Über Salz und seine Rolle in der herzbewussten Ernährung streiten Mediziner mindestens so gerne wie über Vitamin D. Eine Studie hierzu glänzte auf dem ESC-Kongress – aber nicht als einzige. Unsere Top Seven.
Germany – ten points. Nein, das war der Eurovision Song Contest, aber auch beim jährlichen Kardiologen-ESC der European Society of Cardiology lassen sich Ranglisten erstellen; streng subjektive natürlich, was wir hiermit versuchen wollen. Klar ist schon jetzt, kurz vor dem offiziellen Ende der Veranstaltung: Einer der ganz großen Gewinner ist die ESC selbst, die zum zweiten Mal einen komplett digitalen Kongress ausgerichtet hat und damit alle bisherigen Teilnehmerrekorde brechen wird. Und anders als bei den Eurovision Song Contests ex Lena Meyer-Landrut ist auch die deutsche Kardiologie ein Gewinner. Sie ist in unserer Hitparade gleich mehrfach vertreten.
Auf Platz 7 unserer Hitparade findet sich die prominent im New England Journal of Medicine platzierte FIGARO-DKD-Studie, die sich um die kardiovaskuläre Risikoreduktion bei diabetischen Patienten mit früher chronischer Nierenerkrankung (CKD) gekümmert hat. Sie verglich in diesem Kontext den nicht-steroidalen, selektiven Mineralokortikoidrezeptor-Antagonist Finerenon mit Placebo. Über 7.000 Patienten mit einer Urin-Albumin-Kreatinin-Rato (UACR) von 30 bis < 300 und einer eGFR von 25 bis 90 ml/min nahmen teil, außerdem Patienten mit einer UACR > 300 mit einer eGFR > 60 ml/min.
Ergebnis: Nach im Median 3,4 Jahren hatten 12,4 % der Patienten in der Finerenon-Gruppe, aber 14,2 % der Patienten in der Placebogruppe ein primäres Endpunktereignis, definiert als kardiovaskulärer Tod, Myokardinfarkt Schlaganfall oder Einweisung wegen Herzinsuffizienz. Die 13 % relative Risikoreduktion waren signifikant, „Treiber“ waren die Herzinsuffizienz-Einweisungen. Die Number-needed-to-treat beträgt, naja, 55 über die 3,4 Studienjahre.
Asymptomatische Patienten mit Carotisstenose wurden in der ACST-2-Studie, parallel publiziert im Lancet, entweder mit einem Stent versorgt oder erhielten eine Bypass-Operation. Gut 3.600 Patienten aus 130 Zentren in 33 Ländern nahmen teil. In beiden Studienarmen nahmen jeweils 80 bis 90 % der Patienten Lipidsenker, Antithrombotika und Antihypertensiva, die Patienten waren medikamentös also ordentlich versorgt. Der durchschnittliche Follow-up-Zeitraum betrug 5 Jahre. In den postprozeduralen 30 Tagen kamen es in beiden Gruppen bei je rund 1 % der Patienten zu einem Schlaganfall mit Behinderung oder einem Todesereignis. Schlaganfälle ohne Behinderung waren im 30-Tage-Fenster mit 2,7 % vs. 1,6 % in der Stent-Gruppe signifikant häufiger.
Jenseits der 30 Tage nach dem Eingriff hatten in beiden Studienarmen 2,5 % der Patienten einen tödlichen oder zu Behinderung führenden Schlaganfall. Die Rate der Schlaganfälle aller Art im Langzeitverlauf war in der Bypass-Gruppe mit 5,2 % numerisch, aber nicht statistisch signifikant höher als in der Stent-Gruppe, wo es 4,5 % waren. Insgesamt also ein Patt, das viel Raum gibt für patientenindividuelle Entscheidungen. Die durchaus heiß diskutierte Frage, ob bei asymptomatischer Carotisstenose überhaupt eine Intervention erfolgen sollte oder ob eine optimale medikamentöse Therapie nicht reicht, adressierte ACST-2- nicht.
