Sowohl eine Corona-Impfung als auch eine SARS-CoV-2-Infektion erhöhen das Myokarditis-Risiko. Aber was ist schlimmer? Neue Daten aus Israel geben eine klare Antwort.
Im Laufe der vorläufigen Zulassungen für die Impfstoffe gegen COVID-19 sorgten sich Menschen über unerwünschte Ereignisse, die in den klinischen Studien nicht erfasst wurden. Auch der Impfstoff von Biontech/Pfizer hat im Zuge der Impfkampagne Schlagzeilen gemacht: Es gab vermehrt Berichte über Fälle von Myokarditis, die nach Impfungen auftraten (wir berichteten). Mittlerweile stehen uns jedoch mehr Daten zur Verfügung, um die Impfung in einen deutlicheren Kontext zu setzten. Eine Auswertung im Kontext des israelischen Impfprogramms wurde nun im New England Journal of Medicine publiziert und befasst sich genau mit dieser Thematik. Darin wird auch die Myokarditis im Zusammenhang mit einer COVID-19-Erkrankung zum Thema.
In den Forschungsergebnissen wurden deskriptive Daten des Clalit Health Services (CHS) ausgewertet, um die Effekte des Impfstoffs BNT162b2 hinsichtlich potenzieller unerwünschter Ereignisse auszuwerten. Clalit ist eine der vier großen israelischen Health Maintenance Organisationen (HMO), die die medizinische Versorgung der dortigen bevökerung unter sich aufteilen. Für die Analyse wurden lediglich vollständig Geimpfte ohne SARS-CoV-2-Infektion berücksichtigt, die mindestens 16 Jahre alt waren. Als Kontrollgruppe dienten ungeimpfte Personen. Milde unerwünschte Ereignisse wie Fieber o.Ä. wurden in der Studie nicht berücksichtigt. Die Studie umfasste eine Nachbeobachtungszeit von 42 Tagen nach Erhalt der Impfung, die sich in 21 Tage nach jeder Dosis aufteilte. Insgesamt wurden 884.828 Geimpfte im Verhältnis 1:1 mit Ungeimpften als Kontrolle gepaart. Zusätzlich wurden 173.106 ungeimpfte Personen mit SARS-CoV-2-Infektion ebenfalls im Verhältnis 1:1 mit Ungeimpften ohne Infektion als Kontrollgruppe gepaart.
Zur genauen Risikobeurteilung ermittelten die Forscher die Risk Ratio, sowie die Risk Difference für die unterschiedlichen unerwünschten Ereignisse innerhalb der Gruppen. Die Risk Ratio ergibt sich aus dem Quotienten der kumulativen Wahrscheinlichkeiten der beiden Gruppen, wohingegen die Risk Difference die Differenz der kumulativen Wahrscheinlichkeiten in den Gruppen widerspiegelt. Wie die Forscher feststellten, ist das Risiko für eine Reihe von unerwünschten Ereignisse in der geimpften Gruppe sowohl hinsichtlich des Risk Ratios als auch hinsichtlich der Risk Difference höher als in der ungeimpften Gruppe. Dies gilt insbesondere für Myokarditis und Lymphadenopathie, beides nicht überraschend, da es sich um bekannte Nebenwirkungen der Impfung handelt:
Das allein sagt noch nicht viel aus. Interessant ist der Vergleich mit den Risiken der Kohorte, die sich mit SARS-CoV-2 infizierten. Hier waren im Vergleich zu den Nicht-Infizierten die Wahrscheinlichkeit für viele verschiedene unerwünschte Ereignisse wesentlich stärker erhöht, darunter auch für die viel diskutierte Myokarditis:
Mit anderen Worten: Die Clalit-Studie zeigt einmal mehr ein erhöhtes Risiko für einige unerwünschte Ereignisse nach Erhalt einer vollständigen Impfung – darunter auch schwerwiegende wie eine Myokarditis. Jedoch ist das Risiko für unerwünschte Ereignisse durch eine SARS-CoV-2-Infektion insgesamt deutlich höher. Werden die Risk Ratios miteinander verglichen, liegen sie für die meisten unerwünschten Ereignisse bei einer Impfung deutlich niedriger als bei einer SARS-CoV-2-Infektion - auch bei der Myokarditis, wo ein Faktor 3 einem Faktor von 18 gegenübersteht.
Das Studiendesign hat natürlich Limitierungen: Die Personen wurden zwar aufwändig gematcht, aber trotzdem kann es Verzerrungen bei der Auswahl der Probanden gegeben haben, insbesondere da ein einziger Satz an Störfaktoren zur Anpassung der Bewertung unterschiedlicher unerwünschter Ereignisse genutzt wurde. Die unterschiedliche Paarung der beiden Kohorten führte zudem zu Unterschieden in den beiden Gruppen, wie das mediane Alter. Zusätzlich wurden auch bestimmte Bevölkerungsgruppen wie Gesundheitspersonal oder Personen in Langzeitpflegeeinrichtungen aus der Studie ausgeschlossen, die einem besonders hohen Risiko für bestimmte unerwünschte Ereignisse ausgesetzt sein könnten.
Die Autoren betonen jedoch, dass der Erhalt einer Impfung eine bewusste und absehbare Risikoentscheidung ist, wohingegen eine SARS-CoV-2-Infektion eher ein ungewisses Risiko auf schwere unerwünschte Ereignisse und ungewollte Übertragungen birgt. Die Daten aus Israel geben daher eine klare Botschaft: Impfen ist jedenfalls für die über 16-jährigen, auf die sich diese Studie bezog, besser, als es auf eine (Erst-)Infektion bei SARS-CoV-2-naivem Immunsystem ankommen zu lassen.
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