Ohne Schwerkraft geht's schneller: Organoide aus Gewebestammzellen lassen sich im Weltall besser heranzüchten. Das könnte – zurück auf der Erde – einen riesigen Bedarf decken.
UZH Space Hub und Airbus Defense and Space bringen mit dem nächsten Versorgungsflug zur Internationalen Raumstation (ISS) ein Experiment ins All, mit dem die industrielle Produktion menschlichen Gewebes in Schwerelosigkeit weiter vorangetrieben werden soll. Mit diesem Schritt könnte der Weltraum zur Werkstätte werden, um menschliche Mini-Gewebe für den irdischen Einsatz in Forschung und Medizin herzustellen. Erste vorbereitende Tests auf der ISS vor 18 Monaten waren erfolgreich verlaufen.
Das Verfahren für das gemeinsame 3D-Organoids in Space-Projekt stammt von Oliver Ullrich und Cora Thiel von der Universität Zürich (UZH). Zusammen mit Airbus haben die beiden Pioniere in der Erforschung, wie Schwerkraft menschliche Zellen beeinflusst, das Verfahren zur Projektreife entwickelt. Das Airbus Innovations-Team um Projektleiter Julian Raatschen entwickelt die Hardware und sorgt für den Zugang zur Internationalen Raumstation (ISS). Von der Idee bis zur ersten Produktionstestung im All brauchten die Projektpartner drei Jahre, in denen sie verschiedene Testphasen und interne Auswahlverfahren überstanden.
Ullrich, Professor für Anatomie an der UZH, Biologin Thiel und Airbus nutzen die Mikrogravitation im Weltall, um aus menschlichen adulten Stammzellen dreidimensionale organähnliche Gewebe – Organoide – zu züchten. „Auf der Erde lassen sich wegen der Schwerkraft ohne Stützskelette keine dreidimensionalen Organoide produzieren“, erläutert Thiel.
Auf großes Interesse stoßen solche 3D-Organoide bei Pharmaunternehmen: Toxikologische Studien könnten so ohne Umweg über Tiermodelle direkt an menschlichen Geweben durchgeführt werden. Aus Patientenstammzellen gezüchtete Organoide könnten zudem in Zukunft als Bausteine für Gewebe-Ersatz zur Therapie geschädigter Organe eingesetzt werden. Denn die Zahl der gespendeten Organe kann den weltweiten Bedarf an Tausenden von Spenderorganen bei Weitem nicht decken.
Die Forschungsarbeiten vom März 2020, als 250 Teströhrchen mit menschlichen Stammzellen einen Monat lang auf der ISS verbrachten, waren sehr erfolgreich: Aus den Gewebestammzellen hatten sich in der Mikrogravitation in 400 Kilometern Höhe wie beabsichtigt differenzierte organähnliche Leber-, Knochen- und Knorpel-Strukturen entwickelt. Die auf der Erde angelegten Kulturen, die als Kontrollen unter normalen Schwerkraftbedingungen gezüchtet wurden, zeigten dagegen keine oder nur minimale Zelldifferenzierungen.
In der aktuellen Mission werden Gewebestammzellen von zwei Frauen und zwei Männern unterschiedlichen Alters ins All geschickt. Damit prüfen die Forscher, wie robust die Methode ist, wenn sie Zellen unterschiedlicher biologischer Variabilität einsetzen. Sie erwarten, dass die Produktion in Schwerelosigkeit einfacher und zuverlässiger ist als unter Verwendung von Hilfsmaterialien auf der Erde.
Aktuell liegt der Fokus auf produktionstechnischen Fragen und der Qualitätskontrolle. „Im Hinblick auf die anvisierte Kommerzialisierung, müssen wir jetzt herausfinden, wie lange und in welcher Qualität wir die im All gezüchteten Organoide nach der Rückkehr zur Erde in Kultur halten können“, so Ullrich. „Im Erfolgsfall kann die Technologie weiterentwickelt und zur Einsatzreife gebracht werden. Airbus und der UZH Space Hub können so einen weiteren Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität auf der Erde durch raumfahrtbasierte Lösungen liefern“, sagt Airbus-Projektleiter Raatschen.
Geplanter Start: Space X CRS-23 mit Cargo Dragon von Space X, Falcon-9-Trägersystem am 28. August 2021, Kennedy Space Center, USA. Das Probenmaterial wird Anfang Oktober zurück zur Erde kommen. Erste Ergebnisse sind ab November zu erwarten.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung der Universität Zürich.
Bildquelle: The New York Public Library, unsplash