Sportmediziner der Universität Graz haben Grundschüler durch die Corona-Pandemie begleitet. Wie schlecht es um die Fitness der Kinder steht, lest ihr hier.
Die Corona-Pandemie hat eine ganze Menge Dinge durcheinandergebracht, auch klinische Forschungsprojekte. Mitunter ergaben sich dann allerdings Möglichkeiten für eine interessante Neuausrichtung der Forschung. Sportmediziner aus Österreich um Gerald Jarrig von der Universität Graz haben das erlebt, und sie machten das beste daraus. Ursprünglich, also vor Corona, planten sie eine randomisierte Studie, die die Auswirkungen von Sport-Interventionen auf die motorischen Fähigkeiten, die kardiorespiratorische Fitness und die allgemeine Gesundheit von Grundschulkindern untersuchen sollte.
Im März 2020 hatte sich das mit der Sport-Intervention dann erstmal erledigt. Aber zumindest hatte ein repräsentativer Querschnitt von 764 Kindern zwischen 7 und 10 Jahren aus insgesamt 12 per Zufall ausgewählten Grundschulen im Raum Klagenfurt schon die Baseline-Untersuchungen durchlaufen. Das war zum einen BMI-, Gewichts- und Körpergrößen-Messung, zum anderen eine Messung der kardiorespiratorischen Fitness. Für letzteres wurde der 6-Minuten-Belastungstest ausgewählt. Dabei werden die Kinder gebeten, sechs Minuten lang so weit zu rennen, wie sie können.
Viele Schülerinnen und Schüler kennen die 12-Minuten-Variante dieser Übung als „Cooper-Test“. Die genannten Baseline-Messungen erfolgten im Herbst 2019. Da eine randomisierte Intervention dank Corona-Pandemie nicht umsetzbar war, verwandelten die Österreicher ihre randomisierte Studie kurzerhand in einer prospektive Kohortenstudie – und wiederholten die Messungen im Juni 2020 und im September 2020. Damit deckten sie im Wesentlichen die erste Corona-Welle und den ersten großen Lockdown ab.
Das Ergebnis, über das die Wissenschaftler jetzt in JAMA Network Open berichten, ist, je nach Blickwinkel, beeindruckend bis deprimierend. Kinder in dieser Altersgruppe werden beim Cooper-Test normalerweise mit zunehmendem Alter besser. Doch das Gegenteil war der Fall: Schafften die Kinder im September 2019 noch im Mittel 917 Meter, waren es ein Jahr später nur noch 815 Meter, ein sattes Minus von rund 10 Prozent. Der Leistungsabfall betraf Kinder, die vor der Pandemie in Sportvereinen waren, genauso wie Kinder, die das nicht waren, und er betraf Mädchen wie Jungs in ähnlichem Umfang.
Der Verlust an kardiorespiratorischer Fitness ging einher mit einer Zunahme an Körpergewicht. War im September 2019 ziemlich genau jedes fünfte Kind übergewichtig oder fettleibig, definiert als BMI von 25 oder mehr, so war es ein Jahr später rund jedes vierte Kind. Auch das betraf sowohl Jungs wie Mädchen, wobei die Kinder, die zuvor in Sportvereinen waren, etwas stärker mit Gewichtszunahme zu kämpfen hatten. In dieser Gruppe, 322 der 764 Kinder, waren vor der Pandemie knapp 16 Prozent übergewichtig oder adipös, nach dem Lockdown waren es über 20 Prozent. Die Unterschiede waren alle statistisch signifikant.
Prof. Dr. Xiaotao Zhang, Epidemiologe am Baylor College of Medicine in Houston, Texas, weist in einem begleitenden Editorial darauf hin, dass es das von höheren Mächten erzwungene Studiendesign wegen der fehlenden Kontrollgruppe – es gab keine Kinder ohne Corona-Pandemie – formal nicht gestattet, aus den Daten eine Kausalität zwischen Pandemie mit Lockdown und dem beobachteten Fitness- und Gewichtseffekt abzuleiten. Er lässt aber, wie die österreichischen Wissenschaftler, keinen Zweifel daran, dass er von einer Kausalität überzeugt ist. Und er fordert die zuständigen Behörden weltweit auf, möglichen Langzeitfolgen entgegenzuwirken, indem die Sporterziehung in den Schulen verbessert wird. Auch müssten zusätzliche Anstrengungen unternommen werden, einen gesunden Lebensstil speziell bei Kindern und Jugendlichen zu fördern.
Die Studienergebnisse findet ihr hier und auch im Text verlinkt.
Bildquelle: Marek Piwnicki, Unsplash