerne mal auch die Zahlen der verschreibungspflichtigen Medikamente ansehen, die in diesem Report ebenfalls auftauchen. Auch die Verkaufszahlen von Hydroxychloroquin schossen um 110 % nach oben, so dass mehrere Warnungen des BfArM innerhalb weniger Wochen kamen, das Medikament aufgrund der möglichen Nebenwirkungen, des fraglichen Nutzens und der Gefahr eines Engpasses nicht ohne Not zu verordnen. Trotz dieser Warnungen hielt ich mehr als nur einmal Privatverordnungen über diesen Wirkstoff in der Hand, von Ärzten, die offenbar dem Wunsch des Kunden ebenfalls nichts entgegensetzen konnten. Und das waren allesamt keine Patienten, die es sonst auch verordnet bekommen haben und nur sichergehen wollten, dass ihnen ihr Medikament nicht ausgeht.
Doch auch außerhalb des Paracetamol-Gate vom Frühjahr des vergangenen Jahres gibt es täglich Situationen, in denen wir aktiv nachfragen, versuchen auf eine andere Art weiterzuhelfen, zu beraten oder einfach die Abgabe verweigern, zum Schutz unserer Patienten. Sei es die Dame, die dreimal die große Flasche Billignasenspray verlangt, oder auch der Herr, der nach seiner Transplantation bei uns Perenterol® einkaufen möchte, weil sein Arzt ihm das empfohlen hat. Sie kommen als Kunde und gehen als Patient. Und das nicht nur während Corona.
Bildquelle: Tbel Abuseridze, unsplash