Haben HI-Viren eine Zelle des Immunsystems infiziert, lassen sie ihr genetisches Material im Zellkern in die DNA einbauen. Weiter als in den Zellkern-Eingangsbereich kommen sie meist nicht. Das Viren-Erbmaterial findet sich häufig in aktiven DNA-Abschnitten hinter den Kernporen.
„Man kann sich das in etwa vorstellen wie bei einem verspäteten Besucher einer Veranstaltung. Er kommt durch die Tür und nimmt den erstbesten freien Sitzplatz“, beschreibt Dr. Marina Lusic, Leiterin einer Arbeitsgruppe des Bereichs Virologie des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF).
Bereits zuvor war bekannt, dass HI-Viren ihr Erbmaterial nicht wahllos in das menschliche Genom integrieren. Sie nutzen bevorzugt eine Reihe häufig aktiver DNA-Abschnitte, die an unterschiedlichen Zellfunktionen beteiligt sind. Wie es zu dieser Auswahl unter den rund 20.000 Genen des menschlichen Genoms kommt, konnte man sich bisher allerdings nicht erklären. Des Rätsels Lösung klingt banal: Alle diese Gene befinden sich in unmittelbarer Nähe der Kernporen. An infizierten Zellen unter dem Mikroskop zeigte sich: Das farblich markierte Genmaterial der HI-Viren wird in die nächsten aktiven Gene eingebaut, auf die es nach dem Eintritt durch die Kernporen stößt. In eben diesen Bereichen rund um die Kernporen befinden sich in der Regel genau die Gene, die zuvor bereits – ohne den Zusammenhang zu kennen – als bevorzugtes Ziel der Viren identifiziert worden waren. In den weiter mittig gelegenen Bereichen des Zellkerns fand sich dagegen kaum genetisches Material der Viren. Erbinformation der HI-Viren (grün) am Rande des Zellkerns in der Nähe der Kernporen (rot) einer infizierten Zelle des Immunsystems (CD4-T-Zelle).
Um sich in das menschliche Erbgut einbauen zu können, benötigen die HI-Viren die Hilfe bestimmter zelleigener Proteine. „Eine wichtige Rolle spielten dabei Eiweißbestandteile der Kernporen. Das ist wahrscheinlich ein Grund dafür, warum HIV in den Bereichen unmittelbar hinter den Kernporen bleibt“, erklärt Dr. Lusic. Ist HIV erst einmal in die Erbinformation eingefügt, kann es die Zelle dazu umprogrammieren, ab sofort nur noch Kopien des Virus in großer Menge herzustellen und sich damit schließlich selbst zu zerstören. Oder es bleibt zunächst inaktiv und wartet ab. Warum sich ein Teil der Viren erst einmal für unbestimmte Zeit selbst deaktivieren, ist bisher noch völlig unklar. Dieser Frage möchte Dr. Marina Lusic mit ihrem Team als nächstes nachgehen. Originalpublikation: Nuclear architecture dictates HIV-1 integration site selection Marina Lusic et al.; Nature, doi: 10.1038/nature14226; 2015