Nach der Reanimation direkt auf den Kathetertisch? Bei Reanimationen außerhalb des Krankenhauses – den Out-of-Hospital-Cardiac-Arrests (OHCA) – wird das zunehmend kritisch gesehen. Die TOMAHAWK-Studie liefert jetzt neue Evidenz und wanderte damit direkt ins NEJM. 554 erfolgreich reanimierte Patienten ohne Hinweis auf ST-Hebungs-Infarkt, aber mit Verdacht auf koronare Genese des Herzstillstands, nahmen teil. Sie erhielten entweder sofort eine Koronarangiographie oder erst nach intensivmedizinischer Behandlung und Stabilisierung. Im Median vergingen in der Interventionsgruppe 2,9 Stunden zwischen Herzstillstand und Angiographie, gegenüber 46,9 Stunden in der Kontrollgruppe, wobei in der Interventionsgruppe 95,5 % der Patienten und in der Kontrollgruppe 62,2 % der Patienten letztlich eine Angiographie erhielten.
Primärer Endpunkt war Gesamtmortalität nach 30 Tagen, sie betrug 54 % in der Gruppe mit früher Angiographie und 46 % in der Gruppe mit verzögerter Angiographie. Dieser Unterschied war mit einem p-Wert von 0,06 nicht statistisch signifikant. Schnelligkeit, so die Studienautoren, sei in dieser Situation jedenfalls offenbar kein Vorteil, möglicherweise weil neurologische Schäden den kardialen Nutzen der Frühintervention konterkarieren. Die TOMAHAWK-Studie setzt unter anderem auf der COACT-Studie auf, die bei Patienten mit defibrillierbarem OHCA ein ähnliches Ergebnis brachte. Daten zu OHCA-Patienten mit ST-Hebungsinfarkt gibt es nicht. Hier gilt die sofortige Koronarangiographie als Standard.
Smart, aber kompliziert zu interpretieren: Die im Rahmen des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Erkrankungen (DZHK) geförderte Diagnostik-Studie SMART-MI hat einen subkutan implantierbaren, kardialen Monitor (ICM) bei Post-Myokardinfarkt-Patienten untersucht. Wer nach einem Infarkt eine anhaltend stark eingeschränkte EF hat, bekommt in der Regel einen Defibrillator. Aber was ist mit den anderen, die ebenfalls lebensbedrohliche Rhythmusereignisse haben können? Die SMART-MI-Ergebnisse wurden beim ESC von Prof. Axel Bauer, Medizinische Universität Innsbruck, vorgestellt.
Postinfarkt-Patienten wurden mit Hilfe zweier digitaler EKG-Biomarker für Dysfunktion des autonomen Nervensystems risikostratifiziert. Auf Basis der beiden digitalen Biomarker – konkret die Dezelerationskapazität und die periodische Repolarisationsdynamik – wurden Hochrisikopatienten für schwere Rhythmusstörungen identifiziert. Das betraf knapp ein Drittel aller Patienten und diese wurden randomisiert zu ICM-Nachsorge oder Standardbetreuung. Wenig überraschend fielen in der ICM-Gruppe deutlich mehr, nämlich fünfmal so viele, schwere Rhythmusstörungen auf. Deren prädiktiver Wert für schwere kardiovaskuläre Ereignisse war in beiden Gruppen gleich, es wurden also klinisch relevante Rhythmusstörungen detektiert. Das hatte Folgen: In der ICM-Gruppe wurden 13 ICDs und 6 Schrittmacher implantiert, es gab 10 Ablationen und 37 orale Antikoagulationen. In der Kontrollgruppe waren es 5 ICDs, null Schrittmacher, 3 Ablationen und 11 orale Antikoagulationen. Klarer Boost für leitlinienkonforme Therapien also, für klinische Endpunkte war die Studie nicht gepowert.
Zu den Dingen, die niemand im Leben haben möchte, gehört eine schwere Herzinsuffizienz mit permanentem Vorhofflimmern, das einer Ablationstherapie nicht zugänglich ist. Diese Patienten wurde lange Zeit mangels Alternativen rein mit medikamentöser Frequenzkontrolle behandelt. In den letzten Jahren hat sich die AV-Knoten-Ablation (AVNA) mit anschließender Schrittmacher-Implantation und hier vor allem die Implantation biventrikulärer Schrittmacher (cardiac resynchronisation therapy, CRT) in den Vordergrund geschoben. Mit der im European Heart Journal publizierten APAF-CRT-Studie wurden zu diesem Vorgehen jetzt Mortalitätsdaten vorgelegt und die haben die Bronzemedaille in unserem ESC-Ranking verdient.
