Eine Studie zeigt, dass sich die Verbreitung falscher Nachrichten durch Modelle beschreiben lässt, die auch zur Berechnung von Infektionsverläufen genutzt werden. Die Ergebnisse könnten helfen, effektiv gegen Fake News vorzugehen.
Soziale Netzwerke gehören heute zu viel genutzten Nachrichtenquellen. Werden dort aber Falschnachrichten, Fake News, oder Verschwörungstheorien verbreitet, kann dies negative Auswirkungen haben. Sie können beispielsweise Wahlen oder das Gesundheits- und Risikoverhalten beeinflussen. Ob sich Verschwörungstheorien zu COVID-19 in sozialen Netzwerken ähnlich ausbreiten, wie die Krankheit selbst und wie die Verbreitung der Theorien eingedämmt werden kann, wurde nun in einer Studie Universität Jena untersucht.
Julian Kauk nutzte eine bereits bekannte Methode und übertrug ein epidemiologisches Modell zur Berechnung des Verlaufs einer Infektionskrankheit auf einen Datensatz eines sozialen Phänomens. Für seine Forschungsarbeit hat er sich dabei auf das soziale Netzwerk Twitter fokussiert und anhand gezielter Hashtags rückblickend einen Datensatz zur bereits abgeklungenen Verschwörungstheorie „#5G-Coronavirus“ generiert. Die Verschwörungstheorie besagte, dass die Pandemie aus dem Ausbau des 5G-Datennetzes resultiere. Obwohl diese Verschwörungstheorie auf keinerlei wissenschaftlicher Evidenz basiert, verbreitete sie sich rasant in verschiedenen sozialen Netzwerken.
Auf diesen Datensatz hat Kauk das epidemiologische SIR-Modell (Susceptible, Infected, Removed) – welches im medizinischen Umfeld den Verlauf von Empfänglichen, Infizierten und Genesenen einer Infektionskrankheit angibt – übertragen. Die Inzidenz gibt im Fall der Falschnachrichten an, wie viele „Neuinfektionen“, also Nutzungen des Hashtags zu der Theorie, pro Tag stattfinden. Anhand dieser Inzidenz und der daraus entstehenden Verlaufskurve kann der Psychologe feststellen, wie sich die Zahl der für die Theorie empfänglichen, der mit der Theorie bereits „infizierten“ und der von der Theorie bereits wieder abgewandten Personen verändert. Im Vergleich mit dem Verlauf der COVID-19-Pandemie stellte er dabei eine erstaunliche Ähnlichkeit fest: Er konnte zeigen, dass sich biologische und psychologische Infektionsverläufe hervorragend durch dieselben mathematischen Modelle beschreiben lassen.
Seine Forschung zur Verbreitung einer Falschnachricht hat Kauk um einen neuartigen Ansatz erweitert: Er untersucht, wie sich Maßnahmen gegen Fake News auf die Verlaufskurve auswirken könnten. Dazu simuliert Kauk in seiner Arbeit einerseits die Möglichkeit, Fakten zu prüfen und vorab klarzustellen, und andererseits das Löschen von Tweets. Das Ergebnis: Eine Faktenprüfung insbesondere am Verbreitungsbeginn der Verschwörungstheorie wirkt als Korrektiv. Diese Gegenmaßnahme verliert aber an Kraft, je weiter sich die Theorie bereits verbreitet hat.
Weniger effektiv, dafür aber zeitunabhängig wirksam, ist das Löschen von Tweets. „Eine frühe Reaktion und Antwort auf die Verschwörungstheorie ist essenziell für die Kontrolle über die Verbreitung“, sagt der Psychologe. „Eine sehr frühe Faktenprüfung, insbesondere in Kombination mit moderatem Löschen von Tweets, ist dem Modell zufolge die beste Strategie, um eine Verbreitung von Verschwörungstheorien einzudämmen.“
„Die Verbreitung von sogenannten Verschwörungstheorien wird zunehmend zu einem ernsten gesellschaftlichen Problem. Die Psychologie hat hier eine große Verantwortung, die Mechanismen aufzudecken, die zu einer Verbreitung von Verschwörungstheorien oder anderen Falschinformationen führen“, erläuter Co-Autor Prof. Stefan R. Schweinberger. Diese wird zudem durch das weitere Potenzial des Forschungsgebietes deutlich.
Das verwendete SIR-Modell ist zwar bereits für die Anwendung bei Infektionskrankheiten geprüft, nicht jedoch für die Anwendung in anderen Bereichen. Die theoretische Vergleichbarkeit erfordert daher eine weitere empirische Überprüfung. „Die Anwendung des SIR-Modells war ein erster Versuch, der zeigt, dass solche Infektionsmodelle auch außerhalb der Medizin Anwendung finden können. Zur tatsächlichen Berechnung der Verbreitung von Verschwörungstheorien bedarf das Modell weiterer Anpassungen“, betont Kauk die theoretische Perspektive seiner Arbeit. Zudem müsse geprüft werden, welche weiteren Modelle eine solche Vorhersage ermöglichen. Und darüber hinaus muss die Simulation der Gegenmaßnahmen in die empirische Praxis überführt und dort geprüft werden.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Die Originalpublikation findet ihr hier.
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