Insgesamt 133 Patienten mit permanentem Vorhofflimmern seit mindestens sechs Monaten, engen QRS-Komplexen (≤ 110 msec) und schwerer Herzinsuffizienz, überwiegend NYHA-Klasse III/IV, wurden randomisiert und entweder mit AVNA+CRT oder mit medikamentöser Frequenzkontrolle behandelt. Die Studie wurde nach einem medianen Follow-up für eine Effektivitäts-Interims-Analyse unterbrochen. Hochgerechnet auf den anvisierten 4-Jahres-Zeitraum betrug die Gesamtsterblichkeit im AVNA+CRT-Arm 14 %, im rein medikamentös behandelten Arm satte 41 %. Das ist eine Number-needed-to-treat von 3 bis 4 für Leben retten. Welche andere Behandlung kann das von sich behaupten?
Im knallharten Kampf um Platz 1 in unserer ESC-Hitparade knapp unterlegen ist die ebenfalls im New England Journal of Medicine publizierte EMPEROR-Preserved Studie. Sie wurde von Prof. Stefan Anker von der Charité Berlin vorgestellt und schreibt kardiologische Studiengeschichte. Es ist die erste, große, randomisierte, klinische Medikamentenstudie, die bei Patienten mit Herzinsuffizienz und erhaltender Ejektionsfraktion (HFpEF) jemals einen signifikanten statistischen Nutzen demonstrieren konnte.
EMPEROR-Preserved ist eine Studie aus dem EMPEROR-Studienprogramm zu dem ursprünglich für Typ-2-Diabetes entwickelten SGLT2-Hemmer Empagliflozin. Knapp 6.000 Patienten mit NYHA-Klasse II bis IV-Symptomatik nahmen teil und erhielten in Ergänzung zu bestmöglicher Standardtherapie entweder Empagliflozin 10 mg oder Placebo. Nach im Median 26 Monaten hatten 13,8 % der Patienten im Interventionsarm und 17,1 % im Placebo-Arm ein primäres Endpunktereignis, definiert als kardiovaskulärer Tod oder Krankenhauseinweisung wegen Herzinsuffizienz. Der „Treiber“ waren die Krankenhauseinweisungen und der Effekt war unabhängig von der EF (die Studie hatte auch Patienten mit moderat eingeschränkter EF bis 40% zugelassen). Aus der absoluten Risikoreduktion errechnet sich eine Number-needed-to-treat von 31. Da geht mehr, klar, aber als erste Studie mit HFpEF-Effektivitätsnachweis überhaupt dennoch eine klare Silbermedaille.
Tadadadaaa. Über Salz und seine Restriktion als kardiovaskuläres Therapeutikum streiten Mediziner mindestens so gerne wie über Vitamin D. Die Goldmedaille in unserer Hitparade kann deswegen nur an die SSaSS-Studie gehen, die genau diesen Diskussionen neue Nahrung geben wird – und die vielleicht sogar die Lebensmittelindustrie nachhaltig revolutionieren könnte. Hier ist der Link zur Publikation im New England Journal. Die SSaSS-Studie hat untersucht, ob Salzersatz – 75 % NaCl und 25 % KCl statt 100 % NaCl – bei Menschen über 60 mit schlecht eingestelltem Blutdruck oder bei Erwachsenen mit Schlaganfallanamnese die Schlaganfallinzidenz senken kann. Sekundär wurden schwere kardiovaskuläre Ereignisse aller Art und die Gesamtsterblichkeit evaluiert.
Das Studiendesign war bemerkenswert: 600 Dörfer im ländlichen China nahmen teil, es wurde Cluster-randomisiert, sodass insgesamt annähernd 21.000 Patienten zusammenkamen, mittleres Alter 65 Jahre, knapp neun von zehn Bluthochdruck. Der mittlere Follow-up-Zeitraum betrug 4,74 Jahre. Es zeigte sich, dass die Schlaganfallrate im Interventionsarm mit 29,1 gegenüber 33,7 Ereignissen pro 1.000 Patientenjahre um signifikante 14 % geringer war, wenn mit Salzersatz statt normalem Kochsalz gewürzt, gekocht und eingelegt wurde. Schwere kardiovaskuläre Ereignisse wurden um signifikante 13 % und Todesfälle aller Art um signifikante 12 % reduziert. Prof. Bryan Williams vom University College London brachte die Botschaft in seinem Expertenkommentar der Studie im Rahmen der Hot Line Session beim ESC-Kongress so auf den Punkt: „Die Debatte ist zu Ende. Die Daten sind da, und eine globale Public Health Intervention sollte beginnen.“
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